Der Tränenpalast etabliert sich nach seinem Rauswurf aus dem eigentlichen Tränenpalast – dank profaner Investoren und unfähiger Berliner Regierung – nun am Tempodrom. Die Kleine Arena des Tempodrom stellt sich für Cora Frost und ihre fantastische Band (Toni Nissl, Gary Schmalzl und Florian Grupp) jedenfalls als ein idealer Spielort heraus.
„Zucker & Butter“ – der Name ist Programm: Vor Beginn werden dem Publikum gezuckerte Butterstullen gereicht. So viel Häuslichkeit darf sein. Und dann bricht sie auch schon los, die Proklamation des Punkchansons. Zu rockigen Klängen lockt bereits das „Skalplied“ zum Tanze. Und ja, hier in Berlin wird sie nun endlich wieder gefeiert, die früher so hochgejubelte Cora Frost, die uns alle ein paar Nasenlängen voraus war und ist, besonders in ihrer medial unsichtbaren Zeit der letzten Jahre, nicht allein, weil sie über eine fantastische Stimme verfügt, sondern auch, weil sie Traurigkeit, Schmerz und verlorenes Glück gleichwertig neben pure Lebensfreude und Ekstase zu stellen weiß, wie es derart glaubwürdig sonst Niemandem zu gelingen vermag.
Wohl nur Cora Frost kann das Glück poetisch und realistisch so beherzt hinausschreien, es auch in ein energisches Lied über die Straße in ihrer türkischen Heimat in Berlin schreiben, ohne die rosa-rote Brille wirklich aufzusetzen! Wer sonst traut sich das? Welche Singpflanze sonst trägt so viel Menschlichkeit auf der Zunge? Wer sonst hat den Mut, die konservativen, klischeehaften Chanson-Erwartungen eines dösenden Publikums, das Gesellschaftskritik nur in kleinen Portionen vertragen will und „Randfiguren“ immer noch für gewöhnungsbedürftig hält, so radikal zu enttäuschen? Cora Frost hat sich vom herrschenden Kleingeist längst abgesetzt und sich den selbstbewusst wunderlichen Menschen verschrieben, denen sie auch viele ihrer Lieder widmet. Und diese interpretiert sie mit großartiger Unterstützung der Butterband ganz und gar hitverdächtig, seit zwei Jahren schon. Wo also bleiben die Trommelwirbel für Frost? Warum kann die Medienmeute mit ihr nicht umgehen, ohne sie an den Rand des Ernstzunehmenden zu stellen? Was wird eingeblendet und was wird ausgeblendet? Zumindest bleibt ihr somit wohl wenigstens die einlullende Zwangsanpassung erspart.
Es herrschen keine freien Zeiten, gesellschaftliche Aufbrüche bewegen nur wenige Kreise der Bevölkerung. Profitgier, Repression und Überwachungsstaat heißen die Gefährten unserer Zeit. Eine Cora Frost ist aber längst in einer fortschrittlicheren Zeit angekommen und hat bei aller eigenen Sprengkraft ihre Umsicht nicht eingebüßt. Am Ende jedenfalls zerstört sie in einer exemplarischen Vorführung das Chanson: „Une petite chanson pour un petite patate“. Vermutlich ist das die beste Chanson-Parodie, die es gibt!
Zu erleben ist das Gegenteil einer modernden Chansonniere. Kraft für die Realität des Abseitigen – in hit-kompatiblem Gewande. Ob sich auch Denis Fischer, der diesmal die Zuschauerperspektive einnahm, ein Scheibchen davon abschneiden wird? Nötig hätten es wohl viele Kollegen. Die gesellschaftliche Schläfrigkeit der Menschen zu bedienen, ist einfach. Cora Frost macht es sich nicht einfach. Das kann ich sagen, nach sechs Malen, die ich nun in „Zucker & Butter“ gewendet wurde.
Die einmalig dekonstruktionistische Kraft von „Nexte Lied“ hat den Weg bereitet für leidenschaftlich tanzbare, glückliche und traurige Songs mit viel Hirn im Berliner Herz. Noch bis zum 06. Mai zu entdecken!
C’est si bon! Große Kunst, die man nur mit einem großen Herzen begreifen kann!
Ich hoffe doch, das Berliner Publikum holt sich in Strömen eine dicke Portion Zucker & Butter ab. Wie schaut’s denn so aus mit den Zuschauerzahlen im Tempodrom? Das würde mich doch mal sehr interessieren… 😉