Mit der Raumsonde Voyager I wird 1977 ein Paket Geschichte der Menschheit ins Weltall hinausgesandt, in dem sich den findenden Außerirdischen ein Abbild der irdischen Existenz eröffnen soll. Was dieses Bild vor ihren Sinnesorganen zu verbergen versucht, sind solche Strukturen und Ereignisse, die den unheilvollen, den beschämenden Teil der Entwicklung unseres Planeten und damit auch über Leben und Tod seiner Bewohner bestimmen.
Verantwortlich für Auswahl und Zusammenstellung der auf der Golden Record befindlichen Informationen für mögliche außerirdische Empfänger zeichnet eine Gruppe von damaligen Fachwissenschaftlern. Heute, 37 Jahre später, sind bis auf einen alle tot. Die meisten von ihnen kamen verfrüht ums Leben, bei allerlei gewöhnlichen und außergewöhnlichen Unfällen oder Unglücken, und nicht wenige von ihnen nahmen sich selbst das Leben. Und genau dieser Punkt ist einer jener wenigen, die im szenischen Theaterspiel der Gruppe K.A.U. durchweg überzeugend herausgearbeitet werden. Andere Facetten indes bleiben unklar oder unzureichend beleuchtet, unverfänglich und auf merkwürdige Art allzu flüchtig. Oder vielleicht ist es auch der Stoff an sich, der längst nicht so viel hergibt, wie die Performer der Gruppe zu glauben meinen. So bleibt schlussendlich vor allem der Eindruck zurück, einem mit viel Engagement erarbeiteten und selbstbewusst präsentierten Schaustück beigewohnt zu haben, welches letztlich jedoch an der eigentlichen Aufgabe seiner Auseinandersetzung scheitert: die für das gewählte Thema relevanten Aspekte der Voyager-Mission und der mit ihr verbundenen Manifestationen, Hoffnungen, Trugschlüsse und menschlichen Abgründe auf eine Interesse weckende Weise hervorzukehren.
I occasionally think how quickly our differences, worldwide, would vanish if we were facing an alien threat from outside this world.“ Ronald Reagan zu Michail Gorbatschow, 1988.
Die Voyager Golden Record verlässt an Bord der Raumsonde Voyager 1 gerade unser Sonnensystem. Auf ihr befinden sich 115 Bilder, Grußworte in 55 Sprachen, Geräusche und 27 Musiktitel – eine Botschaft an außerirdisches Leben. Diese „gesammelte Weisheit der Menschheit“ auf der aus Gold gefertigten Platte wird vom Performancekollektiv K.A.U. seziert und schonungslos in den dreidimensionalen Raum der Bühne decodiert.
Wie kein anderes Projekt der Raumfahrt fasziniert die Voyager-Mission Menschen auf unserem Planeten. Die Voyager Golden Record ist das Kondensat der Mission: In ihrer überbordenden Eindimensionalität vereint sie Hoffnung und Versagen, Größenwahn und Beschränktheit, Fortschrittsglaube und Konservatismus einer jungen Wissenschaft. Sie soll die gesamte Welt repräsentieren, eine Einheit behaupten, wo keine zu finden ist und eine nicht darstellbare Vielfalt darstellen. Damit scheitert sie kläglich und konstruiert ein absurd-kinderbuchartiges Gesamtbild der Erde: Ohne Krieg, Gewalt, Katastrophen oder Tod.
K.A.U. nimmt die Bürde auf sich, dieses paradoxe Unternehmen zu rehabilitieren: Wie in einem Schauprozess werden die Fotos, Abbildungen, der Sound und die Musik der Voyager Golden Record zum Verhandlungsobjekt. In Versuchsanordnungen krachen Körper und Imaginationsraum, Fakt und Fiktion, Material und Assoziation aufeinander. Was bei diesem absurden Spiel um die Deutungshoheit verschiedener Symbole verbleibt, ist ein unausstehlicher Geschmack auf der Zunge aller Beteiligten.
K.A.U. sind Johannes van Bebber (Musik), Philipp Bergmann (Performance), Alexander Buers (Licht/Video), Thea Reifler (Performance) und Matthias Schönijahn (Performance).