Mein Schwof mit dem Jesulein




Selbst die Gottesmutter war zu Gast
Von Sabine Sahneschnitt-Chen

Das Abschiedskonzert des „Fraystyl-Ensembles“ AYATET am vergangenen Samstag in der St. Richard Kirche zu Rixdorf gestaltete sich – eigentlich der von den Ayanern stets eingelöste Alleinstellungsmalanspruch – wieder einmal zu einer wahren Wundertüte musikalischer Inspirationen, die in ihrer Umsetzung den Ideen zu Klang und auch Bild verhalfen: diesmal also nicht nur Soundkino für die Ohren, sondern in Form einer expressiven Ausdruckstanz-Vorstellung der East Princess (re:belle danse) auch dramatische darstellerische Höhepunkte.

Kunst erkärt sich selbst – insofern braucht sie auch nie Erklärungen durch die Künstler – und ich erspare mir also jedwede Interpretationsversuche und halte mich an die gesehenen und gehörten, manchmal auch unerhörten Tatsachen: Der musikalische Regenbogen spannte sich von Freejazzclusters, sphärischer Impro-Avantgarde, morbiden Klangcollagen samt balladesker Art-Rock-Coda, andalusisch angehauchtem Ethnogebläse hin zu einer riesigen Schatzkiste zeitgenössischer moderner Musik – am Ende des besagten Regenbogens.

Von Dante bis (auch für) Tante – ich wollte und konnte mir dies, zugegebener-maßen: Malmot nicht verkneifen – reichte die Palette der stets frei improvisierten Klangschaften und -episoden – mensch fühlte sich mitgenommen in einem Fantasytrain, welcher ständig sich wandelnde Traumlandschaften durchquert und immer wieder überraschende, faszinierende Panoramen erschließt. Anne-Katrin Schenck schenkte uns mit ihrem glockenreinen Sopran trotz (oder gar gerade wegen?) starker Erkältung verführerisch sirenenhaft-mystische Zaubergesänge, denen so mancher Odysseus blindlings ins eigene Verderben gefolgt wäre, die runden, sanften Flötentöne des Stahl- und Kunstschmiedes Tilman Geiger ließen so manches Herz (und nicht nur das) im Publikum dahinschmelzen, während die zickigen Duette von Artus Unival (diesmal „nur“ an der puren Elektro-Gitarre) und der eigentlich sonst völlig unzickigen Susanne Bätz (Slide-Bass mit besonderer Stimmung und Benutzung) in Verbindung mit dem grandiosen Schlagwerker Ulrich Miller – der auch mit seinen Bocksgesängen, die an schamanische Obertongesänge gemahnten – einen krassen Kontrapunkt darstellten zu den Duetten, manchmal auch Duellen des exorbitanten Trompeters Paul Schwingenschlögl aus Ösiland (Trompeten und Flügelhorn) und seinem kongenialen Counterpart Marten Mühlenstein (Saxofon, Shalimeau und Melodica) – der zwischendurch auch mit der hauseigenen Kirchenorgel die musikalischen Leinwände oft harmonisch-konkret, hin und wieder auch atonal-abstrakt grundierte.

Das gesamte Konzert wurde vom AYATET ohne Unterbrechungen als zusammenhängende, exakt eineinhalb Stunden währende Suite gegeben – und selbst das Thema des Abends „The Last Time“ blitzte kurz zweimal (als Zitat des Hauptmotives eines Rolling Stones Hits aus den 1960er Jahren) hervor. Das Publikum erwies sich als überaus empathisch: geduldig und offen folgte es allen, manchmal recht anstrengenden (auch Ab-) Wegen des Septetts in sämtliche Winkel jetztzeitiger musikalischer Welten – fasziniert besonders auch durch die ausdrucksstarke Präsenz des Tänzerwesens East Princess.

Selbst die Gottesmutter war mit ihrem Jesulein zu Gast – und wenn ich es richtig beobachtet habe, schmunzelte sie hin und wieder vergnügt vor sich hin – während der Jesubub auf ihrem Arm selig dahinschlummerte, manchmal auch ein kleines bißchen schnarchte …

° Vermisst haben wir alle allerdings in personam den unlängst verstorbenen Violinisten Bernhard Christian, der üblicherweise zu den AYA-Ensembles als fester Kollege gehörte. Aber vermutlich wird er an diesem Abend, der auch ihm gewidmet war, auf Wolke 13 mitgewirkt haben – obwohl als Atheist … aber mensch weiß ja nie … ;-}.

Berlin, 12. Oktober 2015

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