The – tatsächlich – Fabulous Singlettes

Okay, die Karten waren gewonnen. Das Tipi am Kanzleramt gehört nicht zu den Orten, an denen wir uns gern aufhalten wollen. Eigentlich. Das liegt an der eher unpersönlichen Atmosphäre, den schlechten Plätzen in den schlechteren Sitzkategorien und auch daran, dass hier überwiegend ein Publikum erwartet wird, dass sich – kurz gesagt – mehr auf der Suche nach einem Event als auf der Suche nach Kunst befindet.

Doch diesmal ist Tauwetter angesagt, denn die Fabulous Singlettes aus Australien sind einfach sympathische Personen, trotz oder gerade wegen ihrer Unterhaltungsschau, die sie zu den zahlreichen Songs der vergangenen Jahrzehnte präsentieren. Im Grunde imitieren die drei Frauen unterschiedlichen Alters die guten Drag Queens der Welt: Überzeichnung der Wirklichkeit und Trash pur, ausgefallene Kostümierung und intelligente Überleitungen, dazu wirklich gute Stimmen und die Lust an der Inszenierung.

Zudem erscheinen die Damen als durchaus ernst und reflektiert, die zur Schau gestellte Oberfläche wirkt nicht oberflächlich, sondern hintersinnig, so dass auch eine ausgewiesene Emanze wie die Ostprinzessin kaum ein Haar in der Emanzipations-Suppe finden mag. Auch eine kurze Herzblatt-Show zwischendurch managen die fabulösen Singdrosseln souverän. Die drei zu diesem Zweck aus dem Publikum verschleppten Herren bestechen zwar äußerlich durch eine gewisse Ähnlichkeit, könnten aber verschiedener kaum sein: Ein jovialer Anwalt, ein putziger, sprechbehinderter Frührentner und ein schwuler Coiffeur, der am Ende vom zugeneigten Publikum zum Sieger geklatscht wird, auch weil er auf die Frage, wie er Angela Merkel – nebenan im Kanzlerinnenamt – verführen würde, nach längerer Überlegung zur Antwort gibt: „Ich glaube, das funktioniert bei mir gar nicht.“ Das kommt beim offenbar auf kleine Sauereien erpichten Publikum in seiner schlüpfigen Interpretation an.

Berlin ist eben schwul. Ist ja auch gut so. Die drei entspannten Künstlerinnen jedenfalls wollen es wissen – 5 Wochen am Stück – und machen offensichtlich nicht schlapp. Auch die Musik wird live gespielt und reißt dann durchaus vom Klappstuhl.

Mehr Show geht nicht. Fabelhaft! „It’s My Party…!“ noch bis zum 12. August.

TIPI Zelt am Kanzleramt The Fabulous Singlettes It's My Party

Menschenkette gegen Behördenwillkür

An den Kreuzberger Ufern des Landwehrkanals formierten sich gestern Menschenketten mit etwa 1.500 Leuten. Das Schifffahrtsamt hat indes bereits eingelenkt und wird wohl keine weiteren Bäume fällen. Trauen sollte man diesen Ankündungen angesichts der bisherigen Erfahrungen allerdings lieber nicht. Ursprünglich sollten 400 Bäume weichen, weil die Ufer saniert werden sollen. Ein Teilstück eines Anlegers war in den Kanal gerutscht. Das alternative Anketten der Bäume käme angeblich teurer als die Abholzung.

Jedenfalls hatten sich daraufhin einige Kreuzberger ihrerseits an die Bäume gekettet und die Medien der Stadt hatten bereitwillig vom Kreuzberger Aufbegehren berichtet. Die Begehren gegen Privatisierungen hingegen werden weiterhin der Öffentlichkeit gegenüber verschwiegen. Dennoch oder gerade deshalb sammelten heute einige Aktivisten am Rande der Menschenkette Unterschriften für die Volksbegehren. Der Zuspruch war groß und die Leute von der Bäume-Ini begrüßten bereits im Vorfeld das Engagement der KollegInnen.

Blick von der Admiralbrücke Eine Kette bilden... länger und länger... ...und auch zur Kottbusser Brücke

Bäume gehen immer

Die Initiative „Bäume am Landwehrkanal“ hat innerhalb kürzester Zeit geschafft, wovon Andere nur träumen können: 20.000 Unterschriften gesammelt. Das Thema „Baum“ erhitzt die Gemüter und vereint die Massen wie kein anderes. Und natürlich irren wir nicht, wenn wir fordern: Unsere Bäume bleiben! Für morgen ist eine Menschenkette geplant. Vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, nebenher auch Unterschriften gegen Privatiserung zu sammeln, denn auch die Initiatorin der Volksbegehren irrt wohl nicht, wenn sie fordert: „Unser Wasser. Unsere Sparkasse. Unsere Unis.

Google indessen steht unter Druck: Das vergangene Jahr hat einen Gewinnzuwachs von 28 % gebracht. Das ist entschieden zu wenig und außerdem hat Google auch noch exzessiv Personal eingestellt! Folge: Die Aktie verliert um fast 7 %.

Was fällt uns dazu ein?

Menschenkette gegen Kettensägen Zeigt, wer Ihr seid und was Ihr könnt.

Kampf auf dem Parkdeck

„Das Parkhaus hinter dem Zentrum Kreuzberg befindet sich im Ausnahmezustand: Vereinzelt parkende Autos auf der unteren Etage und Treffpunkt für Drogendealer und -konsumenten. Ab dem zweiten Stockwerk Leerstand. (…) Man würde abreißen, wenn das nicht so teuer wäre. Das Nutzungskonzept von Pony Pedro passt sich der aussichtslosen Lage an. Wer kann kommerziell betreiben, was nicht einmal zum Parkplatz taugt? Die Lösung: Geschäftsgründungen und Nutzgärten auf den Parkplatzzellen. Kampf auf dem Parkdeck inszeniert mit Langzeitarbeitslosen und Anwohnern des Kottbusser Tors einen Bazar der informellen Geschäfte und eine Nutzgartenanlage. (…)“

Zwar halte ich es für etwas zynisch, ausgerechnet – analog zu den Neoliberalen – die kommerziell verwertbare Eigeninitiative in den Vordergrund zu hieven, wo doch gerade an der offensichtlichen Notwendigkeit dieser Intervention klar wird, dass die gegenwärtige Gesellschaft, in der Klemme zwischen neoliberal ausgerichteter Marktwirtschaft und Sinnentleerung und Selbstentfremdung, schlichterdings abgewirtschaftet hat und zahllose Menschen in vielerlei Existenznöte und Depressionen treibt. „Lasst uns ein bisschen Marktwirtschaft üben“ kann daher keine befriedigende Antwort sein und blendet die Ursachen sowie die Gerechtigkeitsfrage aus.

Zum Glück aber geht es hier auch um Beisammensein, um Protest – und nicht zuletzt sorgen die Kreuzberger selbst dafür, dass das Ganze sehr auf dem Boden bleibt und nicht auch noch in abgehobene „Künstler-Umlaufbahnen“ geschossen wird. Das ist sehr realistisch und praktisch gedacht. Beispiel Ayse: „Ich bin Türkin. Ich habe immer eine Idee.“ Es bleibt aber die Frage nach einer nachhaltigen Vision.

Am vergangenen Sonntag fand dann auf den Parkplatzbühnen 38 und 41 ein Band Battle statt. Es spielten: „Doc Schoko, Yaneq (Party Arty) und Nackt (Warren Suicide).“ Dazu gab es Wetten. Auch dank der Moderatorin Cora Frost entschärfte sich das Ganze erheblich und wurde doch recht sympathisch: Beim Band Battle gewann denn auch niemand, denn Cora Frost verkündete immer wieder ihre Auffassung: „Gewinner sind Verlierer, Verlierer sind Gewinner.“ Die Protagonisten taten sich in ihren Texten durch überraschend deutliche, politische Anklagen hervor – und die Performances bewirkten immer wieder offene Kindermünder, was sicher auch an den Fähigkeiten von Frosts Ratten-Freunden und Boris Lisowsky-Greenberg lag. Wenn Frost ihre glücksbegabte Familie mitbringt, dann ist eine andere Welt nicht nur möglich, sondern schon da. Zudem hatte die typische Kreuzberger Mischung das Parkdeck erklommen: Einfach a l l e da. Programm wird noch bis zum 22. Juli gemacht.

„Es wird ja in dieser Stelle gern über Outfits geredet, aber das interessiert mich eigentlich überhaupt nicht.“ (Cora Frost)

Mal über den Basar schlendern... Ayse nimmt zwei Euro pro Schachtel Zigarretten... Mustafa schneidet mal kurz den Pony... Hier werden Fahrräder repariert... Hier gibt's Gebäck... Köfte gibt's auch... Die Bühne auf dem Parkdeck Boris Lisowsky-Greenberg freut sich mit Cora Frost... Das Publikum ist gespannt... What's the way to get rid of me?, fragt sich auch Cora Frost ...und die Kinder staunen... ...auch über Yaneq... Cora Frost gibt den Ton an... Zu Warren Suicide wird getanzt... Auch zu Doc Schoko wird getanzt... ...auch hinter seinem Rücken

Berlin – Mein erstes Mal

Man sollte immer viel erwarten.

Ich denke, dass Klassenfahrten durchaus Schlüsselerlebnisse sind. Und es ist ja wirklich bemerkenswert, mit wieviel ideologischem Elan manche Lehrkraft ein solches Erlebnis zu gestalten versucht. Aber – und das sei hier auch bemerkt: Ich würde es wohl genauso versuchen.

Als ich vor 8 Jahren erstmals von einer West-Ost-Sternschnuppe nach Berlin getragen wurde – das war lang vor meinem Amtsantritt als Ostprinzessin – da durften wir dank Günter (unserem Wirtschaftslehrer) eine ganz andere Perspektive als die von Fucking-Pain-Sabine einnehmen: Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, gar die strukturelle – das war unser Thema im Leistungskurs Wirtschaft. Das führte zu einem erklärenden Termin im Arbeitsamt und zu einem Ausflug nach Adlershof, wo gerade die Planungen für „das größte Wissenschaftszentrum Europas“ das realistische Maß überstiegen und der gezeigte Investoren-Propagandafilm auch beim geneigtesten Kapitalisten unter uns einem schalen Nachgeschmack hinterließ.

Aber eigentlich begann es anders: Am Bahnhof Friedrichstraße angekommen, mit den Koffern draußen stehend, lief uns zunächst ein junger, berlinernder Punk mit Hund über den Weg. Von irgendwo in der Nähe wehten ein paar bunte Federboas. Die Love Parade stand bevor, aber das wusste ich gar nicht. Unsere Unterkunft übrigens lag in Wannsee, im Gästehaus der Friedrich Ebert Stiftung, wo Leute arbeiteten, die das Ende der traditionellen Arbeitsgesellschaft genauso herbeisehnten wie auch ich damals schon. Der Fußweg zum Gästehaus führte durch ein exklusives Villenviertel. Zu den geplanten Ausflügen zählten ein Abend in der Vaganten Bühne, wo Shakespeares gesammelte Werke in 90 Minuten zur Aufführung kamen, und ein Abend im Renaissance-Theater bescherte uns einen einprägsam verwirrenden Eindruck von zwischengeschlechtlicher, britischer Schauspielkunst. Günter bestand außerdem darauf, uns sein Lieblingslokal in der Oranienburger Straße zu zeigen, von wo aus wir staunend den Prostituierten zusahen – und dass das Niemanden zu kümmern schien.

Es gab viel freie Zeit und keine Kontrollen. So konnte ich mutterseelenallein Ausflüge in die „berühmte“ Motzstraße machen, um schwule Luft zu schnuppern, und abenteuerliche Begehungen von wundervoll schäbigen Häusern in der Spandauer Vorstadt erleben. Der Gruppenausflug ins nagelneue IMAX-Kino am Potsdamer Platz wurde zwar weniger erfüllend, aber bildete doch einen geeigneten Kontrast.

Im Nachhinein muss ich nun vor Glück wirklich weinen. Das versteht ihr, oder?