Und dann ist es eben doch so, dass die besondere Größe eines Performancekünstlers sich in genau dem Moment zeigt, wo er auf die Bühne tritt… vor lichte Reihen. In diesem Fall zum besonderen Vergnügen des Publikums, da die beiden Künstler ihr Schauspiel mit verbundenen Augen beginnen und sich dabei innerhalb der ersten zehn Minuten aus der Tiefe des Raums bis ganz nach vorn arbeiten, wo sie dann die Augenbinden abnehmen, um festzustellen: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, … zwölf. Beide Messies zählen das Publikum.
Und nun? Wo andere der Schlag treffen würde, ihnen wenigstens die Motivationskurve nach unten schnellen würde, im Geheimen einige Bitterkeit aufkäme, nehmen Beide Messies die Hürde einfach in umgekehrter Weise und bieten dem Publikum ein nicht weniger als zweistündiges Festspiel unbändig-virtuoser Leidenschaft dar. Wir ahnen: Anspruch und Humor der beiden sind nicht gespielt. Am aufkommenden Seelenheil beteiligen sie die Zuschauer mittels Knetmasse. Angemessenerweise nennen sie dies „Seele kneten“. Niemand also wird das Theater später unbeseelt verlassen müssen. Und wir ahnen: Die üblichen Gesetze von Schau und Spiel gelten hier nicht – nicht für die und nicht für uns.
Im weiterhin heiteren Handlungsverlauf des von musikalischer Eingebung, spontaner Verwüstung und zufälligen Unfällen reichhaltig genährten Gesamtkunstwerks erleben wir neben allerlei feinsinnigem Liedgut und brillant-bezaubernder Instrumentierung auch die zufällige Erfindung des „Erdnusswalzers“. Schnell wird klar: Das Verhältnis der beiden Protagonisten zur Kunst ist ein ebenso wissenschaftliches wie religiöses. Dass wir ihrer Schöpfung beiwohnen dürfen, ist das größte Geschenk, dass Andreas A. Müller und Bo Wiget der Welt machen können. Doch man wisse: „Religion ist auch nur Kunst“. Im Theaterdiscounter.
Beide Messies: denken über ihre Zukunft nach
Bo Dog Wiget und Andi All. Müller erheben den Anspruch, mit Wort-, Musik- und Bewegungswitz das heillose Ordnungsdurcheinander der Welt aufzuräumen. Ihr wucherndes Gesamtkunstwerk besteht aus einer kaum mehr überschaubaren Sammlung von Liedern, Tänzen, Videos und Gegenständen für Schwache, sehr Schwache, Tiere und andere Gäste, kurz: einem Wechselbad der Gefühle und Gedanken, Erwartungen und Enttäuschungen. Und und.
In der Adventszeit stehen sie zur Verfügung, um Kommendes und Angekündigte zu besingen. Denn es kommt eine Zeit des Honigorakels, in der Honig in die verstopfte Zeit des Feierns gepumpt wird. Es kommt eine Zeit, in der andere Krippen nach neuen Protokollen umtanzt werden. Es kommt eine Zeit, frische Kaffeesätze aus den Anden zu lesen, für die Alten von morgen. Und es ist an der Zeit, mit Musik und Tänzen Abwesende zu beschwören und Anwesende in ihr Anwesen wieder hinein zu versetzen. Das düstere Dunkel des horror vacui, der No Future-Sorge und des unstillbaren Erdnüsschenhungers weichen durch Beide Messies dem Licht des Trosts in steter Unordnung.
Dazu bringen Beide Messies alles mit: Bienenwachskerzen, den immerwährenden Imkerkalender, Buttermürbeteig, beide Krawatten, Cello und Bogen, beide Ukulelen, beide Nasenflöten, beide Fundsachen, Bienenstock und Stab, Bienenfell und Jacke, Bravo-Musikposter, bestechende Minimonologe und Titel wie beispielsweise „Innendrinnen isses hell“, „Diskohunger“, „Mut und Vernunft” oder „Alt + Nichts geleistet”, „Kalakogathie”, „Die Familie ist die kleinste Zelle”, „Personenkult” und „Lieber Schrott”.