Kirchner beleidigt Bürgerinitiativen und erhält Quittung in gleicher Höhe
Was wir bislang vor Allem vom grünen Bürgermeister Dr. Franz Schulz in Kreuzberg und Friedrichshain gewohnt waren, hat offenbar Schule gemacht: Auch im Prenzlauer Berg werden Initiativen hart angegangen, wenn sie sich gegen die Politik der grünen Karrieristen an der Macht wehren. Einen „Grundhass gegen den Staat“ attestiert Stadtrat Jens-Holger Kirchner seinen Bürgern. Doch brav wie die Bürger im Prenzlberg heutzutage eben sind, zeigen diese sich darüber „bestürzt“ und nicht etwa bestätigt.
Was in Teilen Kreuzbergs womöglich einigen Stolz auslösen könnte, gilt den Prenzlbergern im größtenteils längst in bürgerliche, künstlerische und kreative Langeweile gekippten Kiez um die Kastanienallee und die Oderberger Straße als Beleidigung. „Zutiefst anarchistisch und Feinde der öffentlichen Ordnung“ – nein, das ginge ja nun wirklich zu weit! Lieber setzen „wir, die anliegenden Bürger“ auf eine „Erneuerung der Gesellschaft“, Ivan Illich zitierend: „Der erste Schritt dazu ist eine skeptische, respektlose Einstellung der Bürger gegenüber dem wissenschaftlichen Experten.“
Bei allem bürgerlichen Enthusiasmus haben die Prenzlbürger aber nicht verlernt, wie man einen Stadtrat zurechtweist und das lässt mich – nach nun sieben Jahren Wohnhaft im Prenzlauer Berg – beinahe wieder auf bessere Zeiten hoffen. Bravi!
Sehr geehrter Herr Kirchner,
an verschiedenen Baustellen (!) streiten Sie und wir in unserem Bezirk für gemeinsame Ziele. Zuletzt haben wir uns gemeinsam FÜR die Einführung der Parkraumbewirtschaftung im Prenzlauer Berg eingesetzt. Über die zukünftige Baustelle in der Kastanienallee konnten wir uns bisher NICHT verständigen, obwohl wir Ihnen eine Steilvorlage nach der anderen für eine einvernehmliche Gestaltung dieser im Bezirk Pankow einmaligen Straße gegeben haben.
Nun aber bestürzen Sie uns mit Äußerungen in der Tagespresse – und wir hoffen, Sie wurden falsch zitiert, wie es ja auch auch uns passiert – die Sie in die Niederungen des Populismus führen. Mit diffamierenden Aussagen über die Anwohner des Kastanienallee-Kiezes und deren legitime Sorgen um ihr Lebensumfeld verteidigen Sie Ihre kompromisslose Haltung. Sie attestieren den Bürgern einen „Grundhass auf den Staat“ und ein „Grund-Misstrauen“ gegen die Verwaltung, und „Angst vor der Veränderung“ einer „Spielwiese“ (Berliner Zeitung vom 12.6.2009). Und: „Man muss auch realistisch bleiben“ (Berliner Kurier 12.6.2009).
Wir entnehmen diesen Zitaten, dass wir, die anliegenden Bürger, in Ihren Augen kindisch und lebensfern sind, unrealistisch und geistig unbeweglich, zutiefst anarchistisch und Feinde der öffentlichen Ordnung. Aber Sie, als Stadtrat dieser öffentlichen Ordnung, stellen mit tapferer Unbeugsamkeit als „Grüner Sheriff“ (Berliner Kurier 14.2.2009) sicher, dass selbige für die übrigen braven Bürger erhalten bleibt.
Die Wahrheit ist schon auf fast erschreckende Weise das Negativ Ihrer eigenen Selbstwahrnehmung: das von Ihnen als ausreichend betrachtete sogenannte „Beteiligungsverfahren“ musste Ihnen erst per BVV-Beschluss aufgezwungen werden. Sie hegen ein Grund-Misstrauen gegenüber den dummen Bürgern, die dem Hoppla-Hopp ihrer Planung im Wege stehen. Ihre, für die bedächtig und akribisch vorgetragenen Einwände der Anwohner, tauben Ohren schüren erst das Misstrauen der Bürger. SIE und Ihre Verwaltung haben sich als unbeweglich erwiesen. Oder wie würden Sie es nennen, wenn von 100% IHRER Forderungen 5% umgesetzt werden? Einen Kompromiss?
Kompromisse haben dagegen die Bürgerinitiativen gemacht. Auf die Ablehnung von „Shared Space“ und „Fußgängerzone“ – alles keine abwegigen Ideen, die unsere „Angst vor Veränderung“ beweisen könnten – haben wir mit detailgenauen und sachkundigen Lösungen geantwortet, auf die Bezirk und Senat konsequent in kompromissloser Bürokratenmanier reagierten.
Die „Angst vor Veränderung“ treibt die Bürokraten um. Die Angst vor Demokratie und ernsthafter Bürgerbeteiligung, welche die Plan-„Spielwiesen“ austrocknen könnten, die immer noch so absurde Monster hervorbringen wie die Verlängerung der A100 für 400 Millionen Euro, mit der 200 Kastanienalleen zu lebens- und liebenswürdigen Straßen umgebaut werden könnten! Aber ach, es ist ja kein Geld da! Ja, weil gewählte Stadträte zu bequem sind sich gegen gewählte SenatorInnen durchzusetzen. Und gewählte SenatorInnen keinen Mumm gegenüber den gewählten BundespolitikerInnen beweisen. Auch dass wäre „Demokratie von unten“!
Stattdessen schielt der von den Bürgern gewählte Stadtrat lieber auf den Bürger-Meisterposten, der auf dem Spiel stünde wenn der Stadtrat aufmuckt. Dabei sähen wir ihn gern in diesem Amt, wenn er nur FÜR die Bürger kämpfen würde, anstatt für altmodische Verkehrskonzepte eine lebendige Straßenkultur zu zerstören, wie uns der Verlust des Zeitungskiosk am U-Bahnhof Eberswalder Straße schmerzhaft vor Augen führt. Vermutlich war Ihnen das zu viel der von Ihnen bemängelten „Kommerzialisierung ohne Ende“, wo wir fast ausschließlich unabhängige, kreative Geschäftsleute sehen, die dazu beitragen der Straße ihr einzigartiges Flair zu geben. Den öffentlichen nicht-kommerziellen Raum für den Aufenthalt der Anwohner, für den Sie zuständig sind, zerstören und verhindern SIE mit Ihrer Planung. Ohne Not verschlechtern Sie mit einem Streich die Verkehrssicherheit für Radfahrer, die Lebensqualität der Anwohner und die Attraktivität für Flaneure. Und mit den Geldern des Städtebaulichen Denkmalschutzes“ zerstören Sie eine denkmalgeschützte Straße.
Wir fordern weiterhin eine umfassende und ehrliche Bürgerbeteiligung, statt der Willkür einer Bürgerideen-Lotterie. Desweiteren fordern wir einen Runden Tisch mit der Senatsverwaltung, Bezirksverwaltung und den Bürgerinitiativen. „Der erste Schritt dazu ist eine skeptische, respektlose Einstellung der Bürger gegenüber dem wissenschaftlichen Experten. Die Erneuerung der Gesellschaft muss vom Zweifel ausgehen.“ (Ivan Illich: Fortschrittsmythen – S.31)
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