Princess im Puttensaal

Klassenvorspiel der Gesangsklasse von Annette Goldbeck-Löwe
29.06.2015, Puttensaal, Berlin-Wedding, 19.00

E. Princess

Musik liegt in der Luft (1957)
So oder so ist das Leben (1934)
Anything You Can Do (1946)
In Berlin gibt es ein Meer (2000)

Marten Mühlenstein

Night in Tunesia (1942)
My One and Only Love (1952)

u. a.

Schwanensee Solo

festivaaliEine kurzweilige, dramaturgisch stark verdichtete, humorvoll und spannend erzählte Schilderung eines überaus sympathischen Scheiterns am viel zu großen Vorhaben, von und mit Annika Tudeer, im Rahmen des Festivals finnischer Performance-Kunst im Theaterdiscounter.

Annika does Swanlake

annika-goes-swanlakeEin weltbekanntes Ballett, in dem sich ein junger Mann, Siegfried, an seinem Geburtstag in einen Schwan verliebt. Sehr seltsam. Warum wollen Menschen Jahr für Jahr immer wieder Schwanensee sehen? Annika Tudeer, Gründerin der international erfolgreich tourenden Gruppe Oblivia, nimmt das Ballett Schwanensee als Rahmen für eine Performance darüber, dass es vielleicht gar keine so gute Idee war, aus Schwanensee ein Solo zu machen.

Der Glückswunsch: eine tanzgeile Sau

Drei literarische Vorlagen dienten hier, eine KARRIERE zu erschaffen, und was daraus hervorgegangen ist, ist tatsächlich auffallend literarisch – und das ist viel, aber reicht das? „So erhellend wie eine ölverschmierte Seemöwe“, denke ich, und doch zirkuliert hier etwas, etwas Großes, etwas Mächtiges, etwas an sich selbst Scheiterndes, ein irrlichterndes Scheitern im Versuch, Begriffe wie Freiheit und Glück aus dem geistigen Ghetto des Weisheitspathos zu befreien. „Der Glückswunsch ist eine tanzgeile Sau“, erfahren wir und wollen endlich lachen, doch auf dem Weg dorthin siegt die Frage: Wo ist der Humor? „Ein Spieler vor dem Tor, und er trifft es nicht“, denke ich, und als das Spiel zu Ende ist, verlassen die ersten schon den Saal, während andere ergriffen applaudieren. Im Theaterdiscounter.

karriereAm Anfang steht die Entscheidung, was will ich erreichen: Ruhm, Vermögen, persönliches Glück? Lebensplanung wird kurzerhand auf drei Kategorien reduziert. Der Sinn des Spiels ist vorwärtszukommen, stellt die Spielanleitung des Gesellschaftsspiels KARRIERE von 1955 klar. Der Hersteller Parker wirbt: Ein heiteres Spiel um ein ernstes lebensnahes Thema!

Sind persönliches Glück, Ruhm und Vermögen heute noch relevante Stufen der Karriereleiter? Ständig schreiben und optimieren wir unsere Biografien. Selbstbestimmtheit ist dabei ein hohes Gut, doch der Druck hat keineswegs abgenommen. Wir buhlen um Image, beschaffen Referenzen, erkämpfen Erfolge kurz: Wir machen Karriere. Wer weiß, was er will, gewinnt. Wer einmal scheitert auf seinem Weg, hat automatisch verloren?

karriere-kathrin-mayrAusgehend vom Brettspiel KARRIERE haben drei junge Dramatiker Geschichten entlang der in der Spielstrategie zentralen Grundpfeiler Ruhm, Glück und Karriere erarbeitet. Dirk Laucke verbindet den Diskurs dreier Möwen über den Zusammenhang von Freiheit und Ökonomie mit einer Erb- und Familiengeschichte zum Thema Vermögen. In Ferdinand Schmalz’ Text über das Glück zieht das Leben des Karrieremenschen Egon Erichs wie ein Film an uns vorbei. In dem Stück Ruhm verknüpft Gerhild Steinbuch öffentliches Sterben mit dem schonungslosen Blick auf den eigenen Mangel aus einer besonderen Perspektive.

„Zum selbstgesteckten Ziel führt die geplante Karriere: durch Widerwärtigkeiten, Mißgunst, jähen Aufschwung, schwierige Entscheidungen“, weiß die Spielanleitung und verspricht, dass man sich auf seinen Landsitz im Tessin zurückziehen kann, sobald man alle Ziele erreicht hat.

Mit Irene Benedict, Alexander Jaschik, Mathis Kleinschnittger. Regie: Kathrin Mayr. Bühne: Fabian Wendling.

Geistige Materialermüdung

Immer wieder gern besuche ich Ausstellungen studentischer Arbeiten im vielversprechenden Fach der bildenden Künste. Oft bin ich schwer enttäuscht, manchmal ratlos, gelegentlich angetan, selten begeistert. Stimmt wenigstens die Atmosphäre, ist alles halb so schlimm. Dann gebe ich mein Bestes, nicht allzu säuerlich zu sein, nicht ärgerlich ob der vertanen Zeit, in der ich mich ihnen und sie sich mir zu nähern suchten: all die scheiternden Versuche, unreifen Positionen und realsatirisch anmutenden Selbsteinschätzungen überpriviligierter Wohlstandskinder, deren geistigen Ausschiss ich zur Kenntnis zu nehmen hatte dann fluche ich nur still und leise, ganz unbemerkt, dass die, die sich „Künstler“ nennen und nennen lassen, nur wenig bis gar nichts zu sagen haben, das mich oder irgendwen ernsthaft interessieren könnte, sollte oder müsste.

Nein, es ist nicht so, dass die Werke der „Künstler“ wie es tradierte Vorurteile wollen zu entrückt, außerplanetarisch, ja zu unverständlich sind, nein, vielmehr zeigen sich in ihnen klar und deutlich die grassierende Geistlosigkeit, das ignorante Desinteresse, die belanglosen Studien und schein-erhellenden Erörterungen suchender, nichts glaubender, aber auch nichts nicht glaubender Hochstapler-Imitatoren, deren lustlose Darbietungen nicht einmal den Charme der Verweigerung in sich tragen. Ein Gräuel, möchte man meinen, und so ist es auch: ein Gräuel. Doch warum tun sie’s dann? Man weiß es nicht. Sie wissen’s nicht. Ja, es ist nicht einfach, Künstler zu sein. Das Heilsversprechen der Kunst: wirkt es denn?

artGewiss: Ausnahmen bestätigen die Regel. Was und wer dazugehört, überlasse ich der Spekulation. Kunst ist eh vor allem das: Spekulationsobjekt, Wertanlage wohlsituierter Geldmacher, Erben und Erbeserben, eine Eitelkeit gieriger Sammler, ein Zeitvertreib gelangweilter Ehepartner; als Arbeitsbeschaffungsprogramm für Kunstversteher und diejenigen, die sich als solche aufzuspielen wissen, erfüllt sie aber immerhin auch soziale Zwecke so dehnbar ist dieser Begriff.

Da ist man also „Künstler“ und geht an die Öffentlichkeit. „Warum?“, möchte man fragen, wenn es sich zunächst durch nichts erklären lässt. Doch gewiss wäre dies mein Irrtum: dass es wirklich unerklärlich sei. Denn der Wahnsinn unserer Welt Habsucht, Hass, Fremd- und Selbstausbeutung und -inszenierung, Falschheit und Bigotterie er schlägt sich nieder: in Elend, Flucht, Ohnmacht, und ebendiese Ohnmacht spiegelt auch die Auseinandersetzung, die in den Werken jener „Künstler“ letztlich dann doch geführt wird kraftlos, ergeben, ohnmächtig, ohne Verantwortungsgefühl. Ausnahmen … wie gesagt, sind nicht die Regel.

„Und, wie findest du’s?“ Danke, die Hoffnung stirbt zuletzt.

material-und-geistIm Sommer jeden Jahres gibt die galerie gerken jungen Nachwuchstalenten die Möglichkeit ihre Arbeiten im Galeriekontext zu präsentieren. Mit der Gruppenausstellung „Material und Geist.ArtStudents“ werden 19 Positionen vorgestellt, die schlaglichtartig einen Eindruck der aktuellen künstlerischen Entwicklungen ermöglichen soll. Neben den klassischen Gattungen der Kunst, wie Malerei und Bildhauerei, finden sich gleichsam installative, performative und transmediale Arbeiten.

Werke von Ella Becker, Johanna K Becker, Sascha Brylla, Alison Darby, Marta Djourina, Fisher Fisha & Fisher, Jonathan Guggenberger, Beril Gür, Anna Haenko, Zora Janković, Amelie M Kemmerzehl, Susanne Henny Kolp, Felix Leffrank, Martin Maeller, Nora Manthei, Melina Mauberret, Karin Salathé & Sidsel Ladegaard und Anja Spitzer.

Intelligentes Zwerchfellkitzeln

Eine überaus grandiose, in sich und über die Erwartungen hinaus wachsende Darbietung spielerischer Lebenslust, eng an der Realität, nah am Wahnsinn, tragikomisch, herzzerreißend, fein und menschlich, immer wahr. Verena Unbehaun gelingt es dabei scheinbar mühelos, die Wirklichkeit satirisch zu erschließen, ohne von oben herab in die Welt des Schlagers einzufallen. Intelligentes Zwerchfellkitzeln im Theaterdiscounter.

In meiner Bluse platzt die Primel

Na gut, dann eben Schlagerstar! Mischelle Schmidt-Turban hat sich ohne Erfolg übern Coach zum Coach coachen lassen. „Ich möchte, dass alles an mir und um mich herum immer so bleibt wie ich bin. Ich möchte alles an mir immer so behalten wie ich’s von klein auf kenne.“

schlager-als-chanceDie arbeitslose Schlagerkünstlerin ist ständig im Zweifel und im inneren Kampf, ob sie ihr künstlerisches Ich aufgeben und eine Umschulung machen soll. Zum Schluss lässt sie sich im Zoo einliefern, damit ihr authentisches Im-Gehege-Rumsitzen von Zoobesuchern endlich mit Interesse aufgenommen wird. Gegen die böse Welt draußen wappnet sie sich mit häuslichen Megahits wie ihrem Titelsong Nr. 1 „Ist das nichts?“ und „Das Leben ist schön“.

in-meiner-bluse-platzt-die-primel-unbehaunDie gestalkten Fans hocken dabei im Wohnzimmerregal und ihr brutaler Gerichtsvollzieher Harley Weewax aka Stefan Hillebrand sitzt ans Keyboard gefesselt und haut wütend in die Tasten. Zusammen haben sie ihre tägliche Euro-Vision und bauen Megaschlager über den alltäglichen Abgrund hinweg als schöne Möglichkeit, die große Siedlungs-Depression in Middelerde zu überwinden und endlich von alleine Größe zu empfinden.

Eine krude schlagernde Unterhaltungsdienstleistung.

Perversion und Entdeckung

Musisch verzierte Lesung männlicher Sichtweisen auf erotische Gelüste, im Geiste einer verspäteten Aufklärung, mit überraschenden Eingeständnissen und erstaunlich reaktionär anmutenden Aversionen. Im Theaterdiscounter.

DIE ZWÖLF GESPRÄCHE DER SURREALISTEN ÜBER SEXUALITÄT
/ Die Bairishe Geisha

Alles, was zum Bereich des Perversen und der Entdeckung gehört, zerrt Die Bairishe Geisha – in freundlicher Aneignung der intimen Gesprächskreise um den Surrealisten André Breton – schamlos vors Publikum: Frauen, sorgfältig als Männer verkleidet, vertreten in dieser szenischen Lesung vehement männliche Sichtweisen auf Sex.

Zwischen 1928 und 1932 trafen sich Surrealisten aus dem inneren Zirkel um André Breton in Paris in wechselnder Kombination insgesamt zwölfmal, um sich über ihre sexuellen Erlebnisse auszutauschen. Ziel dieser Recherchen war es, zu einem Gefühl vorzustoßen, dem die Surrealisten eine revolutionäre Kraft zuschrieben: dem Begehren.

Nicht in der Sammlung origineller erotischer Erfahrungen lag der Sinn des Unterfangens, sondern im Akt der Enthüllung selbst; ein Initiationsritual fand statt, eine Selbstentblößung aller Gruppenmitglieder, die damit ihrem Zusammenhalt und Mythos eine intime und aufgeklärt-magische Dimension hinzufügten. Die Gespräche der Surrealisten sind ein erstaunliches Dokument für das erwachende Bewusstsein der Gleichberechtigung, auch wenn den Frauen selbst bei diesen Recherchen nur selten das Wort erteilt wurde.

Zusammen mit dem Musiker Santiago Blaum orchestriert Die Bairishe Geisha die Stimmen von André Breton, Louis Aragon, Paul Eluard, Man Ray, Max Ernst, Yves Tanguy und anderen.

Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität. André Breton

Mit Santiago Blaum, Judith Huber, Eva Löbau, Vivien Mahler. Special guests: Oliver Haffner, Sebastian Šuba, Patrick Wengenroth.

Magic Garden Souvenir

Liebevoll gemachte Veranschaulichung der Wirkungsweise des menschlichen Erinnerungsvermögens, in phantasievollen Begriffen und mit Augen, aus denen der Schalk blitzt. Eine Inszenierung, in der auch Längen und Breiten schlussendlich Sinn ergeben. Im Theaterdiscounter.

Wir wollen, dass uns geliebte Menschen nie vergessen. Alles und alle wollen erinnert werden. magic garden untersucht alle Aspekte des Erinnerns und In-Erinnerung-bleiben-Wollens. Welche Traditionen prägen uns, bewusst oder unbewusst? Wodurch sind unsere Erinnerungen manipuliert? An welches Theaterereignis erinnern Sie sich?

souvenirDer theatrale Moment existiert nur im Augenblick des Erlebens. Von dieser Gegenwart aus taucht das Theaterkollektiv tief in die zurückliegenden Erlebnisse; schafft die Bedingungen für ein perfektes Erinnern. Was macht das Denkmal auf dem Bahnhofsvorplatz mit meinem Gedächtnis? Wie werden Ereignisse öffentlich erinnert? Wieso erinnere ich mich an ein rotes Feuerwehrauto, obwohl mir mein Vater damals ein blaues schenkte? Und warum erzähle ich das Ende meiner letzten Beziehung nach dem Schema eines Hollywood-Dramas?

magic-garden-souvenirmagic garden denkt in SOUVENIR über Denkmäler, Mnemotechnik, Werbung, Geschichtsschreibung und Neurobiologie nach und verlässt sich radikal auf eine zentrale Kraft des Theaters, die Flüchtigkeit. Mit deren Hilfe und den Erinnerungen des Publikums soll ein Denkmal für ein freies Erinnern entstehen. Oder für manche für ein totales Vergessen. Von diesem Abend soll nicht weniger bleiben als die Erinnerung.

Von und mit Mirjam Berger, Katharina Bill, Michael Glatthard, Anne Haug, Miko Hucko, Corinne Maier und Tina Müller.

Behauptung

Großartig gespielte, in vielschichtiger Melancholie geschwänkte Inszenierung einer tragischen Biografie (unter vielen), in östlicher Realitätswahrnehmung, mit ebensolchem Charme und erkennbarer Intelligenz. Im Theaterdiscounter.

/ ein Mann. ein Wort.

behauptungWir sind Helden der Arbeit. Wir sind die Helden unserer eigenen Biografie. Immer alles geben, bis zur Erschöpfung. Der Burn-Out als Auszeichnung. In diesem Dokumentartheater über Menschen in der Krise ist alles Lüge; diese Erzählungen entsprechen alle der Wirklichkeit. So lauten die Pole einer schillernden Geschichte über das Behaupten – im Sinne des Durchsetzens einerseits und des Scheins andererseits.

behauptung_warrugMänner nehmen’s leicht, die Sache mit dem Durchsetzen. So die Behauptung. Einer vertrödelt die arbeitslosen Wochen bei Videospielen, um am Wochenende mit dem Handy am Ohr als Geldhai an der Wall Street zu sitzen. Ein anderer eröffnet ein Reisebüro und verkauft Traumreisen in seinen Schrebergarten. Wieder einer verzweifelt an den eigenen Lügengeschichten, erfindet aber immer neue. Stop! WarRug ist gerührt von den Hochstaplern dieser Welt. Was sind deren Strategien angesichts der Unzugänglichkeit und Unzulänglichkeit des eigenen Ichs? Wenn nur noch ein erfolgreiches Ich akzeptabel ist, was liegt näher, als sich selbst radikal auszuweichen? Dem immer geforderten „Mehr“ begegnet die Depression mit individueller Anpassung an Fantasien der Masse, wodurch die Idee vom eigenen Glück unkenntlich wird.

marton-peter-nagyDer Performer Márton Nagy erzählt seine eigene Geschichte in der von anderen. Er behauptet sich in den von WarRug recherchierten Biografien von Gescheiterten und Siegern unserer Leistungsgesellschaft, von Hochstaplern, Therapeuten und Life-Coaches. Als Zuschauer lernen wir den Mann auf der Bühne dabei immer besser kennen. Behauptet er. Es entsteht ein Vexierbild zeitgenössischer Lebensentwürfe, die den schönen Erfolg als eine traurige Wachstumsverweigerung offenlegen. Der bildende Künstler Markus Uhr entwirft dazu einen Behauptungsraum von eigenem Gewicht.