Was zu tun ist

Das Wichtigste, was es über das Leben zu lernen gibt, ist, erstens nichts zu tun, was man nicht tun möchte, und zweitens, zu tun, was man tun möchte.

Margaret Anderson  Margaret Anderson

„Und jetzt alle Transgender!“

Hip-Hop-Elektro-Punk-Rock mit Gustav und Jason Forrest/Donna Summer.

Das Ballhaus Naunynstraße startet durch und bietet ein umfangreiches Programm selten gehörter Musik und Klangkunst. Heute beehrt nun die Österreicherin Eva Jantschitsch alias Gustav den altehrwürdigen Kreuzberger Saal. Überraschend spielt sie nur wenige der bereits bekannten Songs, kaum einen ihrer Hits, aber dafür ganz neue Songs, die durch überraschende Klangwechsel und Fräulein-Humor bestechen und von ihr nach wie vor mit politischem Klartext gepaart werden.

Im Vergleich zu ihrem Debut im letzten Jahr wirkt sie insgesamt gereift und optisch der Berliner Mode angeglichen. Nicht nur der Jubel des zahlreich erschienenen Publikums gibt ihr Recht. Gustav fordert es zum Mitsingen auf, streng getrennt nach Geschlechtern: Erst die Frauen, dann die Männer. „Und jetzt alle Transgender!“ Sie ist eben eine augenzwinkernde Feministin jenseits aller Geschlechternormen.

Gustav gleitet über zu einer Kooperation mit dem Berliner Sänger Jason Forrest/Donna Summer aus New York, der die nur äußerlich zurückhaltend wirkende Keyboarderin Elizabeth King und den Gitarristen Ethan Schaffner mitbringt. Nach einer Reihe gelungener Crossover-Experimente überlässt Gustav den Saal komplett dem wilden Hip-Hop-Punk-Rocker und das Publikum einem immer heftiger werdenden Sound, der nach und nach Leute vertreibt, aber gleichzeitig eine große Fan-Gemeinde glücklich macht und die Gemäuer zum Vibrieren bringt.

Eintrittskarte Gustav Jason Forrest aka Donna Summer

Religion + x = Angst und Elend

Ich hätte gern eine Welt, in der das Ziel der Erziehung geistige Freiheit wäre und nicht darin bestünde, den Geist der Jugend in eine Rüstung zu zwängen, die ihn das ganz Leben lang vor den Pfeilen objektiver Beweise schützen soll. Die Welt braucht offene Herzen und geistige Aufgeschlossenheit, und das erreichen wir nicht durch starre Systeme, mögen sie nun alt oder neu sein.

Die Religion stützt sich vor allen und hauptsächlich auf die Angst.

Ich betrachte die Religion als Krankheit, als Quelle unnennbaren Elends für die menschliche Rasse.

Ich bin ebenso fest davon überzeugt, dass die Religionen Schaden anrichten, wie davon, dass sie unwahr sind.

Bertrand Russell
in Warum ich kein Christ bin

Mustermesse im Theaterdiscounter

Zur sogenannten Mustermesse 2, zu der neben Antrags-Veteranen wie der Absageagentur, die auf Annoncen von Unternehmen mit Absagen reagiert, auch die Bergpartei und die Sängerin wie Aktionskünstlerin Bernadette La Hengst eingeladen sind, spielt auch ein reißender Act aus Berlin: Nachlader.

Leider hat es von und für Nachlader keine Werbung für diesen Abend im Theaterdiscounter gegeben, so dass Nachlader, wie immer mit Serge Kool, vor einem kleinen und zurückhaltenden Publikum auftreten müssen und leider auch die Akustik so mies ist, dass der Wortwitz und die exakt produzierten Elektrosounds, die mit eindringlichen Beats daherkommen, hinter den eigentlichen Möglichkeiten weit zurückbleiben.

In den nächsten Tagen wird der „Sprengantrag“ vorgestellt, der aus einer Sammlung abgerissener und abrissbedrohter Gebäude besteht und gleichzeitig ein Manifest des Widerstands ist.

Adrienne Goehler, die ehemalige Kultursenatorin von Berlin, die als Chefin des Hauptstadtkulturfonds wahre Wunder vollbracht bwz. finanziert hat und die eine glühende Verfechterin des Palasts der Republik ist, wird aus ihrem Buch vorlesen, das sich mit Visionen für eine menschlichere und von Kultur bestimmten Gesellschaft beschäftigt und das auch klare Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen enthält und begründet.

Die Mustermesse verspricht also spannend zu werden und positive Sprengkraft zu versammeln, bei der sich die widerständigen Menschen in der Gesellschaft konkrete Bespiele an- und abschauen können und bisher Unbeleckte vielleicht Anhaltspunkte erhalten.

Mustermesse 2 Messe für Antragskultur Messeplan Nachlader mit Serge Kool

Zwangsarbeit mit Olga Benario

In der Galerie Olga Benario in Neukölln wird heute ein Film über Zwangsarbeit im Dritten Reich gezeigt. Der Film beschäftigt sich neben dem kollektiven Schicksal Abertausender vor allem auch mit Einzelfällen, bei denen die Betroffenen selbst zu Wort kommen.

Die kleine Galerie zeigt vor allem Antifa-Ausstellungen und bietet reichhaltige Informationsmöglichkeiten. So werden in der derzeitigen Kunst-Plakat-Ausstellung aktuelle Verschlechterungen wie die fortschreitende Entrechtung in Arbeitswelt und Gesamtgesellschaft thematisiert, und glücklicherweise wird nicht darauf verzichtet, die Schuldigen zu benennen.

„Rettet den Reichtum“: Texte, Collagen und Montagen zur Politik des globalen Kapitals. Eine Ausstellung der Arbeiterfotografie. In den Veranstaltungen geht es um die Geschichte des „Arbeitszwangs“, von den ersten Arbeitshäusern über Notstandsarbeit, Arbeitsdienst, Zwangsarbeit, bis zum aktuellen Ein–Euro-Job.

„Ich habe für das Richtige, das Gute, das Beste auf der Welt gekämpft.“

(Olga Benario)

Galerie Olga Benario

Überraschung im Café Kranzler

Das Café Kranzler ist Inbegriff westdeutschen Wirtschaftsaufbaus, der in den 50er Jahren in der Wiederbelebung der Flaniermeilen am Kudamm seinen Ausdruck fand. Das schon damals traditionsreiche Café Kranzler wurde zu jener Zeit in seiner heutigen Erscheinung errichtet. Es gilt als teuer aber lohnend und ist ein Markenzeichen der Westberliner Kaffeehauskultur.

Lange haben wir gezögert und Vorfreude für den Besuch des Café Kranzler aufgebaut. Was uns dann im Rund des Cafés erwartet, lässt sich in etwa so zusammenfassen: Eine Enttäuschung nach der anderen. Zunächst noch scheint alles gut zu werden. Die Auslage bietet über fünfzehn verschiedene Torten und Kuchen, wenn auch keinen Streuselkuchen. Wir setzen uns auf die berühmte Terrasse und genießen den Blick ins Werbe-Eldorado der City West. Von überall her drängen sich Werbelogos bekannter und weniger bekannter Unternehmen auf, seit kurzem sogar vom Dach des denkmalgeschützten Hochhauses am Zoo, wo nun eine stadtweit sichtbare Bayer-Reklame installiert wurde.

Als nächstes fällt auf, das Tische und Porzellan nicht zusammenpassen und die charakteristischen rot-weißen Geranien zwar herrlich anachronistisch wirken, jedoch die ansonsten stillose Dekoration nicht aufwiegen können. Die Preise sind wie erwartet hoch, die Bedienung unerwartet unherzlich und desinteressiert.

Der Kuchen wird in ungewohnt kleinen Stücken serviert, lässt sich aber auch nur mit Mühe genießen. Nach alter Tradition, die heute unüblich – mit Recht, möchte man sagen – geworden ist, werden die Kuchen mit reichlich Buttercreme angerichtet, lassen aber leider jeden Hinweis auf gelungenes Konditorei-Handwerk vermissen. Es scheint so, als seien den immergleichen Buttercreme- und Biscuit-Schichten einfach Aromen beigemischt, die Birne und Mango und dergleichen imitieren. Zur Krönung erhalten die Buttercreme-Häupter obenauf ein matschiges, kleines Stück Frucht aus der Konservendose. Die Getränke sind klein und werden lieblos dargereicht, teilweise nebst verschwindend kleinem, brüchigen Keks. Die Schokolade wird mit billiger Sahne aus der Tube angerichtet, die Schokolade selbst ist zwar nicht einfach ein Kakao, sondern wird aus bitterer Schokolade gewonnen, schmeckt aber nach Automatenware.

Fast ungläubig starren wir am Schluss auf die beinah einzige erfüllte Erwartung: Das Kranzler wird von einer bestimmten Sorte „Wilmersdorfer Witwen“ beehrt: Stolze Nazi-Witwen, die vermutlich im Zweiten Weltkrieg ihre Männer verloren, welche nicht eben selten in höheren Rängen den Terror befehligten. In unsagbar überkommener Kleidertracht, in Buntfaltenrock und gesteifter Spitzen- und Rüschenbluse, sowie in damaliger Frisurenmode, erscheinen sie beim Kaffeekränzchen im abgewirtschafteten Kranzler wie Exemplare eines überkommenen Geistes. Möge ihnen die Buttercreme die Mägen beunruhigen.

Café Kranzler Mitten im goldenen Westen Vielen Dank für Ihren Besuch

Ja, wir Wilmersdorfer Witwen verteidigen Berlin,

sonst wär’n wir längst schon russisch, chaotisch und grün.

Was nach uns kommt ist Schite,

denn wir sind die Elite.

(aus Linie 1)