Danke, Wurst

„This night is dedicated to everyone who believes in a future of peace and freedom. You know who you are — we are a unity and we are unstoppable.“ Conchita Wurst

Spielt, Kinder, auf der Deponie

Aus eigener Erfahrung kann ich ein Lied davon singen, dass von Parteien besetzte Parlamente in erster Linie der Aufgabe nachgehen, Interessen nach Parteienproporz zu verwalten, wahre Demokratie zu verhindern und demokratisches Engagement von Bürgern zu kanalisieren, um es auf diese Weise ins Meer zurückzuspülen, wo es dann niemandem mehr auffällt und somit keine merklichen Konsequenzen nach sich ziehen kann. Spielt, Kinder, auf der Deponie der Demokratie!

Die jüngst von ihrem Mandat für die BVV Mitte zurückgetretene Bezirksverordnete Katja Dathe spricht von „Demokratiesimulation“ und hat in ihrer Rücktrittserklärung „love it, change it or leave it“ eine ganze Reihe offenkundiger Zu- und Missstände angesprochen und dabei Wahrheiten ausgesprochen, zu deren Einsicht nur gelangen konnte, wer nie wirklich mit der Macht paktierte.

Seit Oktober vergangenen Jahres war Katja Dathe Bezirksverordnete für die Piraten und fragte sich seither täglich: „Was mache ich da? Wem nützt das? Ist das Demokratie, oder kann das weg? Wenngleich mir in Schulzeugnissen eine hohe Auffassungsgabe attestiert wurde, habe ich ein knappes Jahr gebraucht um beschreiben zu können, was diese Bezirksverordnetenversammlung in meinen Augen ist. Sie ist kein Parlament. Sie ist Verwaltungsorgan. Gut, das war vorher klar. Sie ist ein Bürokratiemonster. Sie bindet auf sehr perfide Art jede Form bürgerlichen Engagements. Niemand kommt an ihr vorbei. Jede noch so gute Idee muss, durch sie hindurch, wird in ihr zerrieben, zerredet und dem Parteienproporz geopfert. Sie gründet Ausschüsse und AG’s, sie verteilt krümelweise scheinbare Macht und Kleingeld an Beiräte, Bürgerwerkstätten, Quartiersräte und Kommissionen, wobei sie peinlich darauf achtet, dass keine Form der Bürgerbeteiligung zu einem belastbaren Ergebnis führen wird.“

Katja Dathe kommt daher zu dem Schluss, dass die Bezirksparlamente abgeschafft werden sollten. „Bitte, lasst uns diese vollkommen überflüssige und kontraproduktive Demokratiesimulation namens Bezirksverordnetenversammlung abschaffen. Ich behaupte nicht, dass alles gut wird, wenn die BVV weg ist. Aber schlimmer wird’s auf keinen Fall. Zumindest hätte Berlin 7,2 Millionen Euro übrig. Für direkte Bürgerbeteiligung.“ Dabei überblättert sie eine der unmittelbaren Gefahren der Abschaffung: Da der Senat seit vielen Jahren an einer Entmachtung der Bezirke arbeitet und bezirkliche Aufgaben systematisch unterfinanziert, die Bezirke unter anderem über das System sogenannter Kalkulatorischen Kosten zum Ausverkauf von Liegenschaften zwingt, und damit zum langfristigen Verlust von Gestaltungsmacht, außerdem demokratische Entwicklungen in den Bezirken aushebelt, indem er beispielsweise die Verfahren für Bebauungspläne an sich zieht oder an sich zu ziehen droht, wird eine Abschaffung der Bezirksparlamente den Senat ermutigen, für eine Machtkonzentration auf höherer Ebene zu sorgen. Erfahrungen zeigen: Je höher die Ebene, desto schwerer ist sie für den Bürger erreichbar, desto abgehobener agiert sie, desto willkürlicher und unantastbarer ist ihre Herrschaft.

Dathe schlägt vor: „Lasst uns ein Bezirks-Bürger-Liquid-Democracy-System einrichten. Jeder Wahlberechtigte erhält eine Stimme. Die Akkreditierung organisiert das Einwohnermeldeamt. Lasst uns bezahlte Service-Teams für Schulungen & Antragssupport einrichten. Lasst uns nicht stimmberechtigte Accounts für die Verwaltung einrichten, so dass die  Mitarbeiter & Verantwortlichen Anregungen bezüglich Rechtsvorschriften, Verfahren und Formalfoo direkt in den Antragsprozess einbringen können. Lasst uns meinetwegen alle 5 Jahre 55 bezahlte Pro-Accounts wählen deren Inhaber ein Krönchen im Avatar tragen dürfen.“

Ich schlage vor, in einem ersten Schritt die Parteiendemokratur abzuschaffen, Macht und Befugnisse von Parteien einzuschränken und stattdessen zu einer direkten Wahl freier Abgeordneter zu gelangen. Ob es sich lohnt und für wen –, vom Ideal einer aufgeklärten Bürgergesellschaft zu träumen, weiß ich nicht, unzweifelhaft hingegen ist: Macht zu teilen, liegt den Mächtigen nicht – ob es den anderen läge, ist ungewiss. Bürger, sag, demokratisierst du schon, oder simulierst du noch?

Ostprinzessin

Wahrheit kennt sich

Piratenpartei deckelt Vorfälle um Carsten Joost

Ahoi! Am vergangenen Donnerstag trennte sich die Initiative Mediaspree versenken! AG Spreeufer von ihrem Sprecher Carsten Joost, nachdem dieser über Jahre hinweg gemeinsame Beschlüsse der Gruppe ignoriert, Mitstreiter angegangen und Gelder, welche er zum Teil als Spende für die Initiative einforderte, in die eigene Tasche gesteckt hatte. Die Piratenpartei, für die Käpt’n Joost mittlerweile als Bürgerdeputierter in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg arbeitet, möchte die Vorfälle als irrelevant deklarieren, da sich der „fachlich sehr qualifiziert für eine bürgernahe Stadtentwicklung“ auftretende  Expertendarsteller „von Anfang an stark eingesetzt und wertvolle Arbeit für unser gemeinsames Anliegen geleistet“ habe. „Umfang und Wahrheitsgehalt der Vorwürfe sind für uns bisher nicht nachprüfbar.“ Man bedauere, „dass hier einer der wichtigsten Akteure bei der Organisation von Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung in unruhiges Fahrwasser geraten ist.“ Amen.

Bei Gesprächen in der Piratenfraktion und in den Gebietsversammlungen der Partei kam man dahingehend überein, lieber unter Deck zu bleiben und die Sache unter den Tisch fallen zu  lassen. Das viel beschworene Gebot der Transparenz erweist sich damit als rein technisches Instrument, welches offenbar jenseits von Moral und demokratischem Bewusstsein bespielt wird.

Prepare to be boarded

Ende des vergangenen Jahres erhielt ein langjähriges Mitglied den Zugang zum Account der Initiative, der bis dato seiner ehrwürdigen Hoheit Freiherr von und zu Mediaspree vorbehalten war. Nach Sichtung eines Teils des tausende Emails umfassenden Schriftverkehrs legte die zwischenzeitlich informierte Gruppe ihrem in Erklärungsseenot geratenen Tausendsassa einen stillen Abgang nah. Konsequenzen wollte dieser jedoch nicht ziehen. Da er die Initiative nach außen hin vertrat und dies weiterhin zu tun beabsichtigte, blieb nur mehr der Gang an die Öffentlichkeit, um zumindest dieser Vertretungslegitimation ein Ende zu bereiten.

Joost hatte sich in den vergangenen Jahren immer wieder über gemeinsame Beschlüsse hinweggesetzt und von der Initiative abgelehnte, eigene Entwürfe als Ergebnisse gemeinsamer Vorschläge oder als Resultat einer öffentlichen Ideenwerkstatt präsentiert. Kontakte zu Investoren, Projektentwicklern, Politikern und Presse wurden ohne Wissen der Gruppenmitglieder und inhaltlich entgegen gemeinsamer Vereinbarungen auf- und ausgebaut. So entstand das immer dichter werdende Zerrbild der Initiative nicht nur auf ihrer Internetseite, wo Beiträge von Mitstreitern in zensierter Form erschienen. Die Unterdrückung der Selbstbestimmung – bei gleichzeitiger Einschränkung der Teilhabe – führte die gemeinsame Arbeit in ein Feld weit jenseits demokratischer Grundstrukturen.

Bereits 2009 hatte sich die Gruppe von ihrem stadtbekannten Charmeur und Navigator zu trennen versucht, nachdem dieser keinerlei Einsicht zeigen wollte. Im Beschluss, der von acht damals öffentlich bekannten Mitgliedern der Initiative unterzeichnet wurde – ich selbst gehöre übrigens nicht zu jenen – hieß es: „Wir sind auf Grund der letzten Wochen und Monate zu dem Schluss gekommen, dass wir mit Dir nicht weiter zusammenarbeiten können. Da Du Dich inhaltlichen Konsequenzen nicht stellst und leider auch sonst die üblichen Formen von Zusammenarbeit ignorierst (Absprachen, gegenseitiger Respekt, etc.)“. Sie fordern Zugang zur Website, zu E-Mail- und Presseverteiler und eine vollständige Abrechnung der Finanzen, „damit hier keine weiteren Missverständnisse aufkommen. Weiterhin sehen wir es als Selbstverständlichkeit an, dass Du nicht weiter im Namen der AG Spreeufer aktiv wirst oder sprichst. (…) Dementsprechend erscheint es mehr als sinnvoll, wenn Du ebenfalls Deinen Posten als Bürgerdeputierter abgibst und Dich aus dem Sonderausschuss zurückziehst. Wir bedauern, dass es soweit gekommen ist (…).“

Eine Weile später gab die Mehrzahl der Mitglieder erschöpft auf und blieb lieber zuhause, während der zum Abtritt aufgeforderte einfach so weiter tat und tutete, als sei nichts gewesen. Dass vorige Woche nun auch die wackersten langjährigen Mitstreiter der Gruppe keinen anderen Weg mehr sahen, als die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Vorgänge und Hintergründe zu informieren, ist gewiss als einmalig in der Geschichte der Initiativenlandschaft der vergangenen Jahre anzusehen. Wir sollten sie zu ihrem Befreiungsschlag beglückwunschen und die gemeinsam erfolgreiche Arbeit in und an der Initiative Mediaspree versenken! und um sie herum fortsetzen.

Denn trotz eines eindeutig ablehnenden Votums per Bürgerentscheid werden die Grundstücke an der Spree nach und nach verschachert, indes ehemalige oder vorgebliche Basisaktivisten und deren Freunde die Mediaspree-Areale mit eitlen Entwürfen überplanen, welche Aufwertung, Verdrängung und Mietenexplosion weiter vorantreiben werden. Während sich in Kreuzberg derzeit Widerstand gegen das geplante „BMW Guggenheim Lab“ aufbaut, erscheint unter dem irreführenden Label Mediaspree versenken! eine Broschüre zu einem sog. Ideennaufruf, die der geblendeten Öffentlichkeit als „Modellprojekt direkter Bürgerbeteiligung“ verkauft wird, in der tatsächlich aber eine denkwürdige Versammlung sozial blinder Planungsbüros und altbekannter Prokjektentwickler wie Volker Härtig u. a. die Fachjury spielten, während Bezirksbürgermeister und Grünen-Übelvater Franz Schulz vergnüglich das Vorwort schrieb, wohl wissend, dass er kurz vor dem gegen ihn und eine Allparteienkoalition durchgesetzten Bürgerentscheid der Initiative Mediaspree versenken! empfohlen hatte, nicht Mediaspree, sondern die Initiative zu versenken. Seine Majestät wolle mit solcherlei Begehr nicht behelligt werden. Selbst Antje von „Antje und Daniel“, wie Joost die beiden grünen Nachwuchsspitzenpolitiker zärtlich nannte, bekannte: „Wir sind gleichgeschaltet genug, um das erstmal mit Franz zu besprechen.“ (Antje Kapek).

Gewiss, es mag sein, dass die angesprochenen Sachverhalte um die Causa Joost im dreckigen politischen und im noch dreckigeren Business der Stadtentwicklung – ebenso wie im ach so blütenweißen Business der Bürgerbeteiligung – keine sichtbaren Konsequenzen nach sich ziehen werden, weil auf einem dreckigen Kahn ein paar schmutzige Passagiere und Besatzungsmitglieder mehr oder weniger nicht weiter auffallen. Niemand jedoch soll scheinheilig behaupten können, er habe von all dem nichts gewusst. Denn es gibt einen qualitativen, einen moralischen Unterschied zwischen „nicht wissen“ und „nicht wissen wollen“. In diesem Sinne wünsche ich den Piratinnen und Piratten auf der sinkenden Demokratie-Titanic eine fruchtbare Liaison und eine berauschende Zusammenarbeit mit ihrem Wahrheit vertilgenden Salamitaktiker und zuverlässigen Schlagzeilenstar.

Ostprinzessin

PS: Es folgt ein Gefahrenhinweis. Widersprechen Sie einem enttarnten Chamäleon nur dann, wenn Sie zufällig gerade einen stabilen Schildpanzer tragen und/oder seelisch ausreichend abgestumpft sind. Denn es könnte sein, dass es „bedauerlicherweise aufgestanden war und eine (…) bedrohliche Haltung eingenommen hatte“, wie es in seinem Desinformationsblog bekennt, und ob des tiefen Bedauerns ganz vergessen würde, zu erwähnen, dass es dabei eine Bierflasche in der Hand hielt, seinem Aufgestandensein auch Schritte und Drohgebärden folgten, und weiteren Folgen nur mit dem panischen Sprung über ein Sitzmöbel und unter der besänftigenden Wirkung demütigender verbaler Unterwerfung zumindest soweit zu entkommen war, dass unmittelbarer körperlicher Schaden abgewendet werden konnte; vor mittelbarem wie tagelangem Erbrechen oder jahrelanger Belastungsstörung werden Sie eventuell aber nicht gefeit sein. Doch denken Sie trotzdem nichts Böses von ihm, wenn sich Ihnen das Chamäleon anschließend reuig zu Füßen wirft und spricht: „Sorry, aber es musste mal ein Zeichen gesetzt werden.“ In diesem Sinne.

Die Autorin beschäftigt sich als Publizist und Aktivistin seit 2004 mit der Instrumentalisierung von Kultur, Macht (-missbrauch) und Manipulation, ist seit 2006 Teil der Initiative Mediaspree versenken!, später auch der AG Spreeufer und der AG Spreepirat_innen, 2008/9 Bürgerdeputierter im Sonderausschuss Spreeraum, BVV Friedrichshain-Kreuzberg. Seit 2006 Mitglied in der Initiative Zukunft Bethanien, Teilnahme am Runden Tisch. Mitbegründung der Netzwerk-Plattformen abrissberlin und unverkäuflich, Organisation verschiedener Bürger- und Volksbegehren, u. a. Unser Wasser (98% Zustimmung) und Spreeufer für Alle (87%). www.ostprinzessin.de

Good Bye, Future!

Ein charmantes, wundersames Gebäude an der Pappelallee im Prenzlauer Berg, in welchem bis in diese Tage hinein der sich auch als „Bar im Fortschritt“ titulierende Klub der Republik residiert, wird abgerissen. An seiner statt entstehen Eigentumswohnungen à la absoluter Langeweile.

Das unter totalen Verwertungskriterien nicht optimal genutzte Areal wird damit nicht nur um eine der letzten mehr oder minder subkulturellen Institutionen im Prenzlauer Berg bereinigt, sondern vor allem auch um herausragende geschichtliche Zeugnisse, spannende Architektur und ein Stück Moderne, die man in weiten Teilen des Bezirks künftig leider überhaupt gar nicht mehr antreffen können wird.

Dass die zuständigen Stellen in Bezirk und Senat qua ihrer allmächtigen Inkompetenz die Bedeutung solcher Kleinode nicht zu erkennen vermögen, wissen wir seit etlichen Jahren. Allerdings kommen wir mittlerweile kaum umhin, neben der außerdem längst diagnostizierten Herzlosigkeit, der Korruption, Vetternwirtschaft und fataler Interessenspflege auch auf eine tragische Gehirnarmut schließen zu müssen. Denn die von Amts wegen bestellten Missetäter schneiden ins eigene Fleisch und dies wird Berlin zwangsläufig zu spüren bekommen.

Die mittel- und langfristigen Folgen der kurzfristigen Verwertungslogik erschüttern das Fundament der Stadt und bedeuten nicht weniger als einen Abgesang auf den Mythos Berlin. Der Verlust von kulturellen, historischen und architektonischen Alleinstellungsmerkmalen schadet der zukünftigen Entwicklung des Stadtkörpers ebenso wie sie ihm die Seele aus dem Leib reißt. Die selbstverantwortete Verantwortungslosigkeit, mit der wir konfrontiert werden, ist freilich durch nichts zu entschuldigen. Dass sich die Verantwortlichen in der Politik einer wachsenden Verachtung nicht allein ihrer Personen, sondern auch der sie verantwortenden Institutionen ausgesetzt sehen, ist ein hausgemachtes Problem.

Der kalte Abriss des Klub der Republik ist ein Armutszeugnis der Berliner Politik und ein Mahnmal der sogenannten Aufwertung. Mit dem sympathisch unaufdringlichen, in seiner Klar- und Schönheit überzeugenden Bauwerk, in welchem zu DDR-Zeiten der heute über eine erstaunlich ungesicherte Außentreppe zu erreichende Ballsaal der Produktionsgenossenschaft des Handwerks eingerichtet war, wird ein weiterer wichtiger Ort aus der Zukunft der Stadt getilgt. Good Bye, Future!

Ostprinzessin