Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) ist überraschend zurückgetreten. Sie zieht damit die Konsequenz aus der Politik des Berliner Senats. Ihr Parteiaustritt sorgt für zusätzliche Unruhe.
In den letzten Jahren hatten sich vereinzelte Brennpunkte zu einem Flächenbrand ausgeweitet. Überall in der Stadt waren neue Brandherde entstanden. Ein Blick auf die Karte lässt das tatsächliche Ausmaß allenfalls für Teile der Stadt leise erahnen. Eine vollständige Darstellung gilt auch unter activists noch immer als unleistbar.
Die demokratische Legitimation für die Politik des Ausverkaufs der Stadtplanung war zuletzt auf einen historischen Tiefpunkt gesunken. Die Selbstherrlichkeit des Senats und seiner für Planungsterror zuständigen Repräsentantin Junge-Reyer wurde in zahllosen Publikationen – von rechts bis links bis undogmatisch – immer wieder ausführlich dargestellt, mit Pokalen für Ignoranz ausgezeichnet und vereinzelt gar mit multiplen Mordphantasien beantwortet. Stadt- und Verkehrsplanung waren in den vergangenen Jahren nahezu vollständig der Baumafia und ihren angeschlossenen Funkhäusern überlassen worden. Obwohl selbst die von Amts wegen bestellten Experten vermehrt zu der Einsicht rieten, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen stärker zu berücksichtigen, wurde weiterhin nur Politik für Besserverdienende und im Interesse der „Vermarktung des Standortes“ betrieben. Alternative Ansätze wurden und werden überall in der Stadt bereits im Keim erstickt. Als Richtschnur gilt dabei: Je unkommerzieller ausgerichtet, desto schneller muss es getötet werden.
SPD, CDU und FDP trauten dem Diktat des Kapitals heilende Kräfte zu. Da auch Linke und Grüne dem Treiben wohlwollend oder müde gegenüberstanden, die Linken dem Mythos Arbeit verfallen waren und zusammen mit den Grünen – auf deren Weg ins „neue Bürgertum“ (Zitat: Renate Künast) – den Anschluss an die tatsächlich Grünen und tatsächlich Linken und die tatsächlich Undogmatischen lange schon eingebüßt hatten, entstand ein politisches Vakuum. Auch den Linken unter den Grünen und den Nichtbürgerlichen unter den Linken hatten Kraft und Mut gefehlt, den von Bertelsmann, Neue Soziale Marktwirtschaft und Co beherrschten Think Tanks etwas entgegenzusetzen.
Der jüngste und ausführlichste Beleg für die Selbstaufgabe emanzipatorischer Grundsätze ist – auf regionaler Ebene – das anti-visionäre Handeln im Sonderausschuss zu Mediaspree, wo Grüne und Linke die Mehrheit haben. In allen Berliner Bezirken zeichnet sich ein ähnliches Bild. Grüne und Linke sind schon längst nicht mehr die erhoffte Alternative und regierend nicht einmal mehr das geringere Übel. Wer das nicht glauben mag oder dies für eine verfehlte Analyse hält, der möge sich – wie ich oder Andere von uns, die das schon mitgemacht haben – zur Überprüfung einmal eine Weile den Protagonisten in der Eigenwelt der Parteien aussetzen und deren Denken und Handeln dabei genauer kennenlernen.
Was nutzt uns guter Kinderglaube, wenn die Wahrheit nun einmal ganz anders aussieht. Was bzw. wer nicht einmal auf Bezirksebene noch Hoffnungen auf soziale Vernunft zulässt – spätestens ab dem Zeitpunkt, wo Mitregieren angesagt ist – kann auf Landes- und Bundesebene allemal keine glaubwürdige Alternative bieten. Die bestehende Parteiendemokratie hat sich überlebt. Sie ist innerlich verrottet. Eine kulturell und ideologisch banalisierte Öffentlichkeit befeuert und reproduziert sie dennoch ohne Unterlass.
Gut, dass wenigstens unsere neugeborene Parteilose dies begriffen hat. Wir wünschen der altgedienten Planungsterrorgenossin Ingeborg Junge-Reyer alles erdenklich Gute in ihrem neuen Amt als Friedhofsgärtnerin auf dem Zentralfriedhof Tempelhofer Feld.
Lang lebe Ingeborg!