„Hier erlebt Berlin“ verfehlte Stadtplanung

Was wir doch alles erleben müssen! Berlin erlebt immer wieder die gleichen Skandale in der Stadtplanung. Was z. B. ist der Mehrzweck der neuen Mehrzweckhalle der „O2 World“?

Sinnentleerte Eventkultur? Städtebauliche Katastrophen? Gentrification?
Fördergelder an Milliardär Anschutz – für prekäre Arbeitsplätze?
Konkurrenz für die anderen von Berlin teuer bezahlten Mehrzweckhallen?
Das alternative image von Kreuzberg und Friedrichshain neutralisieren?

„Zuschauerränge und Veranstaltungsfläche sind längst erkennbar. Europas modernste Mehrzweckhalle wächst in atemberaubendem Tempo. Am 20. September 2007 lädt die Anschutz Entertainment Group zum Richtfest der neuen O2 World ein.“

Abfall: O2 World Foto: Peter von der Eisfabrik

„Wie konnte soetwas überhaupt jemals genehmigt werden?“, haben wir uns nun lange genug gefragt. Der bezaubernde Initiativkreis Mediaspree Versenken reicht in der nächsten Woche ein Bürgerbegehren ein: Spreeufer für Alle!

Das hat Berlin noch nicht erlebt.

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Und das auch nicht: Kreuzberg Info – direkt von der Kreuzberger Basis.

Herzlich Willkommen sagt die Ostprinzessin!

Schwarze Schafe: Eine Proletensause

Verriss oder Nichtverriss, das ist hier die Frage. Um eines gleich vorab zu erwähnen: Viele Ansätze in „Schwarze Schafe“ sind interessant, schon der Titel selbst verspricht sehr viel – und einiges ist einfach toll gemacht, doch:

Voyeurismus ist unsexy. Ein paar lustige Pointen, eine gute Drogen-Exzess-Szene, ein paar geile Schwänze und ein bisschen Berlin-Propaganda ergeben noch keinen guten Film. Die Macher würden vermutlich meinen, sie bildeten doch absichtlich die Scheiße so ab, wie sie nun mal sei. Aber weit gefehlt! Sie greifen zwar unentwegt die Sinnleere der Menschen und die alltäglichen Perversionen unserer Existenz auf, aber sie schaffen es nicht einmal, entsprechend sinnige oder hintersinnige Dialoge zu verfassen. So viel missglückten Sprech habe ich im Kino lange nicht gehört. Weiter werden sie behaupten, die allgemeine Neigung zum Klischee sei notwendig und erfrischend ehrlich oder hintersinnig. Aber für was denn? Für volle Kassen vielleicht – bei einem in etwa anvisierten Publikum, das selbst noch zu wenig Erfahrungen machen konnte und deshalb zu den Protagonisten des Films wie zu Proletengöttern aufschauen darf, bzw. sich in seiner eigenen Dumpfheit suhlen kann, während es darauf verweisen wird, im Film geeignete Vorbilder entdeckt zu haben.

Wäre der Film doch wenigstens ein ehrlicher Beitrag zur Realität! Nur leider ist es gar nicht so, dass wir Menschen nur aus einem Konglomerat von Problemen, Abgründen und Desinteresse bestehen. Man muss der (harten) Realität auch keineswegs entrückt sein, um behaupten zu können, dass Menschen einander nicht immerfort nur rücksichtslos, sondern ebenso (exzessiv) umsichtig zu behandeln vermögen. Und die Feinde unserer Selbstfindung sind nicht in erster Linie in uns selbst zu ergründen, sondern können sehr wohl an den externen Bedingungen erkannt werden. Nur leider beschäftigt sich der Film damit nur ganz am Rande.

Wenn dieser Film uns ankotzen will, so schafft er es nicht und kotzt sich höchstens in die eigene Suppe. Vielleicht will er uns (scheinbar völlig neue) Erkenntnisse aufzeigen, z. B. dass ein Job bei Vogue natürlich eine sinnentleerte Aufgabe darstellt. Nein, es wird dann doch lieber in einem der besseren Film-Momente eine Air-Berlin-Reklame eingeblendet. Soll das witzig sein? Ist es egal, dass hier eine klimakillende CDU-Konzern-Familie den Film sponsert? Wenn ja, dann kann uns echt Alles egal sein. Dass es uns das womöglich tatsächlich sein kann, lässt sich sicher auch in einem Film thematisieren, aber in diesem genauso sicher nicht, denn er kratzt nur an der Oberfläche, will nur unterhaltsam sein, wo er tiefsinniger werden könnte. Entschuldigungen gibt es dafür keine. Entweder man verwurstet seine Filmideen oder man schafft ein Stück Kunst. Letzteres ist hier eindeutig nicht geglückt.

So bleibt der Film leider in erster Linie eine von plakativen Perversionen besessene Nabelschau der Autoren, die uns wenig originell in Jackass-Manier die Zeit stiehlt und dabei nur in wenigen Teilen zu einem gutgemachten Abbild der Realität oder einer Persiflage ebendieser wird. Als Zuschauende werden wir zu Voyeuren degradiert, denen das Hirn abwechselnd in Hose und Lachmuskeln flutschen soll. Robert Stadlober spielt einen schwulen Jungen, Eralp Uzun und Oktay Özdemir zeigen ihre erigierten Schwänze her, eine im Koma liegende Oma wird in einem satanischen Ritual von ihrem Enkel in den Arsch gefickt, Münchner Schnösel werden angekotzt (einer der besseren Momente) und ein tuntiger Mann scheißt sich voll, weil er und sein Freund drauf stehen. Brachial – und ohne feines Gespür für den Bruch mit der Political Correctness – zeigt sich hierin das (Un-) Wesen des Films, das leider mehr auf Abstumpfung denn auf raffinierte Provokation abzielt.

Voyeurismus funktioniert immer. Die guten Momente aber werden von der vorherrschenden Plattheit der Umsetzungen aufgesogen. Da helfen auch nicht ein paar gut gemachte Provokationen und ein paar überzeugende Einzelszenen. Dumpf bleibt dumpf – und eine Persiflage ist es auch nicht geworden. Für denkarme Berliner ist dieser Film eine aufregende Verrohungszeremonie, für Nicht-Berliner ein billiges Hauptstadtfestfressen und für alle denkenden Berliner und Nichtberliner ein Beleg für das Absinken der (künstlerischen) Fertigkeiten einer zur Verrohung und Verdümmlichung verdammten Raubtier-Kapitalismus-Gesellschaft, die auch die Filmemacher mit in den Strudel einer vorgeblichen Entgrenzung, in Wahrheit aber in einen Strudel peinlicher Begrenztheit, zu ziehen vermag.

Schwarze Schafe? Nein, hier blökt die allgegenwärtige Schafherde der von sich und der Welt gelangweilten Filmemacher, die Ziele und Träume und ihr Scheitern nur als Faust und Fick darzustellen wissen, weil sie sich ihre Nase abgehackt haben, bevor sie die tiefgehende Fäulnis in den Dingen zu riechen vermocht haben. Ihr wolltet keinen „sozialdemokratischen“ Film machen? Ja gut, aber jetzt habt ihr einen konservativ-reaktionären Anti-Anti-Film produziert.

Ein von Phantasie und Realität gleichermaßen entferntes Machwerk, auf halber Strecke stehengeblieben.

Schwarze Schafe, Delphi-Palast am Zoo Schwarze Schafe

Verrevoluzzt

Heute: Abschaffung aller Gefängnisse

Revoluzzer-Thesen werden viel zu selten einer inhaltlichen Auseinandersetzung unterworfen. Auch ist festzustellen, dass es schwierig ist, ein Thema aufzugreifen, das für die es aufgreifenden bedeutet, sich – jenseits der Solidarität – zwischen alle Stühle zu setzen.

Das Thema jedoch ist schon deshalb wichtig, weil eine Revoluzzer-These nun mal leider keine gute revolutionäre These ist und schon gar nicht eine solche, die einer realen Konzeption standhält. Ein Beispiel dafür ist die Forderung nach einer Abschaffung aller Gefängnisse. Natürlich muss es Ziel sein, alle verurteilten Gefangenen zu resozialisieren und ihre Gesamtverfassung durch einen Gefängnisaufenthalt nicht zu verschlechtern. Könnten aber denn genügend Leute die Zeit und andere notwendige Ressourcen dafür haben, wirklich jeden Menschen, der im Gefängnis landet, in für ihn erfolgversprechender Form zu resozialisieren? Das ist wohl unwahrscheinlich. Dennoch werden allzu häufig entsprechende Revoluzzer-Thesen zur Welt gebracht, die eher einer gewissen Hilflosigkeit entspringen und nicht mit einer guten Konzeption verwechselt werden sollten.

Alternative zu „Menschen, die im Gefängnis landen“: Keine entsprechende Verurteilung bei Gericht. Aber: Gefängnisstrafe soll abschrecken, ein übles Verbrechen zu realisieren, also davon abschrecken, sich außerhalb der menschenwürdigen Norm zu bewegen. Wenn nun also jeder in Not geratene Mensch nur einen entsprechend kriminellen Weg einschlagen müsste, um eine geeignete Resozialisierung zu erfahren bzw. genau diese Resozialisierung – und nicht die Strafe – im Vordergrund stünde, bedeutete dies geradezu eine Einladung zur Kriminalität, was insbesondere im Hinblick auf Verbrechen an der Menschlichkeit zu Verwerfungen ungekannten Ausmaßes führen würde.

Es ist also zu differenzieren: Die meisten Gefängnisinsassen haben im Knast eigentlich nichts verloren und werden dort vermutlich fortschreitend geschädigt, aber für einige üble Zeitgenossen erscheint das Gefängnis doch als unausweichlicher Zwischenstopp oder Endpunkt ihres Lebens, denn nicht jedes Verbrechen hat vorwiegend gesellschaftliche oder gar Kapitalismus-systemische Ursachen, nicht jede Tat kann moralisch relativiert und einer schmerzenden Bestrafung entzogen werden. Fazit: Die Hürden, ein schlimmes Verbrechen zu begehen, dürfen nicht niedriger ausfallen als bisher, die Taten selbst sollten aber weitaus stärker moralisch differenziert werden. Allein letzteres würde bereits dazu führen, etliche Gefängnisse auflösen zu können und verurteilte Straftäter in einer resozialisierenden Form, Art und Weise zu bestrafen.

Denn dass die Gefängnisse abstrus übervoll sind, ist bekannt und nicht hinnehmbar. Verallgemeinerungen und vorschnelle Idealisierungen à la „Alle Gefängnisse abschaffen“ erscheinen aber genauso wenig hinnehmbar. Nicht jeder Mensch lässt sich – beim besten Willen und Versuch – zuallererst zum Opfer einer übergelagerten Ursache erklären, sondern er muss auch in seiner Eigenschaft als Täter betrachtet und beurteilt werden. Ansonsten nämlich ist keine verbindliche Aussage mehr darüber möglich, welches Verbrechen überhaupt unter einer noch als Strafe erkennbaren solchen steht. Dass eine empfindliche Strafe – dann nämlich, wenn keine Gefährdung von Menschen anzunehmen ist – nicht in einen Freiheitsentzug münden soll, bleibt eine Forderung, die allen Beteiligten gerecht würde und ein gutes Stück weit von der Überstrapazierung des allzu beliebten Mittels der Bestrafung – Strafe muss sein – wegführen würde.

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Davon unabhängig: Der Bericht von der Kundgebung am Moabiter Gefängnis, bei ABRISSBERLIN: Im Zeichen des 129 a

Andrej H. ist vorerst frei, und die anderen?

Wie soeben über seine Anwältin bekannt wurde, ist Andrej H. im Zuge einer Haftverschonung um 13.30 Uhr gegen Kaution aus dem Gefängnis entlassen worden. Die Bundesanwaltschaft hat dagegen bereits Beschwerde eingelegt, über welche heute oder morgen entschieden wird.

Die Linien bröckeln also. Werden bald auch Florian L., Oliver R. und Axel H. freikommen?

„Der Haftbefehl wurde nicht aufgehoben, sondern der Ermittlungsrichter am BGH hat meinen Mandanten nach Zahlung einer Kaution und unter Auferlegung verschiedener Auflagen von der Untersuchungshaft verschont. Dies bedeutet, dass nach Ansicht des Ermittlungsrichters der Fluchtgefahr mit weniger einschneidenden Mitteln als der Untersuchungshaft begegnet werden kann.“

Heute um 18 Uhr vor der JVA Moabit für die Einstellung der Verfahren nach § 129a demonstrieren!

La Antena – Starker Tobak?

„Das war ja starker Tobak!“ – „Ich fand den Film eigentlich ganz gut.“ Nach der Filmvorführung verlässt das Freundespaar den Kinosaal mit diesen äußerst verschiedenen Auffassungen, und hierfür gibt es  – sieht man einmal genauer hin – durchaus ein paar ganz handfeste Gründe.

Wer Schweigsames liebt, dem empfehle sei als Geheimtipp „La Antena“ empfohlen, ein recht neuer Film aus Argentinien, der in seiner Art zur Zeit weder im deutschen noch im U. S. -amerikanischen Film vorstellbar wäre. Er atmet klassische Brillanz sowie revolutionäre Energie und legt auf fantastische Weise die uns umgebende Medienmanipulation dar, ohne dabei aus seinem kunstvollen Rahmen zu fallen. Inhaltlich ist der Film offenbar derart brisant, dass er fast überall entschärft wiedergegeben wird. Aktuelle Bezüge werden in beinahe allen Berichten gescheut. Das Kinopublikum reagiert überwiegend verstört und abwehrend bis abwertend. Die im Film allgegenwärtige Verdummung der Massen wirkt also bis heinein in die Kinosessel.

Zensiert wird „La Antena“ nicht vor oder während seiner Aufführung, sondern in den Rezensionen. Folgerichtig gehen diese gar nicht darauf ein, dass der Film die Wirklichkeit beschreibt. Es wird viel an der einen oder anderen Stelle herumgemeckert, weil die Kunst des Genres da und dort nicht hundertprozentig stimme, oder weil dieses oder jenes unnötig oder ach so kurios sei. Die außergewöhnlich konsequente Metaphorik wird nur verhältnismäßig unmotiviert erwähnt. Dass der Film letztlich das Ende einer spätkapitalistischen Konsumwelt beschwört und seinerseits zu einer revolutionären Stimmung beitragen will, die ihre real existierende Motivation aus den real existierenden Verhältnissen – hierzulande wie in Argentinien – erhält, wird weder adäquat wahrgenommen noch vermittelt, so als wären las antenas gar nicht auf Empfang gewesen.

Etablierte gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse, Wut und Gegenwehr werden leider nur allzu gern verschwiegen. Man hält vornehm Distanz. Klar ist: Vieles kann man an diesem Film kritisieren, aber man kann auch seine wesentlichen Motive übersetzen, weitertragen und darauf aufbauen – alles eine Frage des Wollens. Fragen der Macht, des Machtmissbrauchs und der Manipulation stellen sich nicht nur im Film.

La Antena

Suche Prinzessinnenpalast

Ich höre immer nur Wolke, Würfel oder Schloss! Vielleicht bekomme ich bald bitteschön mal einen adäquaten Dienstsitz zugesprochen? Gern wieder mit bronzener Verglasung, ansonsten modifiziert – einen echten Volkspalast: experimentelle Spielwiese, Zukunftslabor, Wochenendausflugsziel für alle.

Der mutmaßlich künftige Prinzessinnenpalast – die Bauruine an der Ausfallstraße – wird ja nun leider doch noch Investorenparadies.

Welchen Platz in der Mitte könnte man beräumen, um endlich Abhilfe zu schaffen? Das künftige Kulissenschloss beziehe ich in keinem Fall.

Vorschläge dringend erbeten!

Ostprinzessin

Wie geht es eigentlich den 4 „Terroristen“?

Rechtsstaat adé – aber gab es dich je?

„Den Umständen entsprechend gut“ gehe es Andrej Holm, so seine Anwältin. Ansonsten, so scheint es, lässt sich die Frage nur schwer beantworten, denn Andrej kann aus einer 3 mal 3 Meter großen Luxusherberge in Moabit heraus keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen – und umgekehrt. Allein die Anwältin kann – äußerst eingeschränkt – mit ihm kommunizieren. Und was sie am Dienstag im New Yorck von Andrej und den drei weiteren Gefangenen zu berichten wusste, das wirft ein hässliches Licht auf das, was wir „Rechtsstaat“ nennen sollen:

Wenn Andrej Liegestütze machen will, um sich die Zeit zu vertreiben oder um sich einfach etwas zu bewegen, dann muss er alle Möbelstücke seiner Zelle umstellen, um genug Platz zu gewinnen. 23 Stunden am Tag bringt er auf engstem Raum alleine zu, 1 Stunde lang darf er in Begleitung im Hof umherlaufen. Einen Sozialwissenschaftler haben wohl auch die wenigsten Gefängnisaufseher je in einer Zelle gesehen. Einer der Wachtmeister fängt an, sich zu interessieren und befragt ihn nun immer mal zu den Tätigkeiten so eines Sozialwissenschaftlers. Eine Wachtmeisterin hingegen macht Stress: Da Andrej seit vielen Tagen unentwegt schreibt, ist sein Kugelschreiber verbraucht. Daher bittet er also die Wachtmeisterin, bei Gelegenheit einen neuen Stift mitzubringen. Sie aber entgegenet: „Stellen Sie einen Antrag!“ Das Problem dabei ist, dass auf diese Weise mit einem neuen Stift erst in Wochen zu rechnen ist.

Auch bei der Darreichung der Getränke gab es Schikanen: Da Andrej die Regeln zur Entgegennahme nicht bekannt waren, hatte er zunächst auf Tee zu verzichten. Da die Gefängnis-Bibliothek leider nur Werke bis 1965 bietet, hat er nun Bücher bestellt. Diese müssen eingeschweißt sein und direkt vom Verlag versandt werden. Die Anwältin zeigt sich überrascht darüber, dass Andrej statt unterhaltsamer Bücher eine schwere Kost bevorzugt und offenbar auch unter den widrigsten Bedingungen noch weiter zu arbeiten versucht. Bislang allerdings ist noch nicht einmal die „Verteidigerpost“ angekommen. Die Mühlen mahlen langsam, alles wird strengstens kontrolliert. Bei den Besprechungen – durch eine Glastrennscheibe hindurch – sitzen neben der Anwältin stets zwei BKA-Beamte, die jedes Wort mitschreiben. Neben Andrej steht permanent ein Wachtmeister. Die Lebensgefährtin wurde gar aufgefordert, lauter zu sprechen und konspirative Gespräche zu unterlassen; sie wisse schon, was damit gemeint sei. Die Mutter dreier Kinder wird Mühe gehabt haben, keinen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Ähnlich wohl wird es ihrem einsitzenden Lebensgefährten gegangen sein, bevor er dann am vergangenen Freitag zum ersten und bislang einzigen Male duschen durfte. Das sog. Haftkonto indes hat sich ein wenig gefüllt, nun können auch Radio- und TV-Benutzung bezahlt werden. Der einzige menschliche Kontakt im Gefängnis besteht offenbar zu einem Drogendealer, der bereits seit Jahren dort schmort.

Wenn Andrej am nächsten Freitag zum Haftprüfungstermin mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe geflogen wird, dann kann er sich gegenüber so manchem Mitgefangenen noch glücklich schätzen. Seine ansonsten schikanöse Sonderbehandlung als „Terrorist“ hat den Vorzug, dass er nicht auf dem sonst üblichen Weg transportiert und verlegt wird. Das sog. „Kaschuben“ bedeutet, dass die Gefangenen von einem Bundesland ins nächste verlegt werden, bis sie am Ziel angekommen sind. Auf diese Weise machen sie auf ihrer bis zu zweieinhalb Wochen langen Odyssee die Bekanntschaft unzähliger Gefängnisse, samt Personal und Häftlingen.

Die im gleichen Zusammenhang vor zweieinhalb Wochen Festgenommenen – Florian L., Oliver R. und Axel H. – haben bereits bei der ersten Überstellung nach Karlsruhe etwas Denkwürdiges durchlebt: Nach ihrer Verhaftung waren sie entkleidet und in Overalls gesteckt worden, die aus einem Papierstoff bestehen. Diese hatten sie tagelang zu tragen. Als sie dann in zerrissener „Kleidung“ dem Haftrichter vorgeführt wurden, konnte man sämtliche Körperteile sehen. Die AnwältInnen protestierten scharf. Der Richter zeigte ein Entgegenkommen und ließ Kleidung bringen.

Wie aus den 35 großen Leitz-Ordnern hervorgeht, die das BKA zum Fall angelegt hat, geht aus den dort gesammelten Materialien offenbar gerade genau gar nichts hervor, das für eine Anklageschrift auch nur annähernd reichen könnte. Die zunächst befasste Richterin äußerte auf Nachfrage einen der vielen wissenschaftlichen Verdachtsmomente – und zwar sei das Wort „Gentrification“, welches die Richterin dabei offensichtlich zum ersten Mal in ihrem Leben aussprach, ein wichtiges Indiz gegen Andrej, weil es auch in den Schreiben der sog. mg (militante gruppe) zu finden sei: „Aha, das ist ja doch auffällig“, soll sie geäußert haben. Am Freitag nun wird das Gericht den Weg weisen; kommt Andrej dann nicht frei, wird er noch sehr lang im Gefängnis zubringen müssen – weiterhin unter den Sonderbedingungen für Terroristen – da mit einem Auftakt erst in 6 oder 7 Monaten und mit dem Prozessbeginn erst in einem Jahr zu rechnen wäre.

Viele der Studis, KollegInnen und MitarbeiterInnen, die sich im New Yorck des Bethanien zu diesem zweiten Treffen versammelt haben und den Worten der Anwältin lauschen, mögen lange angenommen haben, dass die Vorwürfe gegen Andrej von der Bekanntschaft zu den drei Verhafteten abhängen, die bei dem Versuch, unter Bundeswehr-Fahrzeugen Feuer zu legen, aufgegriffen worden sein sollen. HU-Kollege Professor Häußermann offenbahrt dazu seine Gedanken: Er habe bislang eher angenommen, dass Andrej sich von den Anderen habe „infizieren“ lassen. Hier spricht die „geistige Elite“. Rette sich, wer kann! Doch die Anwältin gibt zu bedenken: „Der mg-Vorwurf hängt nur an Andrej.“ Er und drei weitere Wissenschaftler, unter ihnen Matthias B., seien – aus Sicht des BKA – die militante Gruppe. Die mutmaßlichen Brandstifter hingegen seien lediglich im Verdacht, als Handlanger dieser angeblich terroristischen Vereinigung zu fungieren. Ihnen wird vorgeworfen, Andrej zu kennen. Und zwar soll dieser sich Anfang des Jahres zweimal konspirativ mit Forian L. getroffen haben. Ein Abhörversuch des BKA misslang, daher ist vollkommen unbekannt, über was gesprochen wurde. Aber: „Ein Terrorist trifft sich mit einem Brandstifter – dann muss es sich um eine terroristische Vereinigung handeln.“, so die Anwältin lakonisch. Über die Bekanntschaft zu Andrej gerieten die Drei (Anm.: zumindest Florian L.) ebenfalls in den Fokus der Ermittlungen und wurden observiert, bis sie dann bei der versuchten Brandstiftung verhaftet wurden. Die verdächtigen Wissenschaftler blieben bislang auf freiem Fuß, weil trotz Hausdurchsuchung keine Hinweise gegen sie gefunden wurden, während Andrej offenbar lediglich das Pech hatte, dass das BKA das Glück hatte, besagten Florian L. auf frischer Tat zu schnappen.

Sehr gut möglich ist auch, dass neben dem offensichtlich nicht beschuldbaren Andrej H. auch Florian L., Oliver R. und Axel H. nicht zu der vom BKA seit Langem vergeblich gesuchten – und möglicherweise sogar vom BKA herbeikonstruierten – militanten Gruppe (mg) gehören. Viel wahrscheinlicher hingegen ist, dass die Gruppen, die Bekennerschreiben verfasst haben, schlichtweg bei Andrej abgeschrieben haben. Aber auch hierzu gibt es offenbar nicht einmal konkrete Bezüge, die über die Verwendung von Begriffen wie Gentrification hinausgehen.

Die Bundesanwaltschaft steht nun also kurz vor einer der größten Blamagen ihrer Geschichte. Spannend wird auch sein, wie sich BKA und Justiz aus ihrer (Un-) Verantwortlichkeit winden werden. Zum Schluss noch diese vier Hinweise:

1) Eine Spaltung der Bemühungen für die vier unter Terrorismusverdacht Stehenden ist ausdrücklich nicht wünschenswert.

2) Der § 129a wurde – entgegen anders lautenden Behauptungen – unter der rot-grünen Bundesregierung nicht ent-, sondern verschärft und dabei u. a. um die Verdachtsgründe „Computersabotage“ und „Störung von Kommunikationsanlagen“ erweitert.

3) Am Sonntag Abend beschäftigt sich das ARD-Magazin ttt (Titel, Thesen, Temperamente) mit dem Fall.

4) Wer bei aller Wut auf die Gefängnisbehandlung und die Willkür der Vorwürfe – nicht allein, aber im Besonderen gegen eine kritische Wissenschaft – noch die Kraft findet, einen Brief an den zuständigen Bundesgerichtshof aufzusetzen, kann diesen z. B. wie folgt adressieren: Andrej Holm, c/o Ermittlungsrichter Ulrich Hebenstreit, Herrenstraße 45, 76133 Karlsruhe.