Ein subjektiver Bericht über Terror, „Touristen“ und die Ignoranz der Macht – mit objektiven Tatsachen und einem Bezirksbürgermeister, der sich von seiner schlechtesten Seite zeigt.
Roma leben im Terror. Das ist nichts Neues. Vor etwas mehr als 60 Jahren beschlossen die Mächtigen in diesem Staat die Vernichtung der Sinti und Roma. Und sie kamen ihrem Ziel gefährlich nah: Hunderttausende wurden gemordet. Weiten Teilen der Bevölkerung schien das nicht ganz unrecht zu sein, denn Viele verbanden mit den „Zigeunern“ vor Allem Schmutz und Kriminalität. So ist es geblieben.
Einer unsäglichen, Jahrhunderte alten „Tradition“ folgend müssen Sinti und Roma auch heute überall in Europa mit Repressionen rechnen; diese sind ihr täglich Brot. Viele leben weit unter den Armutsgrenzen, ohne Schulbildung und ohne Rechte. In manchen Ländern Mittel- und Osteuropas werden ihre Häuser niedergebrannt, Mordkommandos machen Jagd auf sie. Aber auch in deutschen Landen lebt es sich durchaus gefährlich, wie die Übergriffe auf Heime belegen. Lebensfeindlich gebärt sich ihre Umwelt allemal, denn Rassismen sind hierzulande so verbreitet wie Bausparverträge. Roma bilden das unterste Glied einer Kette von Missliebigen und genau dies macht ihr besonderes Leid aus. Die schlimmen Erfahrungen führen auch dazu, dass sie sich ein Stück weit von der Mehrheitsgesellschaft abkapseln müssen. Viele lesbische und schwule Menschen beispielsweise kennen dieses Phänomen aus eigener Erfahrung.
Dunkel leuchtende Vorahnung
Es ist eine weit verbreitete Vorstellung, Roma würden überwiegend nomadisch leben. Tatsächlich ist es umgekehrt: Die meisten wohnen schon seit Generationen an einem festen Ort. Offenbar in dunkler Vorahnung hatte ich in die aktuelle Ausgabe der *schnuppe einen Abriss über die Verhältnisse in einer der ältesten Roma-Viertel der Welt aufgenommen:
Başka Bir Sulukule Mümkün!
Das Stadtviertel Sulukule in Istanbul gilt als das älteste Roma-Viertel der Welt. Roma leben hier seit mehr als tausend Jahren.
Vor ein paar Jahren hat die Regierung den Abriss beschlossen. Die Arbeiten haben begonnen. Geschaffen werden soll eine „Museumsstadt“ mit historisierenden Neubauten osmanischen Stils.
So wie in anderen Verherrlichungsinteressen und Profitdruck unterworfenen Städten, gibt es auch in Istanbul einen verzweifelt geführten Kampf gegen ungerechte Stadtumstrukturierung, Spekulation und Verdrängung. Allein in Sulukule sind etwa 3.500 Menschen von Umsiedlungsplänen direkt betroffen. Für nicht wenige von ihnen bedeutet die damit einhergehende soziale und kulturelle Entwurzelung eine schwer tragbare Belastung.
Dem hatte ich ein Zitat beigefügt, welches das grundsätzliche Dilemma der Roma in einfachsten Worten beschreibt: „Wo sollen wir leben? Uns will doch niemand.“ Und auch Kreuzberg bildet da keine Ausnahme. Denn Ausnahmen werden nicht geduldet. Befürchtet wird ein politischer Dammbruch. Ist erst einmal ein Präzedenzfall geschaffen, könnten die Probleme für die an repressive Gesetzgebungen gebundenen Verwaltungsapparate ins Unverwaltbare wachsen.
„Wir haben geprüft“
Eben diese Apparate fanden sich am gestrigen Nachmittag zusammen mit dem grünen Bezirksbürgermeister Schulz, einigen Roma und Angehörigen der von der Politik so gefürchteten Hausbesetzer-Szene im Rathaus Kreuzberg ein. Der BVV-Saal sei belegt, hieß es zunächst – nein, war er nicht. Der erste Versuch, das Ganze klein zu halten, war schon mal gescheitert. Immerhin 70 Personen nahmen am eckigen Runden Tisch Platz, die Mächtigen wie selbstverständlich auf höheren Plätzen. Grüner und parteilinker Zeitgeist im Jahre 2009 eben. Im Publikum fanden sich neben verschiedenen Presseleuten auch viele Angehörige des Wagenplatzes Schwarzer Kanal. Aber auch auf dem Podium lesbelte es: Motorradliebhaberin Katina Schubert war von Sozialsenatorin Knake-Werner entsandt worden und betonte, dass sie sich über den gegenwärtigen Rassismus durchaus bewusst sei, aber leider kein gutes Angebot machen könne. In dieser Art zelebrierten alle Verwaltungseinheiten ihre selbstgewählte Ohnmacht. Wir haben das und das geprüft und sind zu dem und dem Schluss gekommen, nämlich dass Sie hierauf und darauf keinen Anspruch haben.
Denn die Roma seien ja als Touristen hier. Das hatten Franz Schulz und andere Politschranzen bereits im Vorfeld betont. Und sie wurden auch am Eckigen Tisch dieser zynischen Sprachregelung nicht überdrüssig. Die erste Wahl aller Verwaltungseinheiten stellt das Ausreiselager Motardstraße in Spandau dar. Hier sei es schön kuschelig – wie auch die RBB-Abendschau eiligst in einem Beitrag „belegte“ – und außerdem sei man der großherzigen Geste, die „Rückführung nach Rumänien“ zu bezahlen, nicht abgeneigt.
Diesem Vorschlag wurde seitens der Roma und ihrer von Moderator und Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler (LINKE) als „Fürsprecher“ verniedlichten Begleitpersonen vehement widersprochen. „Dort leben ist wie im Knast“, übersetzte die ansonsten wenig geliebte Gemeindeübersetzerin den Einwand der Roma aus dem Rumänischen. Bethanien hingegen konnte mit Romanes-Übersetzer prahlen. Die bessere Organisation, auch in dieser Hinsicht. Nach einigen ausufernden Eiertänzen mit der Politik gab es dann die Vereinbarung, Wohnungen und Heimplätze für die Roma-Familien zu finden. Für wie lange, das mochte niemand sagen. Und es interessierte die Politniks auch gar nicht. Franz Schulz beispielsweise ritt lieber unentwegt darauf herum, dass es im Bethanien eine „illegale Besetzung“ der Räume im Erdgeschoss des Südflügels gibt. Dort wurden die Roma nach Tagen kaum ertragbarer Enge in den Projektetagen darüber im Zuge eines selbstbestimmten Aktes untergebracht. Und Holzfällerhemd-Liebhaberin Monika Herrmann – ihres Zeichens Familienstadträtin – sprang erst in der Endrunde auf, lüftete ihren Platz auf der Regierungsbank und stellte klar: „Ich als Jugendstadträtin sage mal: Es drängt. Besonders für die Kinder.“ Sie habe bereits im Görlitzer Park deaskalierend eingegriffen, indem sie das Jugendamt nicht hätte einschreiten lassen und außerdem habe sie ja die Unterbringung im Bethanien akzeptiert.
Stellvertretertränen
Das Engagement der NewYorck im Bethanien zu würdigen, das fiel allen Politniks schwer. Lediglich einer der amtlichen Verwaltungsmenschen sprach davon, dass er es gern gesehen habe, dass die Roma im Bethanien aufgenommen worden seien. Glücklicherweise fand der Sprecher der Roma ein paar angemessene Worte und äußerte den „herzlichen Dank“ der betroffenen Roma: In Deutschland gäbe es viele Menschen mit großem Herz. Spontan bekam ich feuchte Augen, Tränen der Rührung. Obwohl ich doch gar nichts gemacht hatte, diesmal. Stellvertretertränen also.
In Schulz-typischer Arroganz verkündete selbiger seine Sicht der Dinge bereits vorab im Tagesspiegel: Es handle sich bei den Roma nicht um Flüchtlinge oder Asylbewerber, sondern „um Touristen, die ohne Dach über dem Kopf campieren.“ Dass der Projektezusammenhang NewYorck den Familien Unterkunft gewähre, nannte er – mit fuchsigem Unterton – „eine generöse Geste“. Allerdings sei das Ganze nun ein „privates Problem“ der Gastgeber. Wir erinnern uns: Roma sind das letzte Glied der Kette. Rechte haben sie oft nur dann, wenn sich Andere für diese einsetzen. So wäre es auch nie zu einem Runden Tisch gekommen, wenn die NewYorck nicht beherzt eingegriffen hätte. Aber davon will man in der etablierten Politszene lieber nichts wissen und deshalb wurde ein ums andere Mal herumgesabbert, man wolle direkt und ohne Mittler mit den Roma ins Gespräch kommen. Ja dann wäre wohl Einiges etwas anders gelaufen.
Wer etwa ein beherztes Lösungsangebot seitens der Politik erwartet hatte, hätte sich schlecht beraten. Sehr schlecht, denn Franz Schulz hat einfach Recht: Roma sind selbstverständlich als Touristen hier. Wohnen kostenfrei, gehen tagsüber auf Sightseeing-Tour und Papa Roma bringt der 7-köpfigen Familie abends Souvenirs mit – kleine Brandenburger Tore, Reichstage und Wimpel zum 60-jährigen Bestehen des Reichs. Das kulturelle Abendprogramm besteht aus Versteckspielen mit der Polizei; Verachtung und Beschimpfung gibt’s gratis dazu, an jeder Ecke. Ach wie herrlich ist das Touristenleben!
Ostprinzessin