Avantgarde verpflichtet

Heute vormittag weckte mich die Sonne. Derart sanft und überaus zärtlich geweckt, beschloss ich, dem Tag etwas ganz und gar Erhabenes zu verleihen. So eilte ich zu einer – die zeitgenössische Gesellschaft, in der wir leben, bezeichnenden, weil spärlich besuchten – Filmaufführung. Nie zuvor habe ich einen Film von Werner Schroeter gesehen; nun muss ich wirklich sagen, dass ich dies bereue.

Vor nicht einmal zwei Wochen ist er verstorben, daher sprachen vor der Aufführung noch Elfi Mikesch, Rosa von Praunheim und Ulrike Ottinger, die recht treffende Worte fanden über Vergangenheit und Gegenwart der Bedingungen des Schaffens. Die Ottinger wollte jungen Menschen Mut machen, es zu wagen, den eigenen Ausdruck zu finden und ihm kompromisslos, gegen alle Widrigkeiten, zu folgen. Rosa sprach davon, dass Werdegänge wie der Werner Schroeters oder einer der (anwesenden) Kollegen heute nicht mehr möglich seien, denn damals, als sie begannen, haben Strippenzieher in den Medien – ob offen oder heimlich – so manchen Regisseur und so manche Filmemacherin protegiert, um an der Modernisierung der Gesellschaft teilzuhaben, Verkrustungen aufzubrechen. Das werde nun für lange Zeit nicht wiederkehren, so die nüchterne Analyse.

Dem stimme ich vorbehaltlos zu – und doch möchte ich alles in meiner Macht stehende dafür tun, dem entgegenzuwirken.

Jene Persönlichkeiten, in deren Sphäre auch Ingrid Caven beheimatet ist, empfinden eine ähnlich starke, poetische Autonomie. „Der Rosenkönig“ – ein Film, in dem jedes einzelne Bild, jede Perspektive wunderschön ist, dabei mehrfach gebrochen – im Sinne von Bedeutung und Hintersinn steigernder Intensität – an Ruinösem, also nicht etwa auf Hochglanz poliert. Mit einer unfassbar starken Magdalena Montezuma – einer Sehenden, an deren debil funkelnden Ausdruck allenfalls die ihr wie aus dem Gesicht geschnittene Cora Frost heranreichen mag -, die zwei Wochen nach dem Dreh ihrem Krebs erlag, zu gern jedoch bereits während der Arbeit gestorben wäre.

Solch ein Werk ist von der Poesie des Schöpfens wie der des Scheiterns, des Nicht-Sein-Könnens durchtränkt, und doch befeuert es die Lust auf gerade genau diese höchsten Formen des Werdens.

Ihre und Eure Ostprinzessin

Einladung

A Single Man

Und diese wundervoll aufgeräumten Bilder! Solche Mühen machen sich nur sehr wenige Filmer. In vielen Filmen bis in die 60er Jahre hinein war sie nicht unüblich, diese Liebe zum Detail, auch wenn nicht immer gleich solch poetische Einstellungen entstanden wie jene in A Single Man.

Sein Herz zerbrach unter dem Druck des Schmerzes am Verlust seines Liebsten.

Ehrlich. Reduziert. Sinnlich. Liebend. Gesehen im Kino International.

A Single Man, Eintrittskarte Kino International

TRUST

Ein überzeugendes Stück von Falk Richter und Anouk van Dijk, voller Kraft und Leidenschaft, revolutionär geneigt.

TRUST, das halb getanzt, halb gesprochen und in beiden Formen zu annähernd 100% ausgeformt erscheint, handelt vordergründig von zwischenmenschlichen Beziehungen, genauer gesagt jenen schlimmen Dingen, die sich Partner antun. Was hier stimmt, das ist dort – in der Frage des kapitalistischen Wertesystems – nicht weniger richtig. Und die Metapher funktioniert. Ein selten humorvolles Stück ist dabei herausgekommen. Was viele kaum zu denken wagen, wird hier zum eigentlichen Thema: Finanzjongleure haben unser kapitalistisches System und den Glauben daran stärker und nachhaltiger zerstört als es sich die RAF in kühnsten Träumen ausmalen wollte.

Was kann ich tun? Soll ich mir ein Che Guevara Shirt bei Prada kaufen und damit über den Kudamm laufen? Wer solche Fragen stellt, will seine Ohnmacht nicht verschweigen; und dann gibt es da noch die Last der guten Vorsätze und Gedanken, die schlauen Bücher im Keller, die – gelesen – in ihrer Gesamtheit schwer wie Blei auf dem Einzelnen lasten.

Das durchaus heterogene Publikum quittiert diese Neigung zur Wahrhaftigkeit mit warmem Zwischenapplaus und tosenden, lang anhaltenden Ovationen, die mir nur noch aus anderen, das gleiche Thema behandelnden Aufführungen bekannt sind. Überraschend scheint, wie sehr sich auch offenkundig gutsituierte Theaterzuschauer den Kapitalismus vom Halse wünschen. Die Menschen im Publikum machen sich quasi Mut, es zu schaffen, doch tun sie am Ende vielleicht doch nur das, was ihr Gewissen von ihnen erwartet: Sich darin versichern, dass s i e ja nicht mitmachen in diesem Spiel, welches sie allerdings gerade gewinnen?

TRUST, Schaubühne Ein Projekt von Falk Richter und Anouk van Dijk TRUST