Vom Leuchtturm zur Taschenlampe?
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber für mich liegen Ausblick und Rückblick immer nah beieinander. Große Sprünge im neuen Jahr werden dann möglich, wenn ich vor dem Springen nicht nur den Boden in Augenschein nehme, auf dem ich eventuell landen könnte, sondern auch jenen Boden genauer betrachte, von dem aus ich abspringe.
Ein Ort, der mir im nun vergangenen Jahr ganz besonders ans Herz gewachsen ist, ist das Bethanien in Kreuzberg. Viele Impulse und Aufbrüche entstehen und starten dort, die sich auf die ganze Stadt und weit darüber hinaus auswirken – und das gerade auch dank der Besetzung und der politischen Initiativen, die im Umfeld entstanden und entstehen.
Nicht zuletzt aber haben mich „die Bethanier“, wie ich sie seit Längerem nenne, sehr beschäftigt, einige von ihnen ganz besonders. Bei diesen Bethaniern möchte ich mich auf diesem Wege bedanken, für ihre Kritik und ihr Engagement, vor Allem aber für ihre persönliche Wärme, ihre Emotionen, ihre Leidenschaft. Das hat mich immer wieder tief bewegt und mir in einer oft kalten und desinteressierten Welt stets ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt.
Dieser eigentliche Geist des Bethaniens, der Aufbruch zu neuen Ufern, widerständig und beseelt, den wünsche ich mir ganz persönlich auch für das neue Jahr. Ich hoffe auf eure Kraft und ich verspreche gern, weiter zu versuchen, euch in unseren Kämpfen gegen die Ignoranz der etablierten Politik, gegen die kalte Gleichgültigkeit und für die Verwirklichung der vielen großartigen Ideen rund um das Bethanien – immer gemeint als Ausgangspunkt für einen Kick, der die ganze Stadt erfassen möge – zu unterstützen. Auch deshalb bitte ich, den folgenden kritischen Rückblick, der nur ein grober Deutungsversuch einiger wichtiger Entwicklungen sein will, im besagten Geiste zu verstehen.
Am hellsten scheint der Tannertbaum – Kniefall vor der Künstlerhaus-Leitung
Eigentlich wollte der Bezirksbürgermeister im Fall des Bethanien eine Beschlussvorlage erarbeiten, die sich auf die Ergebnisse des Rundes Tisches bezieht, welcher nach einem Jahr regelmäßiger Treffen zuende ging. Alle Bethanien-Nutzer waren daran beteiligt. Die Leitung des Künstlerhauses allerdings verabschiedete sich im Sommer endgültig von jeder konstruktiven Basis und versuchte seither (wie schon vorher) – und offenbar mit Erfolg – über die Presse Stimmung zu machen, gegen die Besetzer, für eine polizeiliche Räumung und gegen den Bürgermeister, der im Grunde nur ein Handlanger der Interessen der Besetzer sei.
In Wahrheit jedoch war die NewYorck 59 im Bethanien ohnehin nie ernstlich gefährdet, eine Räumung wurde bei den Verantwortlichen immer ausgeschlossen. Entsprechende Äußerungen verbreitet jedenfalls auch Bürgermeister Franz Schulz in den Medien. Umso erschreckender ist daher, dass im Irrglaube, man müsse sich allenthalben vorbildlich brav gebärden, um den besetzten Südflügel des Gebäudes als Zentrum für politische, soziale und künstlerische Gruppen, sowie als Ort zum Leben und Arbeiten in gemeinschaftsorientierten Dimensionen, zu erhalten, sich auch einige der Besetzer vom Geist des Widerstandes distanzieren bzw. ihn nicht aus der allzu fest verschlossenen Flasche herauslassen.
Die weitreichenden Konzeptideen für das Gesamtanwesen Bethanien nämlich werden nun nicht einmal mehr in dem Papier der Beschlussvorlage gewürdigt, geschweige denn überhaupt aufgegriffen. Das vorliegende Papier atmet den Geist der Tannertschen Taktik. Christoph Tannert, Leiter der Künstlerhaus Bethanien GmbH und hochsubventionierter Ankermieter in Haupttrakt und Nordflügel, hat mit seiner Methodik einen fragwürdigen Erfolg eingefahren. Während er weder die Arbeit an konzeptionellen Lösungen, noch an nachbarschaftlichen Kontakten, auf sich lud, arbeitete er im Hintergrund kraftvoll und zielsicher an der Durchsetzung seiner eigenen, aber mitunter unverständlichen Interessen. Von Anfang an ist er davon überzeugt, dass sich seine ihm untergebene, auf sog. künstlerische Eliten ausgerichte Einrichtung keinesfalls mit soziokulturellen Nutzungen vertragen könne – und das, obwohl sich im Südflügel seit zwei Jahren ein beispielloser Ort für Think Tanks neuer Prägung – unabhängig, ohne Bezahlung, niedrigschwellig, sozial und widerständig – etabliert, der seinerseits zum hellsten Stern am Berliner Himmel des emanzipatorischen, „linken“, linksautonomen, queeren, kreativen, künstlerischen und radikalen Spektrums avanciert ist, auf dem nicht nur wichtige soziale Initiativen beheimatet sind, sondern auch eine neue Kultur des Widerstandes entsteht und sich erprobt: Gemeinsam gegen Privatisierungen öffentlicher Güter, gegen den Überwachungsstaat, gegen unsägliche Stadtumstrukturierungsprojekte und für eine neue Kultur der Bewegung der Bewegungen, wie sie sich im Ergebnis erstmalig als Gesamtverbund in den Protesten und Aktionen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zeigte.
Welcher Ort könnte für eine Künstlerin – möge sie nun aus der Nachbarschaft oder aus Tasmanien kommen – inspirierender, ja befruchtender sein?
Ähnlich schien es auch Nele Hertling, Vizepräsidentin der Akademie der Künste, zu sehen, die zu Protokoll gab, dass sie es nicht verstehen könne, wenn sich ein Künstlerhaus nicht mit Soziokultur arrangieren könne. Die Akademie ist einer der großen Gesellschafterinnen der Künstlerhaus GmbH. Dennoch hielt Tannert immer an seiner vehementen Abneigung gegen jede Öffnung „seines“ Hauses fest und droht fortwährend mit einem Auszug. Sollte er tatsächlich im übernächsten Jahr das Haus verlassen, werden die absurden Ergebnisse seines Wirkens noch offensichtlicher werden. Auf seinen Druck hin schreibt die Beschlussvorlage nicht nur die Trennung der Versorgungsstränge im Gesamtgebäude fest, sondern sieht auch eine bauliche Abtrennung des Südflügels vor. Schon jetzt sind die beiden wesentlichen Teile des Hauses nur durch ein Notausgang-Treppenhaus miteinander (un-) verbunden. Außerdem sollen sich die sozialen, politischen und soziokulturellen Angebote ausschließlich auf den Südflügel konzentrieren und die Kunstangebote auf das Haupthaus. So jedenfalls ist die tatsächliche Lesart der Verantwortlichen. Ein Ort der Integration, eine Hybrid-Institution, ein Ort zufälliger Begegenungen, wie ihn die Initiative Zukunft Bethanien (IZB) immer angeregt oder befürwortet hat, ist damit in weite Ferne gerückt. Die IZB, die sich vor Allem aus Anwohnern, aber auch aus Leuten des polizeilich geräumten Hausprojektes in der Yorckstraße 59 und der NewYorck im Bethanien sowie politisch Aktiven aus mehreren Bezirken zusammensetzt, hat nach der Besetzung und Öffnung des leerstehenden Gebäudeteils durch einige vertriebene „Yorckis“ ein Bürgerbegehren für ein Bethanien für Alle – gegen eine geplante Privatisierung – erfolgreich durchgeführt und leistet politische Aufklärungsarbeit.
Vermutlich aber haben auch die allermeisten Bezirksverordneten – von der Senatspolitik einmal ganz abgesehen – sämtliche Konzeptideen nie (an-) erkannt und durchdrungen, haben auch sie sich keinen Millimeter von ihrem vorgefassten Standpunkt fortbewegt. Dies ist umso erschreckender, als dass die am Runden Tisch bereits vollzogenen Bewegungen – in Richtung einer Öffnung – durch die vorliegende Beschlussvorlage nun wieder zurückgenommen werden. Im Übrigen – und dies sollte man angesichts der hohen Töne über eine vorgeblich „gelungene Bürgerbeteiligung“ nicht ausblenden – haben sich die an den Runden Tisch gesandten Vertreter sämtlicher Einrichtungen und Parteien niemals mit Ruhm bekleckert, ihre Mitarbeit überwiegend destruktiv gehalten und die fortschrittlichen Ideen von Seiten vieler Anwohner, der IZB und der NewYorck stets torpediert. Zwei, manchmal drei der ABRISSACTIVISTS, haben an den Sitzungen teilgenommen und das erbärmliche Verhalten genau verfolgt. In den Kreisen der IZB hat sich spätestens seit Abschluss des Runden Tisches die Erkenntnis verbreitet, dass es sich bei diesem um ein pseudo-demokratisches Spielzeug gehandelt hat, welches der größtmöglichen Legitimation der nun folgenden politischen Fehlentscheidungen dienen sollte und von Anfang an als „Beschäftigungsprogramm“ für allzu forsche Geister der Initiative und des Hausprojekts fungierte.
„Eingelullt“, gezähmt und gebändigt im Zuge der besonderen Kreuzberger Situation – immerhin regieren im Bezirk die GRÜNEN mit der „Die Linke“ gemeinsam – und von den durchaus charmanten Auftritten des nur allzu wendigen Bürgermeisters, hat sich unter den Strich ein noch kaum bekanntes Drama vollzogen, bei denen sich die Beteiligten auf der Seite der emanzipatorischen Projekte und Initiativen nun endlich selbstkritisch zu ihrer eigenen Rolle befragen müssen, um zukünftige politische „Beteiligungsprozesse“ mit den Erfahrungen UND Konsequenzen – aus diesem mindestens zweijährigen Prozess – begleiten zu können und Anderen wertvolle Hinweise zu überliefern. Strategie und Taktik sind nicht aufgegangen. Die Einrichtung eines „interkulturellen Anwohnerforums“ (SOFA) gehört zu den wenigen positiven, allerdings hart erkämpften Errungenschaften. Allerdings ist sowohl der Verbleib in einem – im Übrigen viel zu kleinen – Raum des Haupthauses als auch die Fortexistenz an sich ungewiss.
Eine sog. Initiativplattform durfte zwar mühevoll Konzepte erarbeiten und Selbstverwaltung proben, wurde am Ende aber komplett neutralisiert, die Ergebnisse bleiben ungeachtet. Und das tiefsitzende Misstrauen, die allumfassende Ignoranz und die Verachtung, die den politisch Beteiligten und anderen Teilnehmenden des Rundes Tisches auch bei der letzten Sitzung noch klar im Gesicht abzulesen war, bleibt ungebrochen und vor Allem geradezu absurd seitenverkehrt zum konstruktiven, freundlichen Gebärden der Besetzer. Wer nicht dazulernen will, lernt eben nicht. Mit Ruhm allerdings hat sich niemand bekleckert und das Stillhalten hat am Ende doch nur denen genützt, die ihre destruktive Haltung stets mit Lügen, Hass und Verachtung untermauert haben.
Und weil die Einwände à la „Ja aber der Südflügel ist doch nun sicher und bekommt Verträge“ kommen werden, kann man nicht ausdrücklich genug betonen: Vor einem Jahr stand es nicht schlechter. Aber die Kraft der Beteiligten war damals noch um Einiges größer. Vielleicht ist es einfach wahr, dass sie in den „Beteiligungsinstrumenten“ der Politik fehlinvestiert worden ist.
Das Bethanien ist ein Leuchtturm des kreativen Widerstandes, der fortschrittlichen Ideen für Gegenwart und Zukunft, aber über kurz oder lang könnte drohen, dass es sich zu einer Taschenlampe entwickelt. Das Bethanien stadtweit als das bekannt zu machen, was es wirklich ist, was es wirklich sein könnte, dies jedoch ist allerdings eine Strategie, die niemand aufzugeben braucht. Was noch nicht geworden ist, jetzt nicht sein kann, das kann dennoch werden: ein „Bethanien für Alle“.
Eure Ostprinzessin
Zu den aktuellen Entwicklungen um die Zukunft des Bethanien schreibt eine Anwohnerin, die seit Jahren für die Öffnung des Hauses kämpft:
„Tannert will eben – wie eh und je – das ganze Haus. Indem der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz auf Tannerts taktische Spielchen einging und Zugeständnisse machte, die Tannert dennoch aber immer wieder mit Verachtung abstraft, hat er seinen besten Trumpf aus der Hand gegeben: Ein Konzept für das Bethanien. Das immerhin hätte die Einigung am Runden Tisch, an dem die Künstlerhaus-Leitung partout nicht mitwirken wollte, noch hergegeben. Das sog. Wolfgang*-Papier (*Wolfgang Lenk, Verordneter der GRÜNEN, vormals der WASG) fasste dort einen gewissen Konsens zusammen, der nun in der Beschlussvorlage des Bürgermeisters für die BVV (Bezirksverordnetenversammlung) keinerlei Rolle mehr spielt.
Mit dem Kniefall vor Tannert haben die GRÜNEN verspielt, selbst politische Akzente in der Kulturdebatte zu setzen. Die jetzige Beschlussvorlage ist eben kein Konzept mehr, anders als es der BVV-Beschluss aus dem letzten Jahr noch war.
Hochwürden Tannert hat seine Festspiele eröffnet und Alle halten um seine Hand an. Wer wird Bräutigam dieser heiß begehrten Braut und in welchem Gemach werden sie sich niederlassen? Dem König, was dem König gebührt – und die Unertanen schweigen. Schmeißt die Ketzer in den Kerker und lasst uns die Hochzeit feiern. Auf, auf zum fröhlichen Tanze!“