«Plattgefickt»

Im Tipi am Kanzleramt: Sven Ratzke und Ellen ten Damme in Entertainment-Höchstform. Unterhaltsamer Trash ohne Fehlzündungen, nicht aber ohne künstlerische Fehlgriffe und allzu kalkulierte, «plattgefickte» Comedy; in positiver Weise befremdlich in Energie und Willen zum großen Showformat. Mit einem klasse Antikriegssong.

Im Publikum: Cora Frost, Zazie de Paris, Bridge Markland und Gitte Haenning.

Rollrasen im Garten Eden

Wieder war ein Stück guten Glücks der Übermacht einiger traumloser Gesellen in Regierung und Planwirtschaft zum Opfer gefallen. Und das Volk in seinen Gattern nahm dies hin, nicht alle und nicht alles freilich und auch nicht sofort, aber die allermeisten von ihnen später dann doch. Die märchenhafte Wildnis im endzeitlichen Zauberwald inmitten der weitläufigen Stadt trug den ungeliebten Stempel der Freiheit. So viel grobe Ungewissheit weckte Argwohn nicht nur bei den zuständigen Behörden. Jener verwunschene Ort ist daher längst Geschichte; was von ihm blieb, ist Erinnerung.

Löcher in den Zäunen ringsum dienten als Ein- und Ausgang. Die Menschen betraten das Areal, auch wenn dies selbstverständlich nicht gestattet war. Jeder Übertritt markierte den ungesetzlichen Akt der Selbstbestimmung. Das informelle Naturerlebnis jenseits der engen Häuserschluchten begeisterte seine Entdecker. Verfallende Ziegelbauten aus den Zeiten des bahnwirtschaftlichen Betriebs boten ihren Bewohnern eine karge Heimstatt, natürlich widerrechtlich. Mancheiner, der die Rechthaberei der Einfaltsgesellschaft satthatte, fand hier ein trautes Plätzchen, schlug sein Lager auf, ein Zelt: Improvisierte Heimat fernab von Hype und Habsucht einer zur Gefräßigkeit erzogenen Metropole, Lagerfeuerromantik jenseits des überbemühten Wohlstandsklischees.

Wald sah man dort vor lauter Bäumen nicht. Diese durchaus gesprächigen Zeitgenossen flüsterten ihren heimlichen Besuchern Geheimnisse ins Ohr, und als Zeugen der Melancholie ragten sie weltverloren ins Alles und Nichts der schwer zugänglichen Lichtungen. Buschwerk überwuchs Aufschüttungen und Untiefen. Verkohlte Balken stürzten von den Gemäuern der Ruinen und luden zum Verweilen ein. Rostende Signalmasten signalisierten dem sie belagernden Dschungel die Bereitschaft zu ewigem Ruhestand in Einheit mit Mutter Erde. Und Dunkelheit blieb Dunkelheit, keine Funzel leuchtete Spaziergängern den Weg. Selbst wer ihn kannte, konnte nach Sonnenuntergang rasch die Orientierung verlieren und musste nun den Entschluss fassen, sich einer neuen zu bequemen.

Vielleicht stieß ihn die ungewohnte Losigkeit in eine Not, die ihn nachdenklich machte und ihn am steilen Hang eines erweiterten Bewusstseinstrebens wieder zu sich finden ließ. Vielleicht auch schlich er zu den Wilden ans Lagerfeuer. Man mochte kaum glauben, wieviele Menschen des Nachts in düstrer Wildnis anzutreffen waren. Wer allein sein wollte oder allein unter Gleichgesinnten, suchte sich irgendwo in diesem zentral gelegenen Abseits ein schönes Plätzchen, an das niemals ein Landschaftsplaner Hand angelegt hatte und welches nur genau deshalb alle Kriterien erfüllte, die man sich von diesem Ort versprach: Ruhe, Erholung und Spaß an der Entdeckung.

Wer raus wollte aus dem Trott der Angepassten, folgte einfach dem Schienenverlauf. Verwaiste Gleise aus dem Zeitalter der Industrie führten geradewegs ins ungeplante Durcheinander und entgleisten imaginäre Eisenbahnzüge ins Reich der Fantasie. Die Tore nach Utopia standen weit offen, einen Moment lang nur, einen Augenblick zu lang. Da hätte ja wer weiß was passieren können. Das durfte nicht sein. Abhilfe fand man schließlich in Form einer groß angelegten Grünflächenplanung nebst Bebauung.

In Erinnerung an einen Ort, den es offiziell nie hätte geben dürfen.

Kunstwerkaktivierung

Unter dem vielmeinenden Titel „Transport“ zeigt eine Ausstellung im Foyer der Kunsthochschule Weißensee die neuesten Kunstvorschläge der Damen und Herren Johannes Bidmon, Manuel Kirsch, Marlene Burz, Martin Maeller, Moreen Vogel, Nina von Seckendorff, Nora Arrietta und Pauline Faucheur.

Anlässlich der Eröffnung und zum Zwecke der Sinnstiftung sowie Bestimmung seiner kunsthaften Expressionen hatte der künstlerische Nachwuchs geistliche Verstärkung eingekauft. Der transportable freiberufliche Heilpraktiker und Diplomökologe Manuel Breuer anerbot schamanisches Geschick, und fertig war die Laube.

Der Reihe nach wurden die im Raum befindlichen hölzernen Transportkisten von einem fachkundigen Kunstjüngling per Akkuschrauber geöffnet und damit auch den umstehenden Schaulustigen visuell eröffnet. Kurz darauf näherte sich dann der spiritistische Praktiker dem jeweiligen Kunstkisteninhalt und schwenkte würzigen Weihrauch. Hernach aktivierte der sachverständige Stadtschamane vermittels ritueller Klänge und Gesänge, Tänze und Anschauungsmomente die in den Kisten befindliche Kunstwerkware. Ihrerseits steht einer sinnvollen Existenz nun also nichts mehr im Wege.

Im Anschluss an gewiss nicht unverdienten Applaus reichte man dem vom Kunstschamanismus noch ungesättigten Publikum Salz an Stangen zu Wasser und Wein. Derweil legte der Transportschamane Maske und Federschmuck ab und kehrte zurück ins Reich der Scharlatanerie.

„Wenn Etwas den Ort wechseln soll, dies aber nicht aus eigener Kraft oder aus eigenem Willen tut, wird die Reise zum Transport. Die Transporthülle schützt das transportierte Gut vor äußeren Einflüssen oder die Außenwelt vor dem Transportgut. Sie verbirgt ihren Inhalt vor unseren Blicken. Deswegen können wir unsere Ahnungen ins dunkle Innere der Hülle projizieren, bis das Öffnen der Transportkiste scheinbar Klarheit bringt. Aber was ist eigentlich angekommen? Transportiert ein kultischer Gegenstand das Ritual, für das er geschaffen ist? Lässt sich ein Kult verschiffen? Gibt es einen blinden Passagier? Oder sehen wir Gespenster?“ www.kh-berlin.de

Ende gut, alles gut

Bezaubernd varietistisch. Ein Schmunzelfest für alle Liebhaber absurder Theatralität in intellektuellen Überschlägen. Eine starke Ensemblearbeit bestens harmonierender Akteure, deren Spiel seinen Platz im zauberhaften Gefüge der rasch wechselnden Szenen mühelos findet. Einfalt weicht fesselnder Spiellust. Nur wenige Fehltritte trüben die Wirkungsmacht einzelner Sequenzen, en gros aber trägt sich dem Zuschauer die Gewissheit: Diese Interpreten wissen, was sie mimen und sie tun es ausgesprochen gern.

Am Ende wird sich ein Schauplatz ungeahnt morbider Nonchalance entfaltet haben. Am Ende? Ja, denn letztlich zieht es dann doch herauf, und mit ihm nun auch die Vergängnis des jähen Aufblühens einer verloren geglaubten höheren Hoffnung in das Sujet Theater. Jene Hoffnung zelebriert in „Es gibt kein Ende“ eines ihrer raren Comebacks,  infolgedessen sich der unvermittelte Einwurf „Ich meine, es gibt Gerechtigkeit in der Welt, aber warum kommt sie so spät?“ als vielmeinende Weisheit bezeugt.

Das Theaterdiscounter-Publikum dankt dies mit warmem Applaus, gleichwohl unüberhörbar bleibt, dass absurdes Theater beileibe nicht jeden zu erreichen vermag und wenige nur in Herzensnähe. Am kurzweiligen Spiel, dem fabelhaften Bühnenbild, der innervierenden Inszenierung oder der finessenreichen, lyrischen Sprache der überaus tragisch verstorbenen Autorin Anna Jablonskaja wird es nicht gelegen haben können.

„Die Welt enthält keine Fragen. Nur Antworten. Unsere Aufgabe ist es, zu jeder Antwort die richtige Frage zu finden“, heißt es in Anna Jablonskajas Stück. In 15 ebenso prägnanten wie humorvollen Szenen entsteht ein Geflecht aus Beobachtungen, Begegnungen und Zwiegesprächen in Vergangenheit, Gegenwart und virtueller Welt, mit Anklängen an Zwetajewa, Brodsky und Goethe, eingebettet in den literarischen Kosmos Europas. Mit Es gibt kein Ende setzt Anna Jablonskaja die avantgardistische Tradition des russischen Theaters fort. „Wir denken, dass wir mit der Geburt einen Namen erhalten. Aber das stimmt gar nicht. Wir bekommen ein Pseudonym, aber den Namen erfahren wir nicht.“ Ein Erfinder, ein Mädchen, Menschen mit bunten Haaren, aber auch Goethe und Werther, die Gesichtsmuskeln und ausgesuchte Vulkane begeben sich auf die Suche nach den richtigen Fragen. Wenn der Mensch mit grauem Haar seinen Arbeitsalltag als Verlieren von Zeit beschreibt, das Mädchen ihre Sucht Kleinbus zu fahren beichtet und Ararat und Vesuv darüber streiten, wer von beiden echte Asche oder doch nur schleimigen Auswurf spucken kann, so geraten gesicherte Weltzusammenhänge im Großen und Kleinen aus den Fugen. Gegenstände und Umgebungen treten aus ihren vertrauten Zusammenhängen heraus, Figuren nähern sich an, um gleich darauf die herkömmlichen Zeitverankerungen zu durchbrechen. „Es gibt kein Ende“ mit Christine Diensberg, Lucie Mackert, Robert Arnold, Endre Holéczy und Johannes Karl. Zimmertheater Tübingen und Ruhrfestspiele Recklinghausen. Regie: Christian Schäfer.

Paradies: Glaube

Ulrich Seidls nahezu unspektakulärer Spielfilm über Bigotterie und innere Not, Menschenwürde und sexuelle Lust am Katholizismus. Paradies: Glaube, hautnah und schonungslos interpretiert von Maria Hofstätter. Mit virtuosen Verweisen auf die großen Fragen des Lebens – Selbstverwirklichung, Sinn und Herkunft, Macht und Ohnmacht, Liebe und Hass –, ohne dabei die kleineren menschlichen Nöte und Vorlieben außer Acht zu lassen. Paradies: Glaube, ein pädagogisch wertvoller, in vielerlei Hinsicht zeitloser, hervorragend abgewogener Lehrfilm für Pharisäer, Kulturseismologen und Röntgenassistentinnen, Theologiestudenten und Teilnehmer des Vatikanischen Konzils, sowie für Schulkinder ab der 3. Klasse.

Im Kant Kino.