Trying to be real #4 SHOViNG

Eine Performance im Theaterdiscounter und in der Klosterstraße.

In der 4. Folge von Trying to be real stellen sich Daniel Hinojo und Heiko Senst mit SHOViNG einer persönlichen wie gesellschaftlichen Grunderfahrung im physischen Selbstversuch.

Die Handlung von SHOViNG ist rein physisch. Eine Belastungsprobe. Zwei Körper, in ihrem Versuch mit der wiederholten Zumutung von Stoßen und Fallen umzugehen.

In der steten Wiederholung des Vorgangs entsteht seine Bedeutung im Auge des Betrachters und durchläuft unterschiedlichste narrative Transformationen.

Ist das eine epische Schlacht? Ist es Unterdrückung? Sex? oder die Abwehr des „Selbst“? Ist es die Reaktion zweier chemischer Substanzen, zweier Atome oder zweier Galaxien? Ist es eine blinde Gewohnheit oder ein kopfloser Angriff? Gibt es hier Opfer und Sieger?

Es geht um den nackten Kampf zwischen Verhalten und Handeln. Um Beweggründe.

„Kann ich Deinen Diskurs mal in den Mund

nehmen?“ im Theaterdiscounter.

Was für ein Superfrust, dass ich im Theater gelandet bin, wo hier permanent gelogen wird. Warum lieben wir moralisch immer die Ehrlichkeit, aber ästhetisch die Lüge, die gespielten Verabredungen? Wie wäre es mal umgekehrt! Wir müssen uns unserer Verletzlichkeit stellen, weil wir radikal abhängig vom Anderen sind. Deshalb labert im Theater doch nicht immer so kitsch-anthropozentrisch daher, mit dieser patriarchal-harten Geste, das ist doch wirklich zum Kotzen, als wärst du die personifizierte Inkarnation des Kapitalismus…..aber ich bin schon wieder vom Thema abgekommen…, wir wollten doch so was Kleines wie das Einüben unserer nachgespielten Erfahrungen zeigen, oder? Ist Kritik am Kapitalismus heute der einzig ökonomische Verkaufsschlager und meine Jacke und mein Tanz nur ein Lifestyle, der den Oberreichen das richtige Image für ihre neo-liberale Stadt leiht? Warum trennen und werten wir das Tier in uns und neben uns ab, obwohl wir auf der Bühne die Sinnlichkeit lieben und im Bett den Sex?

Wir haben das Wenige zusammengeklaut, was wir finden konnten, aus unserem kreativökonomischen Leben, um irgendwie an dieser Einbildung Kunst mitwirken zu können, um hier endlich die Revolution zu verkünden, um endlich alles für verloren zu erklären, um endlich an der Kunst, also am Kapitalismus auch mal teil zu haben, es leben die Gefühle, es lebe das Geld, es lebe die Liebe, es lebe die Lüge. Halleluja, jetzt schlägst aber dreizehn!

Aufhören! Schluss jetzt! Lauter!

„Aufhören! Schluss jetzt! Lauter! 12 letzte Lieder“ am DT.

Ein reiches Stück, gespickt mit Momenten absurden Theaters, vielbödig, verspielt und doch den Roten Faden nie verlierend. Ein gutes Stück Volksentdummung, leicht und humorvoll, aber fein geschrieben, überzeugend gesprochen und musikalisch unterwandert; ein Autorenschrei nach Sinn und Neubeginn jenseits konsumistischer und kapitalistischer Wirklichkeit, welcher hier mit allerlei Spott und Häme, aber unter Verzicht auf herbeifantasierte (Schein-) Lösungen begegnet wird. So schwebt denn auch über aller Köpf‘ die undurchdrungene Melancholie des Hamsterrads Theater: „Wer wird siegen? Die Freiheit, die Kunst oder der Terror des Sinns?“ Und was sagt dazu eigentlich Herr Friedrich Stadtpalast?

Ein Schauspiel nicht zum Ende kommen wollenden Aufhörens, vom Publikum mit spärlichem Beifall entgegengenommen: Ein gutes Zeichen für sein Gelingen! Ja spätestens als Margit Bendokat ihr Nüscht zurückfordert und dieses in aller ihm gebührenden Konsequenz herbeisingt, ist eigentlich alles gesagt, worum es in diesem Stück wie im Leben (nicht) geht: Weitermachen!

Wir hören auf. Es muss sein. So kann es doch nicht weitergehen. Das wissen wir schon lange, davon reden wir immer – jetzt ist es so weit. Wir lassen los, und machen Schluss: Schluss mit dem Schluss jetzt. Schluss mit dem falschen Spiel. Schluss mit den falschen Texten, Tönen, Gefühlen, Gedanken. Schluss mit der falschen Politik, der falschen Gesellschaft, den falschen Freunden. Schluss mit all dem Theater, Schluss, ja Schluss. Schluss mit der Macht der Anderen, Schluss mit der Macht der Meinungen. Schluss mit dem Feuilleton und dem letzten Schrei. Schluss mit dem Funktionieren, Schluss mit der Anpassung, dem eher Dafür-Sein. Schluss mit dem Morgen und Gestern, dem geliehenen Glück und fremden Rat. Schluss mit der ewigen Wiederholung und der verkrampften Gewohnheit. Schluss mit den Ängsten, den Zweifeln und Schluss mit den Fragen. Schluss mit dem „Wenn und Aber“ und dem „Doch auf dem Weg sein“. Und Schluss vor allem mit dem Terror, ja dem Terror des Sinns!

Schluss mit alle dem, alles andere soll beginnen! Die Freiheit, ja die Freiheit, Freiheit, Freiheit! – Und dann werden wir … ja dann werden wir … beginnen. Z. B. damit, ein Lied darüber zu singen! Über die verdammte Unverschämtheit, frei sein zu müssen, so frei.

Regie: Nicolas Stemann
Bühne: Jelena Nagorni, Nicolas Stemann
Kostüme: Marysol del Castillo
Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel
Video: Claudia Lehmann
Dramaturgie: Benjamin von Blomberg

Mit Margit Bendokat, Andreas Döhler, Felix Goeser, Barbara Heynen, Maria Schrader, Thomas Kürstner, Rainer Piwek, Nicolas Stemann, Sebastian Vogel.

No Time For Revolution

Im Theaterdiscounter. In „No Time For Revolution“ verstrickt Heiko Senst sich und das Publikum nach und nach in eine sinnliche wie übersinnliche Gedankenoffensive gegen den Unsinn von Privateigentum und entfremdender Arbeit, frei nach dem Motto: Die Würde des Menschen ist unfassbar.

Ein Stück für und gegen Alle, die keine anderen Gedanken als die Gedanken der Anderen denken. Eine Anklage der dauerhaften Ebbe in Phantasie und Geldbeutel. Eine gut begründete Attacke gegen die Demokratie – die Niederwerfung des Volkes durch das Volk, für das Volk; kurzum: Eine ausgesprochene Unverschämtheit.

„Es wird natürlich der Einwand erfolgen, dass ein solcher Entwurf, wie er hier dargelegt ist, unausführbar bleibt und der menschlichen Natur widerspricht. Das ist völlig richtig. Er ist unausführbar und widerspricht der menschlichen Natur. Und eben deshalb ist er es wert, verwirklicht zu werden, deshalb wird er vorgeschlagen.“

Die Performance liest den Stoff wie eine prophetische Prognose voller paradoxer Gedankenwendungen, die den Menschen als handelndes Wesen durchleuchten. Auf der Suche nach den Bedingungen, in denen sich der Mensch frei, vollkommen und ungezwungen zu entfalten vermag, verstricken Senst und Paasonen ihr Publikum in unbekannte Ideen, verknoten sich in alte Gedanken.

Wie viel Zeit bleibt für Revolution? Wie vergangen sind unsere Zukunftsvisionen?

Ein Stück voll abhängiger Autonomie, unkoordinierter Kooperation und antiradikalem Individualismus. Der Ausdruck der vollkommenen Persönlichkeit ist nicht Empörung, sondern Ruhe, hat auch schon Oscar Wilde gesagt.

Eine Handarbeitsperformance nach „Die Seele des Menschen im Sozialismus“ (1891) von Oscar Wilde

Bloody, but lofty

Cheap Blood im Festsaal der Sophiensaele. Mit einigen Längen und Verkürzungen, ein paar wunderbaren Ideen und einer herrlich ambivalenten Mutter Frost.

Cheap Blood Cheap Blood Cheap Blood Cheap Blood

TRUST

Ein überzeugendes Stück von Falk Richter und Anouk van Dijk, voller Kraft und Leidenschaft, revolutionär geneigt.

TRUST, das halb getanzt, halb gesprochen und in beiden Formen zu annähernd 100% ausgeformt erscheint, handelt vordergründig von zwischenmenschlichen Beziehungen, genauer gesagt jenen schlimmen Dingen, die sich Partner antun. Was hier stimmt, das ist dort – in der Frage des kapitalistischen Wertesystems – nicht weniger richtig. Und die Metapher funktioniert. Ein selten humorvolles Stück ist dabei herausgekommen. Was viele kaum zu denken wagen, wird hier zum eigentlichen Thema: Finanzjongleure haben unser kapitalistisches System und den Glauben daran stärker und nachhaltiger zerstört als es sich die RAF in kühnsten Träumen ausmalen wollte.

Was kann ich tun? Soll ich mir ein Che Guevara Shirt bei Prada kaufen und damit über den Kudamm laufen? Wer solche Fragen stellt, will seine Ohnmacht nicht verschweigen; und dann gibt es da noch die Last der guten Vorsätze und Gedanken, die schlauen Bücher im Keller, die – gelesen – in ihrer Gesamtheit schwer wie Blei auf dem Einzelnen lasten.

Das durchaus heterogene Publikum quittiert diese Neigung zur Wahrhaftigkeit mit warmem Zwischenapplaus und tosenden, lang anhaltenden Ovationen, die mir nur noch aus anderen, das gleiche Thema behandelnden Aufführungen bekannt sind. Überraschend scheint, wie sehr sich auch offenkundig gutsituierte Theaterzuschauer den Kapitalismus vom Halse wünschen. Die Menschen im Publikum machen sich quasi Mut, es zu schaffen, doch tun sie am Ende vielleicht doch nur das, was ihr Gewissen von ihnen erwartet: Sich darin versichern, dass s i e ja nicht mitmachen in diesem Spiel, welches sie allerdings gerade gewinnen?

TRUST, Schaubühne Ein Projekt von Falk Richter und Anouk van Dijk TRUST

Megalopolis

Waghalsige Akrobatik und humorbegabte Einzelauftritte, in ungeschärfter Gesellschaftskritik. Constanza Macras‘ Stück Megalopolis bleibt hinter Qualität und Reife früherer Produktionen zurück.

Artikel in Arbeit

Megalopolis

Gott ist tot und Frost ist Papst

Die Verwandlungskünstlerin Cora Frost gibt das katholische Kirchenoberhaupt Papst Benedikt XVI. als störrisch-debilen Alten und ambivalent zerrütteten Perversling.

Großartig! Originaler als das Original.