Mit dem Kopf in der Hölle, mit dem Arsch im Paradies

Zum Tod von Hermes Phettberg

Am Dienstag kam F. zu Besuch und hatte ein Geschenk dabei für mich: Hermes Phettbergs „Predigtdienst“, ein glorioses Werk aus den 90er Jahren, das bereits in Form und Gestalt Sympathien zu wecken weiß. Am Tag darauf verstarb sein Autor.

Doch blicken wir zurück. Ich habe Hermes Phettberg sofort geliebt. Das mag daran liegen, dass er so etwas wie der Inbegriff eines Freigeistes war, ein wahrer Liberaler, einer der die wichtigsten Begriffe der Freiheit mit konkretem Inhalt füllte statt mit Floskeln. Manche fanden das schwer erträglich, ich fand immer sie nicht zu ertragen. Viele Jahre ließ ich ihn dennoch aus den Augen, zu beschäftigt war ich mit dem eigenen Kopf. Was sich wunder nahm: Als ich wieder hinsah, oder um es mit seiner Zunge zu sagen: als ich schaute, „ob er denn noch am sein sei“, war er noch da. Das war nicht selbstverständlich, denn schon seinerzeit berichtete er in Gestionen genannten öffentlichen Aufzeichnungen von seiner leidvollen Hinfälligkeit, mit deren tödlichem Ausklang ich fortan täglich rechnete.

Bettlägrigkeit zum Trotz: Der libertäre Geist kann gehen, laufen, springen, oft sehr weit; was ihn auszeichnet, ist seine Menschlichkeit. In den populärsten Zeiten erreichte Hermes Phettberg damit ein Millionenpublikum. Die „Nette Leit Show“ gilt als Meilenstein der Fernsehunterhaltung. Zum Schönsten, das je den Äther streifte, gehört die Szene, in der er Peter Kern küsst. Wie sie küssten, hat manches verändert. Phettberg war ein Anstifter, er hat auch mich angestiftet, immer wieder. Zum Beispiel, als ich den Kuss nachahmte. Ich spüre das Bitzeln auf den Lippen als sei es gerade eben gewesen. Es geht dabei nicht um gewöhnliches Küssen, und gelingen kann es nur, wenn man den Anweisungen genauestens folgt. Probieren Sie es aus! Es erfordert kein großes Raffinement. Oder doch?

F. setzte das Nudelwasser auf, ich schnitt die Zwiebeln. „Lies was vor“, verlangte F. Während die Soße köchelte, blätterte ich im Buch, ziellos, und las vor: „Wie das Denken ausgeweitet wird“, Seite 379. Es geht um Kot als sexuelle Stimulanz. F. schüttelte sich vor Ekel, ich lachte bloß. Das mag daran liegen, das F. katholisch ist – auch wenn F. dieser Deutung entschieden widerspräche –, und es bei mir nicht einmal zu einem Funken Aberglaube reichte. Wie dem auch sei, auf Seite 124 fand sich rasch Versöhnliches: „Gutsitzende Jeans treiben die Arschbacken ein bisschen auseinander, indem die charakteristische Naht gerade soviel Spielraum hat, in die Kerbe einzudringen, die Hose aber insgesamt ausreichend eng ist, den Effekt nicht wieder zu egalisieren.“ Morgen werde ich F. vorschlagen, den Film „Der Papst ist kein Jeansboy“ anzusehen.

Phettberg war Jesus, ein bisschen jedenfalls, und – wie dieser – zeitlos, seiner Zeit voraus. Er genderte nicht, er schrieb in einer neuen Sprache und das bereits seit vielen Jahren; der Plural endete bei ihm auf „ys“. Das ist sinnvoll, das ist machbar, das war genial. Wir sollten es ihm gleichtun, liebe Lesys, wie so vieles, zu dem wir uns anstiften lassen sollten von diesem kolossalen Berg Weisheit, dessen Predigt mich gläubig werden ließ. „Der letzte echte Humus in einer Welt voller Bullshit und synthetischer Scheiße“, befand ich in einem Interview mit Walter Pobaschnig, letztes Jahr. In den Tagen darauf habe ich immer wieder überlegt, Hermes zu schreiben. Dass ich es nicht getan habe, ist Beweis meiner Gläubigkeit: Ich glaube an Seelenverbundenheit.

Was für ein schöner Mensch da von uns gegangen ist! In wie vielem er bleiben wird, liegt auch an uns. Selten war ich für das Leben und Schaffen eines einzelnen so dankbar wie für seins. Wie ein Mensch so schön sein kann, wenn er doch alles, alles sieht, das habe ich mich oft gefragt bei der Lektüre seiner Gedanken. Und es hat mir Mut gemacht. Dass es sich doch lohnt, so schön zu sein. Dass irgendeiner es mitkriegen wird, dem es seinerseits Mut macht. Und also vielleicht ist das Leben ja genau so wie dieser edle Elende es immer beschrieben hat, so edel, so elend, so schön. Danke, Hermes Phettberg, für diese Zuversicht, für alles, für dich.

K.

Sirenen heulen
wie ein Rudel Wölfe

Mörser und Raketen
streifen das Firmament

Flakgewitter zerteilen
den geeinten Himmel

Tantchen im Nachthemd
wankt durchs Treppenhaus

Zwölf Geschosse
über Scheibensplitter

Rauch steigt aus den Giebeln
unter den Zwiebelhauben

Schreie schneiden die Luft
wie Tantchen den Lauch

Panik atomisiert den Äther
zu tausenden Qualen

Schockwellen fegen
über den Kinderspielplatz

Tauben landen im Sand
mit brennendem Gefieder

Nachbarn liegen frierend
in Bombenschneisen

Unser Schweigen
kreist über den Leichen

Frei

Ich kann die Sonne fühlen und den Sand,
die Luft, das Holz, die unsichtbare Hand,
meine Seele wie Blei, das leichte Sein,
als Teil eines Teils des Ganzen – frei