Gerhard Woyda ist kein Georg Kreisler

„Satiriker sind keine Lyriker“, mühevoll interpretiert von Tim Fischer.

Knapp daneben wäre auch vorbei, könnte man sagen und muss es wohl auch – Gerhard Woyda (*1925) aber wird eingestehen müssen, dass seine nur knapp über dem Höhenminimum geflogenen Selbstbausätze den anvisierten Landeplatz nicht zu erreichen vermögen; sie durchfliegen das Hirn ohne aufzuschwingen und verlassen es unauffällig durch die Hintertür, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen, und nur wenigen gereicht es zu der Ehre, Herz oder Bauch ihre Aufwartung zu machen.

Woydas klassisch verdichtete Politikprosa repräsentiert den zu spätrevolutionärer Freiheit motivierten, wachen Geist eines an sein Lebensende gereiften Autors – Satire und Spott jedoch gelangen nicht zur Reife, da sich die Pointen größtenteils als vorhergesehen erweisen und zudem in Fischer anno 2012 keinen überzeugenden Interpret finden. Die gesellschaftskritische Klassik, welche Woyda sprachlich wie kompositorisch zu manifestieren sucht, verfehlt in Ermangelung notwendiger Grenzverletzung und -erweiterung das inhaltliche Klassenziel.

Einigen der qualitativen Schwächen des Textmaterials ließe sich vermutlich mit ironischer Stärke beikommen; Tim Fischer bemächtigt sich dieser leider kaum. Letztlich erreichen daher auch vielversprechende Zustandsbeschreibungen à la „Wachstumsoasen voller Metastasen, die sich fressen ins Land“ und das als Zugabe zu Recht bejubelte, anarchistisches „Ich hasse Blumen“-Lied keine Umkehr des vorwiegenden Eindrucks einer jäh scheiternden Melange. Schade.

„Wer trifft ins Schwarze? Wer geht ans Eingemachte? Wer amüsiert bis an die Schmerzgrenze? Die Satire! Erleben Sie Tim Fischer als Großmeister der schonungslosen Unterhaltung. Die Satire, das köstliche Instrument der kunstvollen Kritik, legt mit Genuss den Finger in die Wunde und hält uns den Zerrspiegel vor. Sie demaskiert die Fehlentscheidungen der heutigen Zeit treffender als alle politischen und ideologischen Diskussionen. Sie nährt sich vom Negativen und nähert sich dem Positiven nur in ironischer Weise. Gerhard Woyda, Gründer und Intendant des Renitenz-Theaters, hat Tim Fischer ein Programm auf den Leib geschrieben, das kritisch und humorvoll die Probleme und Besonderheiten unserer Gesellschaft behandelt und moderne Themen mit nostalgischen Kompositionen verquickt. „Die Zeit schreit nach Satire“, rief einst Kurt Tucholsky und singt heute: Tim Fischer! Gerhard Woyda und Rainer Bielfeldt begleiten Tim Fischer am Flügel.“ Bar jeder Vernunft

Shelly Phillips im Untergrunddschungel

Wer Shelly Phillips begegnet, wird kaum umhinkommen, das Attribut „süß“ zu gebrauchen, es wenigstens aber zu denken, gleichwohl die Frontfrau der Nachwuchsband Kein Frühstück auch das auf Standby geschaltete innere Raubtier nicht verhehlt. Bühnenluft macht Zaubern, und genau dies ist das Metier von Shelly Phillips – stets unter Strom und doch bedacht, beobachtend, verletzlich, ein nahbares Wesen. Gegen zuviel Nähe schützt eine stabile Fassade; Shelly weiß, wie man Posen einnimmt – welche davon sie selber zeigen, bleibt für den Betrachter unklar und vielleicht weiß auch sie selbst es nicht immer ganz genau.

Zwar spielte die Band bei ihrem Auftritt zur queeren 10:15 Tuesday Night by Ackerkeller etwas arg laut und damit um einiges zu dröhnend auf, verlor dadurch im Ausdruck an Tiefe und an Virtuosität, doch ein Fiasko kam für die selbstbewusste Shelly nicht in Frage, und so entertainte und motivierte sie das Publikum, sich und die Band so unnachgiebig, dass sich schließlich doch noch ein wertvoller Teil der eigentlichen Energie ihrer Performance zu entfalten vermochte. Unter den zahlreich erschienenen Gästen jedenfalls fanden sich sofort Neubegeisterte, welche denn auch gleich mit einer Shelly pur belohnt wurden, die einfach ihre gerade noch interpretierte Bühnenrolle gegen eine andere auswechselte und hernach mit von ihr in deutscher Sprache verfassten Liebesliedern aufwartete. Die Gitarre in der Hand, die Roheit des Raubtiers gegen aufrichtige Zärtlichkeit und fragilen Sanftmut getauscht, spürte dann am Ende auch der letzte, dass diese große kleine Person aus Oberfranken, die auf Initiative des befreundeten Künstlers M. A. D. und der Ostprinzessin zum ersten Berlin-Auftritt anreiste, es offenbar wirklich wissen will.

Bereits in der Berliner Silvesternacht hatten Shelly Phillips und Band nicht vom Zaubern lassen können und beim privaten Wohnungsfest in der Torstraße sich selbst wie auch dem gleichermaßen überraschten Publikum ein besonderes Erlebnis beschert. Was als einfacher Soundcheck begann, entsponn sich zum halbstündigen Auftritt vor wachsendem Publikum. Auch die für die Moderation der Silvesternacht angeheuerten, in Berlin weltberühmten Heroen legendärer Untergrundkultur, Gisela Sommer und Inge Borg, wippten im Takt und ließen sich die Show gern stehlen.

Von Shelly Phillips wird man noch hören. Möge sie ein glückliches Händchen haben, sich und uns die Tiefe gönnen, die ihr innewohnt, und immer einen passenden Zauberspruch parat haben!

<em><figcaption id=10:15 Tuesday Night by Ackerkeller mit Shelly Phillips. Foto: Ingo Lamb.“ width=“486″ height=“324″> 10:15 Tuesday Night by Ackerkeller mit Shelly Phillips. Foto: Ingo Lamb.

War Songs im Affenhaus

Mary Ocher, von Ulrich Gutmair im Magazin Spex als „progressive, kosmopolitische und feministische Bohemienne“ bezeichnetes Individuum, kam in den King Kong Club und weinte erst einmal – noch lang vor ihrem Auftritt, bei dem Mary Ocher mit bisweilen reißender Herzkraft ihre war songs about „war and peace, but also social status, persecution and hints of nationalism and sexual abuse“ darbot und den ganz überwiegenden Teil des gebannten Publikums mit ihrer gleichsam anachronistisch wie avantgardistisch anmutenden Gesamtperformance bezauberte.

Die Berlinerin – geboren in Moskau als Mariya Ocheretianskaya, aufgewachsen in Tel Aviv, „disillusioned by the mainstream industry“ – blieb ganz bei sich, schien dabei mal nah, mal fern und verließ anschließend den Ackerkeller im Affenhaus in zartester Schüchternheit. Hierzu fühlte ich mich sofort analog – und: „So ausgedacht Mary Ochers Künstlerinnenpersona erscheint, so völlig echt ist sie auch. Vermutlich schockiert ihr Auftritt deshalb so: Hier traut sich eine, sie selbst zu sein“ (Gutmair).

Chaos ordnet Struktur

Im temporär bebilderten, abgedunkelten Schiff der Emmaus-Kirche in Kreuzberg, vor immerhin zwanzig Gästen – ein gelingendes Konzert voller Muße, Weile, Lebensklang, mal sanft, mal brausend und immer einer modernen Freistilmusik verpflichtet, in namhafter Qualität: Mit Weltrekordler Artus Unival, Klangkomponist Marten Mühlenstein, Sax- und Flötenfachkraft Susanne Bätz, Bassveteran Hartwig Nickola, Trommelpoet Uli Moritz, Bewegungs- und Stimmvirtuosin Monika Lilleike, Paul Schwingenschlögl u. a.!

Konzert: AYA fraystyl musyk meets STEVE REICH „18 plus“.

struktur ist – chaos trifft auf struktur – struktur stört chaos – chaos ordnet struktur – und nun ?! chaos stört struktur – struktur ordnet chaos – und nun ?! chaos traf auf struktur und ging … – struktur blieb. da capo al fine … sine fine … wir tanzen den lebenstanz, singen das lebenslied, spielen das lebensspiel – ewiger walzer … – und wir sind … hier.

No passion at all: Johannes-Passion

Sophienkirche, Berlin-Mitte: Die Johannes-Passion von Bach.

Mit ein paar stimmlich berührenden Glanzlichtern, recht braven Musikern und – o Jesus – einigen Fehlinterpreten, insgesamt dann doch unsympathisch bleibend, trotz passioniert liebreizender Begleitung an meiner Seite.

„Betancor mit ‚Stellt vor‘“ (Cora F.)

Ein vollbesetzter Abend in der Berliner Kabarett Anstalt, mit zwei exzellenten Musikern, einer schwer erkälteten, gleichsam warmherzigen Gastgeberin Susanne Betancor, einem jedes Kalt zum Schmelzen bringenden Frost, der einen seiner neuen poetisch wie melodisch ausgesprochen glückenden Songs vorstellt, und einer Maria Kamutzki, die zur Zeit sich selbst – jenseits von HARNDORF – eine Fehlbesetzung ist.

Mit einem sympathisch nervösen, aber bisslosen Ü-Gast Maren Kroymann und der Blümchen reichenden Zazie de Paris.

Betancor stellt vor

In der zweiten Ausgabe von Betancor stellt vor,
kann Betancor sich vorstellen, ein tolles Konzept
durchzuspielen: FOF – Frau ohne Funktion:
Alle Welt reißt sich darum, keine Quotenfrau
zu sein und Betancor ist begeistert: Niemals
Quotenfrau und auch nicht das Gegenteil.
Entziehung! Wer was tut nicht gut. FOF! lautet
das Motto für einen spritzigen Themenabend
in Liedern und Sätzen und Betancor freut sich
auf Gleichgesinnte: Rechnen kann man mit der
Songschreibersängerin, Anti – Standup – Aktivistin
und grossen Theoretikerin HARNDORF und der
unvergleichlichen Sängerin, Dichterin und famosen
Obdachlosen CORA FROST.
Zu Dritt werden sich diese drei durch den Abend
führen und NATÜRLICH kommt bestimmt wieder
herrlicher Überraschungsgast.

Klassenvorspiel

Klassenvorspiel der Gesangsklasse von Gesangsfachkraft Annette Goldbeck-Löwe; insgesamt überdurchschnittlich, mt einigen Highlights und launigem Publikum im restlos besetzten Puttensaal an der Weddinger Panke.