Leute, ihr lieben!

Nach der wunderbar überfüllten Buchpremiere in einem Berliner Theater stehen jetzt Vorbereitungen für mehr Songs, Performances und aufregende kleine Lesungen an. Freiheitswanderung nenn ich das, denn es geht um was.

Atmen im Gegenwind ist hier erhältlich, portofrei und mit liebevollen Extras, oder im Buchhandel.

Euer Princess

  • Mit dem Kopf in der Hölle, mit dem Arsch im Paradies

    Zum Tod von Hermes Phettberg

    Am Dienstag kam F. zu Besuch und hatte ein Geschenk dabei für mich: Hermes Phettbergs „Predigtdienst“, ein glorioses Werk aus den 90er Jahren, das bereits in Form und Gestalt Sympathien zu wecken weiß. Am Tag darauf verstarb sein Autor.

    Doch blicken wir zurück. Ich habe Hermes Phettberg sofort geliebt. Das mag daran liegen, dass er so etwas wie der Inbegriff eines Freigeistes war, ein wahrer Liberaler, einer der die wichtigsten Begriffe der Freiheit mit konkretem Inhalt füllte statt mit Floskeln. Manche fanden das schwer erträglich, ich fand immer sie nicht zu ertragen. Viele Jahre ließ ich ihn dennoch aus den Augen, zu beschäftigt war ich mit dem eigenen Kopf. Was sich wunder nahm: Als ich wieder hinsah, oder um es mit seiner Zunge zu sagen: als ich schaute, „ob er denn noch am sein sei“, war er noch da. Das war nicht selbstverständlich, denn schon seinerzeit berichtete er in Gestionen genannten öffentlichen Aufzeichnungen von seiner leidvollen Hinfälligkeit, mit deren tödlichem Ausklang ich fortan täglich rechnete.

    Bettlägrigkeit zum Trotz: Der libertäre Geist kann gehen, laufen, springen, oft sehr weit; was ihn auszeichnet, ist seine Menschlichkeit. In den populärsten Zeiten erreichte Hermes Phettberg damit ein Millionenpublikum. Die „Nette Leit Show“ gilt als Meilenstein der Fernsehunterhaltung. Zum Schönsten, das je den Äther streifte, gehört die Szene, in der er Peter Kern küsst. Wie sie küssten, hat manches verändert. Phettberg war ein Anstifter, er hat auch mich angestiftet, immer wieder. Zum Beispiel, als ich den Kuss nachahmte. Ich spüre das Bitzeln auf den Lippen als sei es gerade eben gewesen. Es geht dabei nicht um gewöhnliches Küssen, und gelingen kann es nur, wenn man den Anweisungen genauestens folgt. Probieren Sie es aus! Es erfordert kein großes Raffinement. Oder doch?

    F. setzte das Nudelwasser auf, ich schnitt die Zwiebeln. „Lies was vor“, verlangte F. Während die Soße köchelte, blätterte ich im Buch, ziellos, und las vor: „Wie das Denken ausgeweitet wird“, Seite 379. Es geht um Kot als sexuelle Stimulanz. F. schüttelte sich vor Ekel, ich lachte bloß. Das mag daran liegen, das F. katholisch ist – auch wenn F. dieser Deutung entschieden widerspräche –, und es bei mir nicht einmal zu einem Funken Aberglaube reichte. Wie dem auch sei, auf Seite 124 fand sich rasch Versöhnliches: „Gutsitzende Jeans treiben die Arschbacken ein bisschen auseinander, indem die charakteristische Naht gerade soviel Spielraum hat, in die Kerbe einzudringen, die Hose aber insgesamt ausreichend eng ist, den Effekt nicht wieder zu egalisieren.“ Morgen werde ich F. vorschlagen, den Film „Der Papst ist kein Jeansboy“ anzusehen.

    Phettberg war Jesus, ein bisschen jedenfalls, und – wie dieser – zeitlos, seiner Zeit voraus. Er genderte nicht, er schrieb in einer neuen Sprache und das bereits seit vielen Jahren; der Plural endete bei ihm auf „ys“. Das ist sinnvoll, das ist machbar, das war genial. Wir sollten es ihm gleichtun, liebe Lesys, wie so vieles, zu dem wir uns anstiften lassen sollten von diesem kolossalen Berg Weisheit, dessen Predigt mich gläubig werden ließ. „Der letzte echte Humus in einer Welt voller Bullshit und synthetischer Scheiße“, befand ich in einem Interview mit Walter Pobaschnig, letztes Jahr. In den Tagen darauf habe ich immer wieder überlegt, Hermes zu schreiben. Dass ich es nicht getan habe, ist Beweis meiner Gläubigkeit: Ich glaube an Seelenverbundenheit.

    Was für ein schöner Mensch da von uns gegangen ist! In wie vielem er bleiben wird, liegt auch an uns. Selten war ich für das Leben und Schaffen eines einzelnen so dankbar wie für seins. Wie ein Mensch so schön sein kann, wenn er doch alles, alles sieht, das habe ich mich oft gefragt bei der Lektüre seiner Gedanken. Und es hat mir Mut gemacht. Dass es sich doch lohnt, so schön zu sein. Dass irgendeiner es mitkriegen wird, dem es seinerseits Mut macht. Und also vielleicht ist das Leben ja genau so wie dieser edle Elende es immer beschrieben hat, so edel, so elend, so schön. Danke, Hermes Phettberg, für diese Zuversicht, für alles, für dich.

  • Kunst sollte immer die Mächtigen reizen und den „Elefant im Zimmer“

    Interviews machen sehr sichtbar, und ich hoffe, hier auch ein Stück Welt. Manchmal braucht es einen, der ihr und mir die Maske runterreißt. Danke, Walter Pobaschnig. Auf wieder Sehen! Der Hl. Geist

    Lieber East Princess, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

    Ich steh auf und muss suchen, ein Wort, einen Gedanken und den Mumm, ihm zu folgen bis an seine Schranken. Er liegt ja noch in den Wolken. Ich setz Wasser auf und füttere mich mit Pudding und Rhabarberkuchen. Für ein paar Stunden bin ich erst mal stumm. Selbstgespräche nicht mitgezählt.

    Dann habe ich die eine oder andere Frage und rufe M an. Bitte, erklären Sie mir die Welt. Das stets außerordentliche Interesse bestätigt die hohe Bedeutung meiner Anliegen. M sagt dann so was wie „Mh“, „Hm“, „Mh hm“, „Hm mh“, „Hmm“, bis der Schleim im Hirn sich bewegt und eine Antwort generiert. Daraus ergeben sich meist noch mehr Fragen.

    Es folgt eine Reihe von Plagen, bezahlte Umfragen beispielsweise. Man muss ja Geld eintragen. Der profane Teil der Reise. Bis irgendwann die Wut Genozid-Niveau erreicht und ich zur erstbesten Waffe greife. Vorher rufe ich M an. Bitte, wozu würden Sie raten: Reife oder Ungeduld? M atmet tief aus: „Beides.“ Und also, da haben wir den Salat. Grrr! M ist so unerträglich weise.

    Der ganze große Garten liegt im Dunkeln, und ich fang an zu scharren. Ist man ganz leise, hört man, man ist nicht alleine: Wühlmäuse, Maulwürfe, Tausendfüßer, Regenwürmer in bunten Farben – alle, die was umgraben. Graswurzelbewegungen. Okay. Na gut. Es ist viel zu tun.

    Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

    Wir sollten jeden Tag eine halbe Stunde spazierengehen, allein, auf allen Vieren. Ich denke, das eröffnet neue Perspektiven.

    Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Kunst an sich zu?

    Jeder Tag, jede Stunde hat eine Zeitenwende. Die Zeit ist nicht lethargisch, nur weil wir es sind, doch kennt sie nur die Ewigkeit, keinen Neubeginn. Wenn wir das verstünden, möglicherweise würden wir uns manchen Aufbruch ersparen, manches Unheil, manche Sünden. Aber vielleicht ist auch das Problem, dass wir es verstehen.

    Die Zeit, wie sie vergeht. Woraus unsere Not entsteht, sie zu prägen und möglichst allen davon zu künden. Am besten via Social Media. Das  egalisiert alle Stimmen und Meinungen.

    Merke: Demokratie braucht Expertise, und Expertise braucht Empathie. Unser Mangel daran ist Ursache jeder Krise. Kunst sollte immer die Mächtigen reizen und den „Elefant im Zimmer“. Dann muss zumindest mal renoviert werden.

    Was liest Du derzeit?

    Zunächst mal zwielichtige Börsenseiten. Börse ist nie bieder. Mein Tipp: Match Group. Läuft im Moment so gut wie meine Dates, aber die kommt wieder.

    Und dann „Phettbergs Predigtdienst“ im Falter. Der letzte echte Humus in einer Welt voller Bullshit und synthetischer Scheiße. Oder guckt euch an, wie Hermes Phettberg in seiner „Nette Leit Show“ Peter Kern küsst. Obwohl der kein Jeansboy ist. Das gehört zum Schönsten, was je den Äther streifte.

    Wie auch mein „Lieblingsbuch“: Cora Frost. Theater, Konzert, online – wo immer ich es öffne, ich fühl mich nicht mehr lost.

    Man vergisst ja manchmal, es zu sagen: DANKE.

    Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

    „Wir sind ja auch dumm. Allesamt. Der eine Teil gewissermaßen von Natur aus, ohne alle Anstrengung. Der andere Teil nach einem sehr aufwendigen, sehr anstrengenden Curriculum.“ Die einarmige Taube

    Vielen Dank für das Interview, lieber East Princess, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte, und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

    Das Interview ist hier erschienen: literaturoutdoors

  • Fast geschafft

    Die Backform eingefettet
    Den Kessel aufgesetzt

    Das Tor geöffnet
    Die Ankunft geschätzt

    Das Kleid bereitgelegt
    Die Auffahrt gefegt

    Das Abenteuer eingeräumt
    Das Hindernis erkannt

    Den Mut aufgebracht
    Das Vorhaben benannt

    Den Ertrag errechnet
    Das Glück geträumt

    Das Wesentliche kurzgefasst
    Das Manuskript gedruckt

    Das Notwendige angemahnt
    Die Kröte geschluckt

    Ein Leid geschaffen
    Das Begehrte begafft

    Mit den Füßen geschart
    Die Waffe scharfgemacht

    Die Mächtigen gewarnt
    Die Ängstlichen angefacht

    Leidenschaft geplant
    Die Unschuld gut bewacht

    Die Illusion gerettet
    Das Undenkbare verlangt

    Den Zugangscode
    Ein Rettungsboot

    Und als niemand kam
    Es selbst gemacht

    Ein Vermögen angespart
    Ein Vermögen verwettet

    Das Wagnis gewagt
    Zweifel: unangebracht

    Hirnverbrannt
    Bewusstsein erlangt

    Das Falsche fortgeleitet
    Die Fragen befragt

    Den Exzess studiert
    Demut offenbart

    Die Wogen geglättet
    Den Feind umarmt

    Das Schicksal pariert
    Farbe bekannt

    Das Unbekannte angelächelt
    Das Bekannte ausgelacht

    Über den Rand gezeichnet
    Bunt ausgemalt

    Den Entwurf gespeichert
    Im Ordner Neue Ideale

    Den ersten Stein gesetzt
    Ein Zeichen

    Ich liebe dich gedacht
    Alles Wichtige

    Den Anker geworfen
    Die Leinen gekappt

    Den Hafen befestigt
    Die Freiheit bewahrt

    Die Hände gewaschen
    Das Richtige getan

    Und das legitime Illegale
    In Lavendel und Vanille

    Der Weg ist das Ziel
    Überleben

    Freier Wille
    Du kannst fliegen