Seit nunmehr sechs Tagen halten Berliner Senioren ein Haus in Stille Straße 10 besetzt, das ihnen bis zum 30. Juni als Freizeitstätte diente. Aufgrund enormen Drucks seitens des Senats und eines daraus resultierenden Beschlusses der Pankower Bezirksverordneten von SPD, Grünen, CDU und Piraten wurde die Einrichtung zum Monatsende geschlossen und soll nun aus dem sog. Fachvermögen herausgenommen und dann über den Liegenschaftsfonds verscherbelt werden.
Auch weil das Grundstück unweit des ehemaligen Gästehauses der DDR, des berühmten Majakowskirings und des Schlosses Niederschönhausen gelegen ist, inmitten einer bürgerlichen Wohngegend, hatte man wohl mit keinerlei ernstzunehmendem Widerstand gerechnet. Doch die Senioren erwiesen sich als weitaus aufgeklärter denn erhofft, besetzten das Haus und trommelten die gesamte Berliner Presse herbei, welche die Aktion dankbar aufnahm und sogleich an ihre über sämtliche Milieugrenzen hinweg Beifall klatschende Leserschaft weiterreichte.
„Wir bleiben, bis die Bagger kommen“
Die Unruheständler jedenfalls geben sich zäh und übernachten auf Campingliegen im besetzten Haus. Mittlerweile schieben einige auch nachts Wache, da das Bezirksamt in einer Nacht- und Nebelaktion ein Schloss austauschen ließ, was die frischgebackenen Besetzer ebenso überraschte wie verärgerte. Trotzig halten sie die Stellung. Seitens des Bezirks heißt es, man wolle vorerst auf eine polizeiliche Räumung verzichten – wohl auch aus Furcht vor dem Zorn der Alten und den politischen Gefahren öffentlicher bzw. veröffentlichter Meinung.
Weil die unbeugsamen Senioren ihren Transparenten kurzerhand ein „Wir bleiben alle“ angefügt haben, erregen sie auch in diversen Berliner Paralleluniversen einige Aufmerksamkeit. Die altbekannte Parole knüpft nahtlos an einen in den 90er Jahren in Prenzlauer Berg und Mitte begonnenen Mieterkampf gleichen Slogans und darüberhinaus an dessen derzeitige Neuauflage im Milieu autonomer Aktivisten, ebenfalls unter dem Schlachtruf „Wir bleiben alle“. Die überwiegend jungen Menschen blicken mit einer Mischung aus freudiger Solidarität und kaum unterdrückbaren Neidgefühlen auf die Widerständler des deutlich älteren Semesters.
Jene in langjähriger Arbeit geschaffenen sozialen Strukturen der Freizeitstätte, in die mehrere hundert Senioren eingebunden sind, dürften angesichts des gemeinschaftlichen Aktes der Besetzung vorübergehend erblühen – bleibt nur zu hoffen, dass sich der Widerstand über die Blütezeit hinaus halten kann. Nicht nur den kämpferischen Alten wünsche ich das sehr.
Ostprinzessin
Das ist übrigens der 1000. Beitrag hier.