Politische Unkultur und Avantgarde

Mit einem erfolgreichen Bürgerbegehren (über 13.500 Unterschriften) hat die IZB Initiative Zukunft Bethanien, die sich im ehemals leerstehenden und nun besetzten Südflügel des Kreuzberger Bethanien-Hauptgebäudes gegründet hat, den Verkauf des Geländes an einen profitorientierten, privaten Investor verhindert. Auf dem Gelände befinden sich neben vielem anderen auch das Künstlerhaus Bethanien und eine Musikschule. Der nunmehr jahrelangen Unfähigkeit der Bezirksregierung folgte vor Kurzem die unter dem Druck der Initiative entstandene Einsicht, dieses Gelände einer sozialen und politischen Nutzung zu öffnen.

Heute, am späten Sonntagabend, finden die entscheidenden politischen Verhandlungen über den weiteren Verlauf der Entwicklung des Geländes statt. Die IZB hat dazu ein umfangreiches Papier erstellt, das von den Fraktionen in der BVV (Bezirksverordnetenversammlung) nun an unterschiedlichen Stellen attackiert oder unterstützt wird. Morgen dann entscheidet die BVV über den heute auszuhandelnden Kompromiss.

Kreuzberg. Wir schreiben das Jahr 2006:

Die Linke/PDS in autoritärem Stil
+ Grüne gegen Bürgerbeteiligung
+ SPD ignorant und inkompetent
+ CDU jenseits jedes Verständnisses
= unfähig und der Demokratie unwürdig.


Autonome, Hausbesetzer und Märchenfiguren hingegen (kurz: AHM) öffnen den Stadtraum, entwickeln die Nutzungskonzepte, erarbeiten die Finanzpläne, stützen Kunst und Kultur und retten die Demokratie – und das alles ohne Bezahlung.

Zur Strafe für so viel gemeinnütziges Engagement dürfen sie dann auf den harten Steinböden des Kreuzberger Rathaus-Foyers ausharren, während sich in den Fraktionszimmern die jahrelang Unfähigen gnädig – und unter ihrem Diktat – zu Verhandlungen mit einigen Abgesandten der AHM herablassen und sich in einem Tauziehen um jedes Detail der Vereinbarung ergehen. Doch damit ist die verkehrte Welt noch nicht hinreichend beschrieben. Nein, denn es ist sogar so, dass die AHM für jede verantwortungsvolle Position zu streiten haben, während sich die Fraktionäre in ihrer Missachtung der Kreuzberger Bevölkerung gegenseitig überbieten.

Während sich nämlich der Verhandlungsführer der PDS durch steinzeitlich autoritäres Gebaren bekannt macht und die SPD die Unwissenste ihrer Abgeordneten (Ist sie doch …?) in die Verhandlungen schickt, fordert eine der grünen Verhandlerinnen tatsächlich nicht weniger als die Verhinderung der Anwohner-Beteiligung. Die CDU – wie könnte es anders sein – ist hierbei schon außen vor, weil ihre Funktionäre sich ohnehin in der Rolle der hasserfüllten Demokratie-Rambos ergehen. Dabei sollte man aber nun nicht übersehen, dass Abscheu und Verachtung nicht allein in den Augen der traditionell Kreuzkonservativen abzulesen sind.

Die politische Elite des Bezirks versagt also nicht allein auf professioneller Ebene, sondern eben auch auf der menschlichen, und es ist noch gar nicht klar, welches Versagen ihr denn nun stärker anzukreiden ist.

Durch das Versagen der etablierten Politik entsteht ein Vakuum im Bereich der Ausgestaltung der aus den unterschiedlichsten Lebensentwürfen der Stadtbewohner resultiernden Ansprüche an das Gemeinwesen. Genau dort hinein wirkt eine neue Art Avantgarde aus sozial und gemeinnützig orientierten Stadtpiraten, Social-Economy-Machern, sozial versierten Künstlern jeder Couleur und – an praktischer Umsetzbarkeit orientierten – Basisdemokraten, allesamt geschützt und unterstützt von zahllosen Berliner Engeln, Prinzessinnen und gutmütigen Monstern.

Am Ende ist es Nacht und die Damen und Herren Politiker schaffen es nicht einmal mehr, ihr Erstaunen über die Kompetenzen der Initiative zu verbergen. Das flüchtig herübergeworfene „Tschüss“ entspringt am Schluss aber dann doch eher einer tiefen Erleichterung, nun endlich zu gehen und wieder in Tiefschlaf verfallen zu können. Dem ausgehandelten Papier stimmt die IZB noch tief in der Nacht zu, während sich die offizielle Regierung bereits wieder ins Schlummerland aufgemacht hat.

Wir übernehmen.

Yoga zur Entspannung Besuch der Nichte aus Schwaben... ...bei ihrer Berliner Tante

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Eine „diagonale Karriere“ verläuft von links unten nach rechts oben.

Wahl unter Qual – Sorry, Lucy!

Der Direktkandidat der Bergpartei für das Abgeordnetenhaus von Berlin ist Michael Schmacke. Er möchte „mit der Verfassung das System stürzen…“.

Über die Liste der APPD wollen Benjamin Reding sowie Timo Witt ins Abgeordnetenhaus einziehen. Die APPD zu lieben, ist nicht immer leicht und auch gar nicht gewollt, aber wo die Partei Recht hat, hat sie Recht: „Verbot aller angemeldeten Demonstrationen.“

Die ÜPD tritt mit einem tatsächlich erstaunlich ambitionierten Programm an: Zur Wahl der BVV (Bezirksverordnetenversammlung) fordern Simon Raßloff und Jakob Sielmann die Rückverranzung von Prenzlauer Berg, aber auch lustige Hüte in der BVV werden nicht ausgeschlossen.

Der strahlend leuchtenden Lucy Redler, der Spitzenkandidatin der sympathisch aufmüpfigen Berliner WASG, bleibt zu wünschen, dass ihr der Einzug ins Abgeordnetenhaus auch ohne meine Stimme gelingt.

Aus dem Programm der ÜPD:

Kultur

Kitsch ist die beste Avantgarde!

Kunst ist eine Erträglichmachung des Unerträglichen. Kunst ist konstruiert, Kunst ist Schein, Verewigungszwang und Arroganz.

Schluss mit dem Ekel! Zurück zum Bestialischen, Antiästhetischen, zu echter Kommunikation.

Kultur ist ein Pfeiler des Hologramms Nationalstaat. Der steht als Verfechter moralisch-ästhetischen Anspruchs in Form von Zensur und Altersbegrenzungen auf total verlorenem Posten. Es gibt nämlich nichts, was es nicht gibt und die Kunst macht das eigentlich nur sichtbar. Die Realität aber ist ihr immer um einiges voraus. (…)

Erststimme Zweitstimme Zweitstimme BVV BVV Volksabstimmung

Parteinahme ist der Anfang der Aufrichtigkeit. (Oscar Wilde)

Elitäre Kontroverse in der Eliteschule?

Die neue konservativ-elitäre Kunstzeitschrift Monopol hat einen kleinen Architektur-Wettbewerb ausgerichtet, der auf eine Zwischennutzung des Palast-der-Republik-Areals für eine Kunsthalle abzielt. Die Ergebnisse lässt man heute in der Eliteschule verkünden.

Zwar hat man es vermieden, kritisch-zukunftsgewandte Geister aus dem Umfeld des Bündnis für den Palast einzuladen, dennoch sitzen auch sie heute hier und vernehmen die lächerliche Direktive des Moderators, die vermeintlich „alten Diskussionen“ über den Schlossplatz ad acta zu legen.

Im überfüllten Saal der Hertie School auf Governance im Staatsratsgebäude am Schlossplatz kommen dennoch auch langjährige Kritiker aus dem Bündnis zu Wort: Der Visionär Andreas Amman, der mit seinem Konzept für eine nachhaltige, kreative Entwicklung am Beispiel des Palast-Gebäudes die vorgestellten Architektur-Entwürfe in den Schatten stellt, wo sie vermutlich auch hingehören. Auch die Stadtsoziologin Karin Baumert, auch als „die Stadtbaugräfin“ bekannt, nimmt eine kritische Haltung zum aktuellen Prozess ein. Die im Saal verteilte Stellungnahme von ABRISSBERLIN wird von der taz zitiert.

Die TU-Professorin und langjährige Verfechterin des Palastes, Gabi Dolff-Bonekämper, die bereits vor dem Bundestag gesprochen hat, hebt die besondere Bedeutung des leeren Kreises hervor, der nach der Abmontage der DDR-Staatssymbole Hammer, Sichel und Zirkel, viele Menschen tief berührt hat und seinerseits zu einem überzeugend undefinierten, aber auch ausdrucksstarken und zukunftsweisenden, Symbol geworden ist.

Zu den tatsächlich eingeladenen Gästen gehört Wilhelm von Boddien („Er ist das Schloss“), der als Vorsitzender des „Förderverein Berliner Schloss“ wenigstens für die Errichtung barocker Fassaden eintritt und bereits Millionen an Spendengeldern eingeworben hat, die offenbar aber versickert sind; um so unverständlicher ist da seine Klage, dass für das Schloss zu wenig geworben werde.

taz, 16.8.2006, S. 24, Uwe Rada: „Berlins Köpfe rufen nach Kunsthalle“

„Neu ist die Forderung nach einer Kunsthalle allerdings nicht. Bereits in den letzten Wochen der Zwischennutzung der Palastruine hatten sich die Berliner und überregionalen Feuilletons überrascht gezeigt. Im „White Cube“, einem weißen Raum im ersten Stock der Ruine, sei während der Ausstellung „362710“ im vergangenen Dezember eine Sensation zu vermelden gewesen, schrieb etwa Niklas Maak in der FAZ: „Berlin hat eine neue Kunsthalle – und noch vor einem Monat wußte keiner etwas davon: die Künstler nicht, die Organisatoren nicht, die Stadt nicht. (…) Will man, nur um dem Sozialismus noch nachträglich eins auszuwischen, eine weitere öde, leere Fläche im Herzen der Stadt statt eines Ortes, an dem solche Ausstellungswunder stattfinden?“

Nein, meint nun auch die Kulturprominenz von Christina Weiss bis Peter Raue, von Klaus Staeck bis David Chipperfield. Und nein meint auch der wichtigste Anrainer des Platzes, Michael Zürn von der Hertie School of Governance. „Es kann nicht sein, dass über einen der wichtigsten Plätze der Republik und seine bewegte Geschichte einfach Gras wächst“, ist Zürn überzeugt. Deutlicher könnte das Votum gegen die Pläne von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) nicht ausfallen. Sie will den Schlossplatz nach dem Abriss der Palastruine bis zum Bau des Humboldt-Forums begrünen. Derzeit läuft dazu ein Wettbewerb. (…)

Architekturmodelle (…) Allen Arbeiten gemein ist – wie auch den Entwürfen, die beim taz-Wettbewerb zum Schlossplatz prämiert wurden -, dass sie nicht mehr dem Palast der Republik hinterhertrauern, sondern einen eigenen Akzent für die nächsten Jahre setzen wollen. Zu diesem Akzent gehört aber auch die Kritik, ohne die der Ort nicht zu dem geworden wäre, was er ist.

In den Entwürfen von Monopol, so meinen die Abrissgegner des Palastes, „manifestiert sich, was die letzten 15 Jahre diesen Ort bestimmte: Ignoranz“. Nun also gehe die Diskussion in die nächste Runde, heißt es sarkastisch in einer Stellungnahme, die am Montagabend in der Hertie-School bei der Präsentation der Architekturmodelle für die Kunsthalle verteilt wurde. Neuer Titel:

Die Verschönerung des Debakels. Moderne Kunst als Instrument.

Staatsratsgebäude Visionär Andreas Ammann Die Stadtbaugräfin Prof. Gabi Dolff-Bonekämper Leeres Staatswappen und Zweifel Stellungnahme von Abriss Berlin Und ewig grüßt das Murmeltier

Wo Du nicht bist. Ein Stück über das Glück.

Berlin-Premiere eines wunderbaren Schauspiels im wunderbar verrotteten Festsaal der Sophiensaele.

Nico and the Navigators sprechen und singen in Deutsch, Französisch, Englisch, Flämisch und Japanisch, bis dann auch dem Letzten klar wird, dass das eigene Glück womöglich eine Lebenseinstellung ist. Doch auch der Schmerz kommt zu seinem Recht.

Die Erkenntnis-Angebote werden mal langatmig, mal rasant und spritzig inszeniert. Immer wieder finden sich hier überraschende, schauspielerische Glanzleistungen. Das Stück gibt sich philosophierend und humorvoll, hält aber Kontakt zum Boden und zum Publikum.

Untermalt und unterstützt werden die einzelnen Passagen von einem abstrakten Bühnenbild und der an- und aufregenden Live-Musik der österreichischen Musicbanda Franui.

Insgesamt bleibt viel Platz für einen eigenen Film im Kopf und das ist auch gut so!

Sophiensaele Nico and the Navigators

„Man lebt nur einmal, aber wenn man’s richtig macht, reicht das auch.“