miau.wuff.bang.bang – Erdölfund unter Berlin!

miaumiaumiau
Das TiK-Theater in Friedrichshain präsentiert ein Stück voller aktueller Brisanzen. Die Metapher spricht im Grunde für sich: Unter dem Wedding stößt man auf Öl und schon wird die ganze Stadt umgekrempelt. Den immer größer werdenden Plänen stehen nur die Bewohner noch im Weg, also müssen sie vertrieben werden. Aber (!) diese wissen sich zu wehren. Und ganz vorne weg aktivieren sich die Verrückten von Berlin zur Rettung der Stadt: Die „Irre von Wedding“, die „Irre von Mitte“ und die „Irre von Prenzlauer Berg“ befreien die Stadt und uns schließlich mit ein paar finalen Schüssen vom Fieber des Profits. Investoren, seid auf der Hut!

Wir bekommen hier allerbestes Laientheater zu sehen, das sich in der Tradition von Volksschauspielen findet, die auf große Theorieschwaden und weitreichende Verästelungen verzichten und dabei gradlinig und beherzt auf die Pointe zulaufen. Die Herren der Schöpfung – mit Ausnahme des Irren mit den Spacekeksen – spielen sich hier zwar nicht unbedingt die Seele aus dem Leib, umso aufwendiger, gekonnter und überzeugender ist jedoch das Spiel der Frauen und dabei ganz besonders die fulminanten Auftritte der Irren. Sie machen Lust auf mehr Miau, Wuff und Bang Bang.

TiK-Theater

Auf der Bühne kämpfen 14 junge Erwachsene um Macht, Gerechtigkeit und Berlin. Denn der Geschmack des Wassers verspricht Reichtum, der Duft der Luft sagt: schon bald. Bloß noch auf die Schnelle den Wedding aufreißen, Mitte abbrennen, Friedrichshain zerstören, Prenzelberg nicht vergessen… Gold blitzt auf in den Augen der Mächtigsten der Mächtigen, schon werden Ränke geschmiedet und Profite verteilt. Die Bagger stehen bereit! Zur Rettung Berlins bleibt nur wenig Zeit und ein paar Irre, die sich zwischen Aerobic, Schizophrenie und Sebastian nun auch noch mit dem vermeintlich Bösen herumschlagen müssen.

Nach einer Idee von Jean Giraudoux. Regie: Julia Beil.

Es spielen: Nicole Fischer als DIE IRRE VOM WEDDING, Herdis Hagen als DIE IRRE VON MITTE, Fanny Bakx als DIE IRRE VOM PRENZLAUER BERG, Lisan Lantin als DIE IRRE VON FRIEDRICHSHAIN, Patrick Pepe Schadenberg als GEORG, Tobias Sebastian Wittke als VLADI, Anne König als ANGI, Alexandra Thiele als KARLA, Julian Ide als PIERRE, Katja Aschenbrenner als PAULA, Jenny Wagner als BLUMENMÄDCHEN, Christian Kotyrbra als PFANDFLASCHEN-SAMMLER, Marcel Tuttlies als SPACE-COOKIE-VERKÄUFER, Christoph Herms als DER RETTER.

Wenn das die Berliner Zeitung wüsste

Das Engelbrot ist für seinen unkonventionellen Stil bekannt. Nun ja, bekannt ist vielleicht etwas zuviel gesagt, denn das große Theater in Moabit ist so chronisch unterbesucht (und unterbeheizt) wie überignoriert.

Im Engelbrot wird experimentiert und laboriert, was das Zeug hält. In Ich, Georg Büchner beispielsweise wird dessen Leben nachgezeichnet und sein revolutionäres Schaffen (Dantons Tod, Woyzeck, Leonce und Lena, „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“) zu Live-Rockmusic-Klängen von Ludo Vici in Szene gesetzt. Nicht alles ist hier schon zuende gedacht, aber die Ideen und Ambitionen bilden gut den kreativen Geist des Theaters ab. Zu den intellektuellen Höhenflügen indes gehören sowohl die Generalangriffe der Engelbrot-Macher auf das alljährliche Theatertreffen als auch diverse Spitzen gegen die politischen und kulturellen Szenen der Stadt überhaupt. Und das ist auch gut so.

Aber um was genau handelt es sich bei folgendem Zitat aus dem Engelbrot-Programmflyer? Darin wird Friedrich Liechtensteins „Radioshow“ u. a. mit den Worten beworben: „Friedrich Liechtenstein begeistert im Theater Engelbrot von der ersten bis zur letzten Minute. Berliner Zeitung “.

Die Berliner Zeitung!? Sie wird hier als Güte-Referenz herangezogen. Doch hat die werte Berliner Zeitung die Show jemals zur Kenntnis genommen? – Nein. Aber hier hatte man.

Ist dies nun geniale Subversion oder schlicht und ergreifend das mehr oder weniger absichtliche Verdrehen von Tatsachen, ein Irrtum, eine Verwechslung, gar ein kleiner Fehler in der Recherche?

Kurzum: Die blumen & zitronen (www.bz-blog.de) und die Ostprinzessin möchten sich hiermit ausdrücklich gegen jegliche Verwechslung verwahren und insbesondere auch gegen jedwede Subversion! 😉

Engelbrot Programmflyer das Corpus Delicti

Frost als Glücksverstärker

Cornelia Druse Menschliche Robbe Boris Lisowsky-Greenberg
Für die neue Spielstätte des Jungen Theaters, die „Stauerei“ in der Überseestadt Bremen, hat Cora Frost zusammen mit Nordlicht Nomena Struß ein neues Stück konzipiert: Weihnachten auf hoher See. Es ist etwas neues, was sie uns dort zeigt, und zugleich liest sich glücklicherweise ihre Handschrift bestens heraus.

Dass bei Frost die emanzipativen Anliegen auf der Bühne oft ins Gegenteil gewendet vorkommen, das hat Methode. Emanzipativ deshalb, weil Frost die Menschen am Rand, die Unsichtbaren wie die nur allzu Sichtbaren, nicht nur respektiert, sondern sie auf die Bühne hievt, sie durch ihren Glücksverstärker jagt und wundervolle Wesen ins Licht stellt.

Ins Gegenteil gewendet deshalb, weil sie, die Frauen- wie Männer-Liebhaberin, gern auch mal als eine Mischung aus Meerjungfrau und Prostituierter auftritt, die mit rustikal kerligem Benimm daherkommt und ebenso gern zwischen Goldkehlchen und Jahrmarktschreierin schwankt. Ins Gegenteil gewendet auch dann, wenn sie diesem Stück nun aus dramaturgischen Gründen eine weibliche Striptease-Szene verpasst, die – hetero-männlichen Erwartungen zum Trotze – auch deshalb zu einer absurden Persiflage wird, weil Frau ohne Nackheit auskommt und Mann hier als schlicht strukturierter Eisbär vorkommt.

Oder wenn sie bei sog. „Familientreffen“ einen alten Freund, einen Schauspieler des Obdachlosentheaters Ratten 07, im Glitzerkleid vor das Publikum treten lässt, auch dann offenbart sich der Charakter der Frost. Ob Frost allumfänglich um ihr gesamt-emanzipatives Sein und Schaffen weiß, das könnte höchstens sie selbst beantworten….

Jedenfalls ist dies ein höchst politischer Moment in ihrem Werk. Beinahe möchte man ihr sogar blind vertrauen, dass sie sich von den sozial blinden Umarmungspolitikern,  Klaus Wowereit zum Beispiel oder den Neo-Grünen unserer Zeit, fernzuhalten weiß.

Überhaupt scheint Frost einen Kompass bei sich zu tragen, der ihr immerzu anzeigt, welche Tabus tatsächlich und welche absichtlich nicht zu brechen sind. Der Dekonstruktion unserer entfremdeten, desensibilisierten Welt weiß sie dann nämlich eine wärmende Parallelwelt nachzusetzen, in der wir alle wie selbstverständlich gleichviel wert sind.

Frost betört in diesem Stück nicht zuletzt mit ihrer atemberaubenden Stimme, aber auch mit einer Baby-Imitation, einen hysterischen Anfall, ihre sagenhaft lapidar-komische Mimik und ihre Kunst, sich nicht in verkünstelten Phrasen zu ergehen, sondern emotionale Momente zu erschaffen, die bei aller frosteigener Frostigkeit dennoch den Weg zu Monsterherzen finden.

Weihnachten auf hoher See