Denkst auch du wie ein „Terrorist“?

Was das BKA kann, können wir auch: Indizien für „Terrorverdacht“ sammeln. Doch Beweise finden auch wir keine. Das BKA und die Bundesanwaltschaft freilich müssen dies erst noch zugeben, denn Axel, Florian, Oliver, Andrej und diverse (weitere) Wissenschaftler werden immer noch beschuldigt, eine „terroristische Vereinigung“ gebildet zu haben. Drei von ihnen sitzen nach wie vor in Moabiter U-Haft, isoliert. Das – ja – ist ein Skandal.

Am Denken und Schreiben aber lassen die Beschuldigten sich nicht hindern:

Berlin goes global (Andrej)
Verpflegt & abgeführt (Florian)

Im TerrorMirror äußerte die Ostprinzessin ihr Verständnis, dass die Beschuldigten die Öffentlichkeit suchen. „Wir brauchen eure Aufklärung!“

Begehren gegen Planungsterror

Das „Bürgerbegehren Spreeufer für Alle“ gegen Mediaspree ist erfolgreich gestartet. Begehrtes Begehren: Mediaspree sinkt.

Die Ostprinzessin äußerte sich hierzu heute auf SprayRadio 77,7: „Stadtumstrukturierung kann so schön sein! Statt der alternativen Projekte und Kulturen werden jetzt mal die Vertreibenden vertrieben. Ich rufe alle Menschen in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Friedrichshain zur Unterzeichnung auf!“

Heiligendamm: Trauma und Erweckung

Die Sonne scheint ausgiebig, der Himmel ist heiter, die Landschaft wundervoll, und Angst ist ohnehin Deine ständige Begleiterin, und bekanntermaßen ist sie ja ein Überlebensinstinkt. Die Einheimischen erscheinen Dir sympathisch, die Menschen im übervollen Camp mal so und mal nicht so, für die Einsatzkräfte der Polizei gilt dasselbe, und die Lage der Welt ist nicht besser und nicht schlechter als vorige Woche. Doch irgendetwas ist ganz anders in diesen Tagen. Es ist G8 und die Vorsitzende des gerade vorsitzenden Landes hat nach Heiligendamm geladen. Im Zeichen der Angst der Mächtigen gegenüber denen, die zu „ihrer“ Bevölkerung zählen, wurde der Ort eingezäunt. Tausende Kritiker wurden bereits vor den Protesten kriminalisiert. Polizei und Militär sind im Dauereinsatz. Irgendein Gefühl, dass Du noch nicht gekannt hast, hat Dich hierher getrieben. Du wolltest es mittendrin erleben, ohne zu wissen, was das bedeuten würde. Was Du dann tatsächlich erlebt hast, hat Dich in vielerlei Hinsicht tief erschüttert.

Heute, einhundert Tage später, hast Du noch immer das himmlische Geräusch im Ohr, das permanente Kreisen der Helikopter, sobald Du an Heiligendamm denkst. Sie flogen am Tag und in der Nacht. Tagsüber kreisten sie einzeln, zu zweit oder zu sechst über Dir und in den Nächten stand ein Helikopter im Himmel, tief über dem Camp, um halb drei und dann um fünf nochmal, jeweils zehn Minuten lang. Schon den ganzen Tag und die halbe Nacht über waren die Helikopter im Einsatz über dem Camp und um das Camp herum gewesen. Nachts dann riss dies Tausende aus dem Schlaf. Angst und Unsicherheit wichen dem nächtlichen Frieden. Unten – im Zelt liegend – versteht man sofort, was der Zweck und was die Botschaft ist. Das unmittelbare Ziel des Einsatzes ist Folter durch Schlafentzug. Eine Entschuldigung dafür findet sich in Dir auch nach langem Nachdenken und Abwägen nicht. Dieses Zeichen der Erbarmungslosigkeit hat sich tief in Dich eingraviert.

Die enervierende Geräuschkulisse stellt jedoch nur das halbe Vergnügen dar, auch Bilder haben sich in Dich eingebrannt. Nie zuvor hast Du derart viele und aufgeregt hin- und herfahrende und auf allen Wegen, Um- und Unwegen erscheinende Polizeifahrzeuge erlebt, nie zuvor wurdest Du im freien Gelände verfolgt und gejagt, auf den Äckern, an Waldesrändern, auf dem Deich, am Ostseestrand, im Zeltlager, auf der Straße, auf den kleinen Abzweigen, zwischen Schafgeblök und Grillenzirpen, weit vor den Zäunen, Toren und bis an die Zähne bewaffneten Einheiten mit Schießbefehl, die den G8-Tagungsort Heiligendamm wie eine Festung sicherten und kilometerweit gegen jedwede Störung abschirmten. Noch Wochen nach Deiner Rückkehr in die vermeintlich friedsame Heimat siehst Du Mannschaftswagen, vor Dir fahrend oder stehend oder entgegenkommend,  sobald Du die Augen schließt. Das Gefühl dazu legt sich über all Deine sonstigen Empfindungen wie Mehltau. Vor deinen Augenn sind die Bilder präsent, sobald Du an Heiligendamm erinnert bist. Du denkst an den Hass und die Verachtung in den Gesichtern der mit willkürlichen Absperrungen betrauten und vor ihren gewalttätigen Räumungseinsätzen stehenden Einsatzkräfte. Du erinnerst Dich an die Rambos ebenso wie an jene Männer, die dem Anschein nach einer Boygroup hätten entsprungen sein können. Diese Gedanken verdunkeln Dein Gemüt, denn Du denkst an die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihren Hass verbal bekräftigten: „Das müssen wir noch alles wegräumen“, sagte der eine und schon warst Du jeglicher Menschenwürde beraubt.

Gemeinsam mit hunderten anderer betrittst Du die idyllische Bühne eines gewaltigen Schauspiels. Du überquerst die sanften Hügel der Sommerwiesen, die in der Sonne leuchtenden Felder, überwindest Stacheldraht und Gräben, änderst Deinen Kurs, sobald Deine Verfolger Dir zu nahe kommen. Am Ende gelangst Du an das Osttor des mächtigen Zauns, der den Ort Heiligendamm weiträumig abriegelt. Immer mehr Menschen gelangen auf provisorischen Wegen an das scharf bewachte Tor. Auf der Zufahrtsstraße versammelt sich die immer weiter anwachsende Menge, informiert und berät sich, hält einander fest. Viele sitzen oder liegen erschöpft auf dem Asphalt. Gelegentlich streifen Einsatzkräfte in voller Montur durch die Masse, um dann wenig später den Rückweg anzutreten. Manchmal preschen sie mitten durch die verunsicherte Menge, andere Male patroullieren sie am Rand. Räumpanzer und Wasserwerfer werden in Stellung gebracht. Aus Megafonen und Lautsprechern tönen strikte Aufforderungen; die Durchsagen werden von Mal zu Mal martialischer.  Zwei Helikopter kreisen bereits seit Stunden über euch. Plötzlich landen im hohen Gras einer angrenzenden Wiese sechs Helikopter. Einsatzmannschaften steigen aus und laufen auf die Menge zu. Ihre Montur, die Schlagstöcke, die lauten Motoren verschaffen sich zweifelhaften Respekt. Doch diesmal blufft die Staatsmacht nur. Nachdem die Kämpfer wieder abgezogen sind, erscheint Kavallerie. In einer Reihe von neun Pferden sitzen wiederum Herren in voller Montur. Und wieder fragst Du Dich, was in den nächsten Momenten geschehen wird. Die Reiter erscheinen Dir bedrohlich, der Himmel trägt Spannung, was währenddessen an den Flanken geschieht, weißt Du nicht.

Aus intellektueller Distanz heraus mag man die gewaltvollen Eingriffe der Staatsmacht als lachhafte Muskelspiele abtun wollen, denn „umso lächerlicher stand sie da mit ihrem überzogen militanten und gewaltbereiten Apparat“, so ein Berliner Kommunikationswissenschaftler. Zum Lachen aber animiert nichts, während sich die unmittelbare Praxis vollzieht. Keiner jener Eindrücke erweist sich als unbedeutend, alles daran ist so bedrohlich und so wesentlich wie es erscheint, wenn Gefahr, Angst und adrenalingeschwängerte Unsicherheit um sich greifen. Und dann kehrst Du mit einem Gefühl heim, das Du vorher nicht gekannt hast, dem Du allerdings zutraust, Deine ganze Existenz verändert zu haben. Denn das war Krieg, ohne Bomben, ohne Schusswaffeneinsatz – fast –, ohne Tote zwar – noch –, doch nichts kann verleugnen: Ein Staat führt Krieg, Krieg gegen Dich, gegen Euch.

Mittendrin wolltest Du sein, ahntest Du ja nicht, was dies bedeuten würde. Eure Bewegung der Bewegungen sahst Du dort, hast sie erlebt, sie verstanden; auch vieles andere hast Du nun begriffen, und lang hast Du gewartet, tief nachfühlend, um von einigen der Vorgänge um Heiligendamm ohne Hass und ohne überzogene Verachtung erzählen zu können.

NO G8 - Spazierengehen im Nachbarort Börgerende Heiligendamm bewachen Willkommen heißen Campen in Reddelich Planen - im Park von Bad Doberan Querfeldein dem Ziel entgegen... Hindernisse überwinden Straßen sperren, hinter den Linien Blockieren, am Osttor Am Zaun filmen, wie man gefilmt wird Der Kavallerie entgegensehen ... und Helikoptern.

Gewalt ja, nein, vielleicht?

Eine (neue) Gewalt-Debatte ist so nötig wie eh und je, doch es gibt einen (wieder) zunehmenden Bedarf für eine solche Debatte. „Demokratie – langweilig wird sie nie“, sang Andreas Dorau 1988. Aber genau das droht sie zu werden, Vielen ist sie’s schon längst – und eigentlich leben wir ja sowieso nicht in einer Demokratie, sondern nur in einer Repräsentation von Mehrheitsinteressen, die aber in einem Zeitalter fast ungebremster Macht von Kapitalinteressen – über Politik, Wirtschaft, Konsum, Kultur und Medien – wohl eher als fremd- denn als selbstgelenkt angesehen werden müssen.

Vehemenz der OstprinzessinVehemenz der OstprinzessinVehemenz der OstprinzessinVehemenz der OstprinzessinVehemenz der OstprinzessinVehemenz der Ostprinzessin

Gewalt ja! Gewalt haben wir (oder eben nicht) – die Gewalt über unser Leben, über unser Handeln, über unsere Träume. Oder haben wir sie verloren – vielleicht auch nie gehabt? Aber: Wir streben nach dieser Gewalt.

Wer in unserem Namen Gewalt ausüben will, der muss mit unserer Gewalt rechnen – mit unserer Gewalt über uns. Gewalt über sich zu haben, bedeutet auch die bewusste Entscheidung für oder gegen eine Sache – eine Entscheidung des freien Willens (Selbstgewalt). Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: In Afghanistan werden Militäreinheiten eingesetzt, die dort in unserem Namen Politik durchsetzen. Gefragt hat uns niemand – niemand hat gefragt, ob wir in einem sog. Staat zusammengefasst sein wollen, niemand hat gefragt, ob wir unter dieser Zwangszusammenfassung die von den Zwangszusammenfassungsorganen getroffenen Entscheidungen mittragen wollen. Wir haben sie einfach schweigend mitzutragen. Wer allzu munter aus dem staatlichen Kollektiv tanzt, der riskiert nicht nur seine „bürgerlichen Rechte“, nein, der kann auch damit rechnen, dass er seine Menschenrechte einbüßt. Im nebeligen Übergang der Menschenrechte in die „Bürgerrechte“ befindet sich ein übergreifender Zwischenraum, in dem schlichtweg der Gewalt-Stärkere bestimmt – nicht der, der mehr Gewalt über sich selbst hat, sondern der, der mehr Gewalt über Andere hat. Diese Bestimmung über Andere ist gerade in diesem Zwischenraum eine Fremdbestimmung besonders übler Natur, weil sie nur über Gewalttätigkeit (staatl. Repression durch entsprechende Aktivierung von Behörden, Polizei, BKA, Geheimdienst, Militär etc.) aufrecht zu erhalten ist, vor Allem aber deshalb, weil sie den Unterschied zwischen „meiner Meinung“ und einer „Zwangskollektiv-Meinung“ zu verwischen bzw. zu unterbinden versucht. Dies ist zwar ein aussichtsloses Unterfangen, dennoch erzeugt dieser Unterbindungsversuch (Gegen-) Gewalt.

Ich will hier gleich sagen: Der Einwand, dass es in einer „Demokratie“ immer möglich sei, eine abweichende Meinung zu artikulieren, wird erstens durch immer (neue) Erfindungen zur direkten Unterdrückung eben dieser (Demonstrationseinschränkungen, willkürliche und repressive Ermittlungsverfahren, Verhaftungen, politische Justiz), zur Nicht-Verbreitung (Stichwort Medien-Gleichschaltung) und zur Negierung (Forderung der Akzeptanz einer Mehrheitsentscheidung) widerlegt und ist zweitens für die unterlegene Minderheit irrelevant, weil das „demokratische“ Ergebnis insofern unbefriedigend ausfällt, als dass es die Minderheitsmeinung zu absorbieren versucht. Daher ist es von je her so, dass eine kluge (Selbst-) Lenkung einer tatsächlichen Demokratie (oder auch einer „Demokratie“) darin besteht, die Minderheitsinteressen ausreichend zu berücksichtigen. Genau dies aber ist nicht der Fall und lässt sich auf nahezu alle Bereiche der Politik beziehen. Die in eine solche Lage geratende Minderheit (Einzelne oder eine Minderheiten-Masse) steht vor zwei besonders großen Herausforderungen: Zum Einen muss sie ihre Selbstgewalt unter widrigsten Bedingungen zu erhalten versuchen, zum Anderen muss sie nun einen anderen Weg finden – wiederum unter widrigsten Bedingungen – ihre Interessen zu artikulieren und zudem die verwehrte Einbeziehung ihrer Interessen zu kompensieren versuchen.

Welche Möglichkeiten bestehen? Die – systemisch gewollte, (a) über zuckrigen Kapitalismus und (b) über „soziale Zuckerli“ geförderte oder geschaffene – weitverbreitete Lethargie einmal außen vorgelassen, besteht zum Einen die Möglichkeit des sog. Rückzugs ins Private und zum Anderen ein offensiver, öffentlich wahrnehmbarer Kampf. Dieser Kampf wiederum hat viele Facetten. Während Kusine Kampf Gewaltaktionen gegen (das System repräsentierende) Sachen und Neffe Gewalt Gewaltaktionen bevorzugt, die dem Zivilen Ungehorsam zugerechnet werden können, wählen – parallel oder stattdessen – Tante Gewalt die wort- und rechtspolitische Aktion (Journalismus, Volksbegehren, Bürgerbegehren, juristische Auseinandersetzungen) und Vetter Gewalt den sog. Marsch durch die Institutionen (diverse Beispiele…), der sich zum Teil als erfolgreich (gesellschaftsrechtliche Liberalisierungstendenzen) zeigt, zum Teil als zähes, aber erfolgloses Streiten (diverse frustrierte Funktionsträger in den diversen staatlichen und außerstaatlichen Institutionen) erweist und sich zum Teil als Verrat und Wendehalspolitik entpuppt (unzählige Beispiele à la Joschka Fischer). Auch die mehr oder minder verstoßene Tochter Gewalt soll nicht verschwiegen werden: Ihr Handeln sieht auch Gewalt gegen Menschen (das System repräsentierende und/oder Kollateralschäden, also unschuldige Opfer, die in Kauf genommen werden) vor (siehe z. B. Teile der RAF).

Gewalt bietet also ein vielschichtiges Panorama. Gewalt erzeugt Gegengewalt, heißt es. Das ist zweifelsohne wahr und funktioniert in beiderlei Richtung. Im Sinne eines Widerstandes gegen die Fremdbestimmung meines eigenen Willens (z. B. über kapitalistische Konsummechanismen) und die „Auch-in-deinem-Namen-Politik“ des Zwangskollektivs soll und muss diese Aussage wahr sein und Gegengewalt wahr werden!

Gewalt bedeutet nicht Militanz. Militanz selbst kennt – wie beschrieben – ebenso Unterscheidungen in Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Menschen. Für Einige ist bereits die erstgenannte Form der Militanz untragbar, für Andere eine notwendige Konsequenz. Wer aber Militanz verabscheuen will, sollte zumindest eine Vorstellung davon haben, wie die Alternativen dazu aussehen. Einige habe ich bereits genannt. Mir selbst fielen zunächst ein: Im Bildungswesen aktiv werden, direktdemokratische Mittel anwenden (Volksbegehren, Bürgerbegehren), alternative Netzwerke und Ökonomien aufbauen, Proteste und Zivilen Ungehorsam ausweiten. In diesen Bereichen ist unendlich viel zu tun.

Manchen erscheint diese Unendlichkeit als so erschreckend unendlich, dass sie ein Ende mit Schrecken bevorzugen. Ob das dazugehörige Sprichwort auch dann wahr – wenn überhaupt passend – ist, wenn es um die Frage der einen oder anderen Militanz (-Aktion) geht, wird wohl ehrlicherweise niemals jemand zweifelsfrei mit Ja oder Nein beantworten können. Daher: Vielleicht.

Im Bezug auf die zuvor beschriebenen Alternativen steht für mich aber zweifelsfrei fest: Gewalt ja!

Fern sehen

PalastKurier, 11. September 2007

+++ Nach kurzem Aufenthalt in Alexandrowska hat die Ostprinzessin ihre offizielle Reise an die Baltische See angetreten. Auf dem Programm stehen umfassende konspirative Gespräche zur aktuellen Lage von Kunst und Politik, über den Widerstand – im Allgemeinen wie im Speziellen – und zur Zukunft der Stadt Berlin wie des ganzen Ostens: von Alaska über Neufundland, Öland, Mesopotamien und die Wüste Gobi, bis Kamtschatka, und von Feuerland über das Kap der Guten Hoffnung, Äthiopien und Java, bis Tasmanien. Die Ergebnisse werden ostweltweit mit Spannung erwartet. Das Besuchsprogramm sieht einen mehrtägigen Aufenthalt an der Baltischen See vor, auf einer Insel, die – geteilt von einer sog. Staatsgrenze – , Deutschland und Polen voneinander trennt. +++

Alexandrowska

Russisch-Orthodoxe Kirche, Potsdam Alexandrowska

Angst-Komp(l)ott: Jagt mich aus der Stadt

Angst hat die Ostprinzessin auch, da seid gewiss. Aber was eine reaktionäre Horde aus Fernseh-, Print- und Internetmedien so an Angst-Suppe zusammenkocht und dann sich und das Publikum beim Auslöffeln geradezu in Ekstase versetzt, ist einfach nur ärgerlich und beschämend – beschämend für jeden halbwegs aufgeklärten Menschen, der es leid ist, immer und immer wieder auf die gleiche peinliche Art hysterisiert zu werden.

Um die eigentlich beängstigenden Entwicklungen geht es in diesen Medien selbstverständlich nur am Rande, man scheint sich zu denken: Das Publikum ist dumm und verträgt das nur in kleinen Portiönchen, a b e r wovon die nie genug kriegen können, das ist Angst, Angst und Angst. Und so tauchen die üblichen Angst-Themen immer wieder ganz plötzlich wie aus dem Nichts auf und werden zum neuesten Aufhänger, bis die Zitrone ausgequetscht auf dem Medien-Kompost landet. Das ist genauso durchsichtig wie es peinlich ist. Wenn Medien-Machen so funktioniert, dann will ich keine Medien machen.

Wenn ein solcher Angst-Kompott hier jemals serviert werden sollte, dann habt bitte den Schneid und jagt mich aus der Stadt! Die anderen gern jetzt schon, denn die machen mir Angst.

AngstprinzessinAngstprinzessinAngstprinzessinAngstprinzessin O.

„Angst! Weltweit im Einsatz als Konzept und modernes Machtinstrument. Ihre Produktion kostet fast nichts und beherrscht ganze Industriekomplexe – zählen wir die Politik ruhig mal dazu.“ Carsten Werner, Junges Theater

„Die Angst hat Hochkonjunktur, die Initiierung immer neuer Angstinhalte und Angstquellen erzeugte einen historischen Wandlungsprozess der Angst und schafft ein sich fortwährend wandelndes Konsumverlangen, um die neuen, vermeintlichen Risiken zu verstehen, einzudämmen, abzuwenden. Angst als Wirtschaftsfaktor und ihre Kultur gehört zu den wesentlichen Schrittmachern, zur Überlebensstrategie der spätkapitalistischen Gesellschaft. Sie gehört zum Kulturgut, zum Luxus von Gesellschaften, die den permanenten Überlebenskampf überwunden oder an die Ränder verdrängt haben.“ Sabrina Zwach, Herbert Fritsch

Suche Prinzessinnenpalast

Ich höre immer nur Wolke, Würfel oder Schloss! Vielleicht bekomme ich bald bitteschön mal einen adäquaten Dienstsitz zugesprochen? Gern wieder mit bronzener Verglasung, ansonsten modifiziert – einen echten Volkspalast: experimentelle Spielwiese, Zukunftslabor, Wochenendausflugsziel für alle.

Der mutmaßlich künftige Prinzessinnenpalast – die Bauruine an der Ausfallstraße – wird ja nun leider doch noch Investorenparadies.

Welchen Platz in der Mitte könnte man beräumen, um endlich Abhilfe zu schaffen? Das künftige Kulissenschloss beziehe ich in keinem Fall.

Vorschläge dringend erbeten!

Ostprinzessin

Weichkochend. Bissfest. Très dangereuse.

Dass die kleine Kartoffel nun die große WWW-Bühne betritt und darauf den Alltagswahnsinn in Szene setzt, ist ein freudiges Ereignis, dass sich schon allein beim Anblick der fantastischen Abbilder ihrerselbst zu einer hellen Begeisterung auswächst und in Zukunft bestimmt für so manchen Sturm der Beglückung und auch – das sei hier ebenso prophezeit – für die eine oder andere Entrüstung sorgen wird.

Berührungsängste hat die große kleine La Petite Patate nämlich nie gehabt, während ich für Andere noch eine viel zu heiße Kartoffel war.

Willkommen in der Familie! Es drückt Dich – sanft genug –

Die Ostprinzessin

La Petite Patate La Petite Patate

Schwule Klone

„Being Brian Kinney“ lautet das Motto der „Babylon“ getauften Party-Veranstaltung im Kulturzentrum Schlachthof in Bremen.

Etwa 1.000 fast ausnahmslos homophil-männliche Gäste können der Verlockung nicht widerstehen und erscheinen dort samt zahlreicher bester Freundinnen. Brian Kenney ist übrigens die Figur des vor Manneskraft strotzenden Hauptdarstellers der nordamerikanischen Fernsehserie „Queer as Folk“, die mittlerweile auch im hiesigen Fernsehen läuft. Darin angelt sich der attraktive und wohlhabende Aufreißer – meistens im angesagten Club Babylon – einen Typ nach dem anderen. Was für ein Vorbild!

Die Party-Veranstalter bieten neben einem akrobatischen GoGo-Tänzer auch eine ganz lustige Verwandlungsshow auf, in der ein Künstler nahezu sämtliche Diven des schwulen Musik-Himmels persifliert. Später dann moderiert die bekannte Hamburger Drag Queen Olivia Jones eine Wahl zur „Drag Queen Nordwest 2007“. Da die Show recht langweilig verstrich, sei hier nur erwähnt, dass eine postoperative, transsexuelle Kandidatin gewann. Dies erscheint zumindest überraschend, da normalerweise „Männer in Frauenkleidern“ solche Contests gewinnen.

Weniger überraschend ist der Blick ins Publikum: Wo sind nur all diese Klone ausgebrochen? Gewiss, vielleicht zwei oder drei Dutzend der Anwesenden könnte man wiedererkennen, wenn man ihnen auf der Straße begegnen würde, aber die große Mehrzahl der schwulen Männer jüngeren wie auch älteren Semesters pflegt offenbar eine nahezu identische Körperkultur, besucht den gleichen Friseur und bewegt sich eindeutig in den immer gleichen Konsumtempeln. Selbst ihr Gesichtsausdruck ist erschreckend ähnlich. Einheitlich übrigens auch der alternativlose Eintrittspreis: 10 Euro (!).

So viel Gleichförmigkeit überrascht ja gerade bei Menschen, die ihr Sein – abseits der Norm – an allen Ecken und Enden bewusst gemacht bekommen. Vermutlich lässt aber gerade die – offenbar ungeliebte – Hervorhebung des Andersseins die Normiertheit so attraktiv erscheinen. Außerdem kann man in der verwechselbaren Masse gut untertauchen – eine Überlebensstrategie?

Welche anderen Nöte treiben die schwulen Männer zu so viel Verlust an Individualität? Ein großer Schmerz muss hinter dieser Sucht nach Anpassung stehen. Das ist vermutlich auch gar nicht so verwunderlich, denn von allgemeiner Akzeptanz und Respekt kann noch längst nicht die Rede sein. Wie dem auch sei, es gibt in Bremen natürlich auch individuellere Schwuppen. Und als Berliner kann man – fast – aufatmen: Berlin ist ganz eindeutig zumindest die Hauptstadt der Alternativen.

Warum seht ihr alle gleich aus?

sagt und fragt die Ostprinzessin

Eintrittskarte Babylon; Olivia Jones Drag Queen Wahlzettel; Olivia Jones

Butter bei die Fische

Meine Güte!

Mahnungen und Warnungen, Ärgerlichkeit und Unverständnis – und zur vorläufigen Krönung wird der Ostprinzessin nun auch noch „Sentimentalität“ angekreidet.

Gefühle sind die unbekannte Gefahr. Sich alle Ebenen des Seins – auch die heiklen – zu erschließen, mag vielen Menschen unüblich und befremdlich erscheinen. Dass die politische Wahrnehmung als getrübt gilt, wenn – statt rationaler Solidarität – eine menschliche, intuitive und gefühlsbetonte Solidarität an der Bildoberfläche erscheint, ist zwar traurig, aber angesichts der – unseren gesellschaftlichen Grundbedingungen entspringenden – Erziehung zur Gefühlskälte und -begrenzung nicht verwunderlich. Muss ich das akzeptieren?

Was soll ich sagen? Das habe ich seit Langem befürchtet. Es beeindruckt mich zwar sehr, aber ich kann mich, wenn ich meinem Anspruch als Ostprinzessin auch nur zu 7 % gerecht werden will, den eingeschränkten Gefühlswelten anderer Menschen nicht anpassen – und ich will es auch gar nicht. Dass hier zudem ein Maß an politischer Korrektheit eingefordert wird, das meine Lust auf Gesellschaftsfähigkeit nun wirklich um etwa 77 Kilometer übersteigt, ist beinahe erschütternd.

Die Kaiserin des Westens empfiehlt uns – hierzu passend – „Goodbye Tristesse“ zur Lektüre. Die Rezension zumindest klingt vielversprechend. Was meinst du?

sagt und fragt die Ostprinzessin.