Der NBK lädt zur Diskussion unter dem herbeigekünstelten Titel: „Quo vadis Bethanien?“, Diskussion über die Zukunft des Künstlerhauses Bethanien nach einem Jahr andauernder Besetzung durch Autonome; auf dem Podium: Gerrit Gohlke (Publizist), Karl Heinz Jeron (Künstler), Reiner Maria Matysik (Künstler) und Christoph Tannert, Geschäftsführer der Künstlerhaus Bethanien GmbH.
Doch Letzterer will nicht diskutieren, er will nur beleidigen: „Der Kiezdödel“ schade der „Hochkultur“, pöbelt er, angesprochen auf den Anspruch der IZB (Initiative Zukunft Bethanien), die Anwohner an der Zukunftsgestaltung des Bethanien zu beteiligen, wofür die IZB ein fast 14.000 Stimmen starkes Bürgerbegehren angestrengt hat.
„Soziale Wärmstuben“ gäbe es in Kreuzberg zur Genüge, so Tannert weiter. „Hausbesetzer sind gesetzlos und gehören verfolgt!“ Dass Christoph Tannert dies wirklich ernst zu meinen scheint, überrascht angesichts seiner eigenen, durchaus systemkritischen Biografie. So war ausgerechnet der DDR-Bürger Tannert es, der in der DDR eine Ausstellung über Punk ins Leben rief, die vom Staat äußerst argwöhnisch beäugt wurde. Die im Raum anwesenden Bethanier und ihre Freunde haben denn auch größte Mühe, nicht vor Wut zu platzen. Dennoch aber lässt sich niemand auf das Tannert-Niveau hinunterziehen. Kritische Nachfragen aber tötet Tannert auch weiterhin mit immer neuen Beleidigungen ab – meist rhetorisch geschickt und überlegen.
Muss so viel Arroganz sein? Das wird sich selbst der Künstler Reiner Matysik gefragt haben, der in Tannerts Künstlerhaus eine Ausstellung unter dem Namen „Initiative Zukünftige Lebensformen“ zeigen darf, für die er auch direkt bei den Besetzern im benachbarten Südflügel recherchiert hat. Überhaupt hat er die Besuche in der NewYorck 59, wie der Südflügel seit seiner Besetzung heißt, als angenehm in Erinnerung. In seinem Ausstellungstitel und auf der zugehörigen Website (leider nicht mehr verfügbar) gießt er über den konkreten, klar politischen und sozialen Anspruch der Initiative Zukunft Bethanien – leider von oben herab – einen künstlerischen Zuckerguss, der denn leider auch am künstlerischen Deckmäntelchen kleben bleibt und am Ende etwas unkonkret durch den Kunstraum schwebt. Immerhin aber traut sich Matysik, im offenen Widerspruch zu Tannert zu stehen, während die anderen Diskutanten auf der Schleimspur bleiben, obwohl Tannerts Ausfälle zunehmend unerträglich erscheinen.
Überhaupt kommt die drängende Frage auf, ob der Geschäftsführer des Künstlerhauses für die KünstlerInnen eigentlich tragbar ist. Tannert indes wettert weiter gegen die zukunftsweisenden Lebensformen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft – während er sie im Künstlerhaus ausstellen lässt – und begrüßt den Kommentar einer Frau aus dem Publikum: „Der Hass auf die Kunst hat in Deutschland Tradition.“ Hinter dieser Behauptung steht wohl dann auch die Frage: Sind Linke kunstfeindlich? Daher – zur Erinnerung – ein paar der berühmt gewordenen Gegenbeweise: Hanns Eisler, Ernst Busch, Kurt Tucholsky, Heinrich Mann, Oscar Wilde, Käthe Kollwitz und Frances Farmer.