Wenn Stadtumstrukturierung wütend macht

Noch wütender – gegen die ugly Stadtumstrukturierung“ – eine dreistündige Fahrradrallye durch Kreuzberg und ein gleichzeitiger Fußmarsch durch Friedrichshain, mit Zusammentreffen auf der Oberbaumbrücke.

Stadtumstrukturierung und Gentrification machen besonders wütend, wenn auf der einen Seite die Kieze aufgewertet, also verteuert, Hausprojekte und Wagenplätze blockiert, geräumt und vertrieben und Berlin-spezifische Kulturen zerstört werden, während auf der anderen Seite sinnlose Bauprojekte, blöde Büroblöcke, Autobrücken und Werbebanner von Großinvestoren die Stadt verunstalten.

Auch in Friedrichshain regt sich dagegen Widerstand. Im Rahmen der Kampagne „Rigaer Strasse Fights back“ werden verschiedenste Aktionen ins Leben gerufen. Bedroht sind dort u. a. die Liebigstr. 34, Liebigstr. 14, Rigaer 94, Rigaer 84, Fischladen und XB Liebig.

In Kreuzberg wurde vor einem Jahr die Yorckstr. 59 geräumt, um Luxuslofts zu bauen. Die Bewohner besetzten daraufhin den Südflügel des Bethanien-Hauptgebäudes und schafften es mit der Hilfe der IZB – mittels eines erfolgreichen Bürgerbegehrens mit etwa 14.000 Unterschriften – das gesamte Gelände auch für soziale und politische Nutzungen zu öffnen und die Pläne des Investors zu durchkreuzen. Die Bezirkspolitik rückte von ihrem hilflosen Vorhaben ab, das Gelände zu verscherbeln.

Im Bergmannkiez wurde am Tempelhofer Berg die Habelsche Trinkhalle abgerissen, die denkmalgeschützten Bauten am ehemaligen Reichelt-Supermarkt werden mit einem Einkaufszentrum überbaut, das als Gesundheitszentrum getarnt wird. Die Aufwertung und die Auswirkungen auf die kleinteilige Laden-Struktur um die Bergmannstraße interessieren die verantwortlichen Projektentwickler und Politiker aller Fraktionen genauso wenig wie die Auswirkungen der Umstrukturierung der Marheineke-Markthalle, deren einmalige Kultur leichtfertig zerschlagen wird. An der Fichtestraße regt sich der Widerstand („Keine Verdichte in der Fichte!“) gegen die Privatisierung des Fichtebunkers, der weder als einzigartiges Denkmal der Berliner Geschichte noch als sozio-kultureller Raum entwickelt wird. Stattdessen soll das umgebende Gelände profitträchtig ausgenutzt, der Bunker mit Luxuslofts überbaut und die Wohngegend verteuert werden. Auch der Sportplatz ist gefährdet.

Der Wagenplatz Schwarzer Kanal an der Michaelkirchstraße ist akut von der Räumung bedroht. Die vielfältigen Impulse des Frauen-Lesben- und Transgender-Projekts werden ignoriert. Ein Ausweichgelände wird nicht angeboten. Es sollen dort weitere Büroblöcke und Lofts entstehen, wobei in der Umgebung bereits jetzt verschiedene Bürogebäude leerstehen.

Die Köpi ist ein beeindruckendes, kreatives, selbstverwaltetes Zentrum und wird durch Polizeirazzien schikaniert. Ein baldiges Ende dieses einmaligen Freiraums wäre den durch profitable Investmentgeschäfte und personelle Verquickungen untereinander verbundenen Investoren und Politikern sehr lieb, um die Gegend an der neuen Verdi-Zentrale in ihrem Interesse stark aufwerten zu können.

Die Lobby der Bau-, Finanz- und Entertainmentmafia ist in Berlin traditionell besonders mächtig. Leider werden nun auch die Spreeufer in Friedrichshain, Kreuzberg, Mitte und Treptow gegen das Interesse der Bewohner verschachert und mit Entertainment-Einheitssoße übergossen. Als Anwohner wird man das alles auch über die steigenden Mieten, höheren Preise und den zunehmenden Autoverkehr spüren müssen. Das vom Senat finanzierte und von einem Zusammenschluss von mehreren Konzernen betriebene Megaprojekt „Mediaspree“ ist zwar relativ unerfolgreich und in weiten Teilen eine Luftbuchung, doch es verändert bereits jetzt das Gesicht des öffentlichen Raumes und vertreibt über kurze und lange Sicht die einheimische Bevölkerung und zerstört die gewachsene kulturelle Struktur. Der Ausverkauf der Stadt und ihrer Potentiale bringt Berlin weiter auf einen unheilvollen Weg der „Hauptstadttrunkenheit“ und belangloser Kultur. Berlin, dit haste nich verdient!

Yorckstr. 59 Start der Fahrradrallye Wagen vom Wagenplatz Schwarzer Kanal Keine Privatisierung! MediaSpree versenken! Umgekehrt gedacht: Senat vertreiben! Die Yorckis sind wütend...Stadtsoziologin Karin Baumert auch... Hört auf die Kinder: Wir wollen eine bunte Stadt – die nicht soviele Bonzen hat! Anwohner-Proteste in der FichtestraßeFichtebunker Blöde Büroblöcke blockieren! Die Staatsmacht - vor leeren Büroflächen... Vor der Köpi: Ihr habt die ganze Stadt verkauft! Ich bin die Gier! Ugly: Die neue Werbetafel von O2 Schönheiten gegen hässliche Stadtumstrukturierung Vom Regisseur von Nolympia  und Gute Nacht G8
Einladung zum nächsten Kiezspaziergang

Was wir (nicht) brauchen

Jeder Schritt der Privatisierung ist ein Schritt zur weiteren Unterwerfung aller Lebensbereiche unter das Diktat des Kapitals. Jeder Schritt des Widerstandes dagegen bringt uns näher an das, was die Menschen brauchen: Bedingungslose, unentgeltliche soziale Infrastruktur für alle!

Mag Wompel

„Der Freischütz“ – ein Abschuss

Die Deutsche Oper machte vor ein paar Monaten Schlagzeilen mit der Neuinszenierung von „Idomeneo“ und der daraus resultierenden Anschlagsdrohung gegen das Opernhaus. Das Spektakel um diese Situation wurde maßlos hochgekocht; die Deutsche Oper sonnte sich in zweifelhaftem Ruhm. Immerhin barg diese Aufmerksamkeit die Chance, dem interessierten Publikum in der Folgezeit großartige Inszenierungen zu offerieren, welche die Qualitäten der Deutschen Oper aufzeigen könnten. Doch welche Qualitäten eigentlich?

Die Inszenierung von „Der Freischütz“ jedenfalls vermag allenfalls zu langweilen, ja wenn nicht gar zu quälen. Gleich mehrfach drängt sich der Eindruck auf, dass die Geschichte in einer eindimensionalen Art verbraten wird. Zudem herrscht über weite Teile der Inszenierung dieser 185 Jahre alten sogenannten Volksoper eine Atmosphäre der volkstümlichen Belanglosigkeit. An die Bühnenwände wurden ringsherum allerlei Poster geklebt. Aber wozu? Sie wirken poppig, dienen allein als Staffage, ohne jeden Zusammenhang oder tiefere Bedeutung. Die gesamte Licht- und Bühnentechnik wird nahezu beliebig angewandt und markiert die faden Höhepunkte einer an sich faden Story.

Als dann im zweiten Teil eine Unmenge an Rehen auf die Bühne herunterhängen, drängt sich abermals die Frage auf: Wozu? Ja wir haben verstanden. Es könnte sich hierbei um eine Parallele zu wagemutigen Inszenierungen an der Volksbühne handeln, aber leider nur um eine laue Variante, denn weiter geschieht hier nichts. Die Rehe hängen umher und die teilweise sogar großartigen Sängerinnen und Sänger singen ihre Passagen. Daran ist nichts neu und nichts besser.

Wozu also überhaupt diese Inszenierung? Die Deutsche Oper zeigt sich hier ambitionslos, altbacken und uninspiriert. Erwartungsgemäß gefällt dies Vielen – ein Symptom unserer Zeit: Der Stillstand gesellschaftlicher Entwicklung. Traurig!

Der Freischütz

Elektrisierende Diva – wo aber ist die Kunst?

Romy Haag in den Wühlmäusen

„Frauen, die ich nicht vergessen kann, TEIL 2“. So lautet es in der Ankündigung. Doch wo ist der zweite Teil? Der vorgeblich zweite Teil ist fast identisch mit Teil 1, den sie vor ein paar Jahren auf die Bühne brachte.

Romy Haag ist schon eine Sensation, wenn sie so ist, wie sie ist. Warum aber bleibt sie künstlerisch so weit unter ihren Potentialen? Sie kann viel mehr und hat das über Jahrzehnte etliche Male bewiesen.

So war denn Romy Haag nun zwar gewohnt beeindruckend und elektrisierend, aber sie löste ihr Versprechen nicht ein. Die Musiker spielten gut, aber die Kompositionen sind flach angelegt. Schade – oder?

In einem Berlin-Song wagt sie dann endlich etwas, das sie ruhig öfter tun dürfte: Sie nimmt Bezug auf die Gegenwart und textet den Berliner Hauptbahnhof ein, „der beim kleinsten Wind umweht – samt seinem Größenwahn.“

Einer so erfahrenen Künstlerin Ratschläge zu erteilen, ist nicht sehr würdig, aber mensch möchte ihr zurufen: Mal was Neues wagen! Die eigenen Lieder nicht vernachlässigen! Musik wieder als avantgardistische Kunst begreifen!

Wer sonst soll es besser machen!? – Es gibt keine Zweite wie Romy Haag!

Frauen, die ich nicht vergessen kann, TEIL 2 Romy Haag elektrisierend

Ungdomshuset ist überall

Am Donnerstag, den 1.3. räumte die dänische Polizei mit Anti-Terror-Einheiten und mehreren Hundertschaften das Ungdomshuset in Kopenhagen, ein unkommerzieller Freiraum, der 1982 erkämpft und seitdem von Jugendlichen selbst verwaltet wurde.

Es fanden Konzerte, Parties, politische Aktionen und vielerlei andere soziale und kulturelle Veranstaltungen statt. 2001 verkaufte die Stadt das Haus, entgegen früherer Zusagen und gegen den Willen der Jugendlichen, an die rechte christliche Sekte „Faderhuset“, die mit dem Kauf in erster Linie beabsichtigte, der selbstbestimmten Jugendkultur Kopenhagens ihren größten Freiraum zu nehmen.

Seit der Räumung befindet sich Kopenhagen im Ausnahmezustand. Es kam zu stundenlangen Straßenschlachten zwischen Jugendlichen, Aktivisten und Anwohnern einerseits und der Polizei andererseits. Bis Sonntag wurden allein schon über 600 Leute verhaftet. Dennoch gehen die Proteste weiter. Sie sind sehr vielfältig und reichen von harten Auseinandersetzungen und kreativen Besetzungen bis hin zu künstlerischen und humorvollen Aktionen. Viele Menschen in Kopenhagen zeigen sich solidarisch. Zudem finden seit einer Woche in ganz Europa Solidaritätsveranstaltungen statt.

Überall und auch in Berlin sind selbstbestimmte Freiräume ein Dorn im Auge der Regierenden und ständig von Räumung und Repression bedroht. Daher kann gesagt werden, dass die Räumung des Ungdomshuset ein Angriff auf alle (noch) bestehenden Freiräume ist. Freiräume sind ein hohes Gut einer menschlichen Kultur und eine Errungenschaft. Diese Errungenschaft ermöglicht es uns, jenseits von alltäglichen ökonomischen oder politischen Zwängen, zum Einen menschliche wie künstlerische und zum Anderen gesellschaftsrelevante Potentiale entwickeln zu können.

Umrandet von Hundertschaften spezieller Polizeieinheiten demonstrieren auch heute wieder allein in Berlin über 2.000 Menschen. Der stille Protest wird wohl noch weitaus größer sein.

Demonstration durch Mitte und Prenzlauer Berg

Neuland denken

Neuland“ in der Reihe Utopisches Flimmern im Ballhaus Ost

Das Ballhaus Ost ist brechend voll. Viele Menschen müssen am Eingang abgewiesen werden, weil der Saal bereits restlos überfüllt ist. Mit so viel Interesse hatte hier wohl niemand wirklich gerechnet. Das Thema jedenfalls ist voller Bedeutungen und drängender Fragestellungen. Gerade im Osten des Landes bluten viele Landstriche und Städte aus. Das wirft nie gekannte Probleme auf und birgt zugleich Potential für real existierende Zukunftsvisionen.

Das Dokumentarfilmessay von Holger Lauinger und Daniel Kunle lehnt sich an die Gedanken von Wolfgang Kil an. Nach eigener Aussage ringt er sich am Ende seines Buches „Luxus der Leere“ eine positive Utopie ab, mit der er nicht zuletzt seine eigene Depressivität in Schach zu halten sucht. Zudem verkündet er: „Ich glaube nicht mehr an meine Utopie.“ Zuvor war in einem Nachgespräch zum Film der positive Grundton mehrfach kritisiert worden.

Mit „Neuland“ knüpfen die Filmemacher an den Vorgänger „Nicht-Mehr / Noch-Nicht“ an, in dem auch die „Zwischenpalastnutzung“ des Palast der Republik und die Arbeit der „Urban Catalyst“-Initiatoren zum Thema wird.

Negativwachstum

Es gibt Menschen und es gibt Monster. Manch ein Mensch ist mit einem Monster befreundet. Wer mit einem Monster befreundet ist, der braucht wohl keine Feinde mehr. Die nun folgende wahre Begebenheit wurde uns von einem Bekannten aus Bitterfeld zugespielt. Ihm gilt unser Mitgefühl.

„Wenn Dein engster Freund dir sagt, dass er mit dir nur Negatives verbindet, dann schlägt Dich das wie ein Faustschlag nieder. Wenn er Dir dann noch sagt, dass er sich bemüht, auch Positives zu sehen, dann nimmt Dir das die Luft zum Atmen.“

Dein Kopf ist schwer, du kannst nicht mehr. Perspektive eines gesenkten Blicks

Chansonpunkrock vom Feinsten

Cora Frost in der Leipziger Moritzbastei

Auch ein starker Husten kann Frost nicht wirklich etwas anhaben. Mit vollem Einsatz wirft sich Cora Frost in ihr Programm das den wohligen Namen „Wir waren auch in Zucker und Butter“ trägt. Gary Schmalzl, Toni Nissl und Florian Grupp begleiten souverän wie immer.

Frost verschiebt die Ebenen und öffnet die vertrauten Auffassungen. Das bedeutet, da wir uns darauf einlassen, Konfrontation, Auseinandersetzung und Neuzusammenfügung. Sie spricht Verstand, Gefühle und Launen gleichzeitig an und lässt die Konstruktionen von Realität und Utopie aufeinandertreffen. Mensch sollte ihr umgehend den Nobelpreis für Herausforderung verleihen.

Großartig singt sie auch wieder ihren Song „Das ist die Straße, wo sich mein Glücksrad dreht…“ über „meine türkische Heimat in Berlin“. Und das Publikum zeigt sich am Ende sogar angetan und verlässt nicht in Scharen den Saal, was bei Frostschen Auftritten schon öfter vorgekommen sein soll. Eine wie Keine!

Moritzbastei Cora Frost