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Cora Frost rockt den Tränenpalast im Tempodrom

„Zucker & Butter“: Der Saal ist nicht voll, doch die etwa 50 Personen, die sich hier zusammengefunden haben, wissen offenbar, was sie der Ausnahmekünstlerin Cora Frost und ihrer so eindringlich wie fantastisch spielenden Butterband aus Toni Nissl, Gary Schmalzl und Florian Grupp schuldig sind.

Gary Schmalzl wurde übrigens als Baby von einer Bärenfamilie auf einem Baum gefunden. Die Bären zogen ihn auf. Er brachte sich das Sprechen selbst bei. Im Alter von vier Jahren schnitzte er sich aus einem Stück Holz seine erste Gitarre, wunk der Bärenfamilie noch einmal zu und ging ins Dorf, wo er den Menschen alle Fragen beantwortete und seine Karriere als Gitarrist begann.

So viel tosende Begeisterung ist selten, denn Cora Frost verstört die Gemüter. Ringeltanz für Alle. Denn „das siegtSieg Heil – liegt uns Deutschen ja im Blut! Das kam so angeflogen, hat mich nur gestreift. Eine deutsche Minute.“ Punk-Rock-Chansons für leidenschaftliche Menschen oder die, die’s werden wollen. Das Publikum, darunter Gérome Castell und Freundinnen, zeigte sich ebenso überrascht wie angetan.

Auch beim siebten Mal immer noch staunend,

Eure Ostprinzessin

Tränenpalast Cora Frost am gerade abgerissenen Teil des TränenpalastsCover-Bild von Nexte Lied

Berlin ist Cora Frost

Der Tränenpalast etabliert sich nach seinem Rauswurf aus dem eigentlichen Tränenpalast – dank profaner Investoren und unfähiger Berliner Regierung – nun am Tempodrom. Die Kleine Arena des Tempodrom stellt sich für Cora Frost und ihre fantastische Band (Toni Nissl, Gary Schmalzl und Florian Grupp) jedenfalls als ein idealer Spielort heraus.

„Zucker & Butter“ – der Name ist Programm: Vor Beginn werden dem Publikum gezuckerte Butterstullen gereicht. So viel Häuslichkeit darf sein. Und dann bricht sie auch schon los, die Proklamation des Punkchansons. Zu rockigen Klängen lockt bereits das „Skalplied“ zum Tanze. Und ja, hier in Berlin wird sie nun endlich wieder gefeiert, die früher so hochgejubelte Cora Frost, die uns alle ein paar Nasenlängen voraus war und ist, besonders in ihrer medial unsichtbaren Zeit der letzten Jahre, nicht allein, weil sie über eine fantastische Stimme verfügt, sondern auch, weil sie Traurigkeit, Schmerz und verlorenes Glück gleichwertig neben pure Lebensfreude und Ekstase zu stellen weiß, wie es derart glaubwürdig sonst Niemandem zu gelingen vermag.

Wohl nur Cora Frost kann das Glück poetisch und realistisch so beherzt hinausschreien, es auch in ein energisches Lied über die Straße in ihrer türkischen Heimat in Berlin schreiben, ohne die rosa-rote Brille wirklich aufzusetzen! Wer sonst traut sich das? Welche Singpflanze sonst trägt so viel Menschlichkeit auf der Zunge? Wer sonst hat den Mut, die konservativen, klischeehaften Chanson-Erwartungen eines dösenden Publikums, das Gesellschaftskritik nur in kleinen Portionen vertragen will und „Randfiguren“ immer noch für gewöhnungsbedürftig hält, so radikal zu enttäuschen? Cora Frost hat sich vom herrschenden Kleingeist längst abgesetzt und sich den selbstbewusst wunderlichen Menschen verschrieben, denen sie auch viele ihrer Lieder widmet. Und diese interpretiert sie mit großartiger Unterstützung der Butterband ganz und gar hitverdächtig, seit zwei Jahren schon. Wo also bleiben die Trommelwirbel für Frost? Warum kann die Medienmeute mit ihr nicht umgehen, ohne sie an den Rand des Ernstzunehmenden zu stellen? Was wird eingeblendet und was wird ausgeblendet? Zumindest bleibt ihr somit wohl wenigstens die einlullende Zwangsanpassung erspart.

Es herrschen keine freien Zeiten, gesellschaftliche Aufbrüche bewegen nur wenige Kreise der Bevölkerung. Profitgier, Repression und Überwachungsstaat heißen die Gefährten unserer Zeit. Eine Cora Frost ist aber längst in einer fortschrittlicheren Zeit angekommen und hat bei aller eigenen Sprengkraft ihre Umsicht nicht eingebüßt. Am Ende jedenfalls zerstört sie in einer exemplarischen Vorführung das Chanson: „Une petite chanson pour un petite patate“. Vermutlich ist das die beste Chanson-Parodie, die es gibt!

Zu erleben ist das Gegenteil einer modernden Chansonniere. Kraft für die Realität des Abseitigen – in hit-kompatiblem Gewande. Ob sich auch Denis Fischer, der diesmal die Zuschauerperspektive einnahm, ein Scheibchen davon abschneiden wird? Nötig hätten es wohl viele Kollegen. Die gesellschaftliche Schläfrigkeit der Menschen zu bedienen, ist einfach. Cora Frost macht es sich nicht einfach. Das kann ich sagen, nach sechs Malen, die ich nun in „Zucker & Butter“ gewendet wurde.

Die einmalig dekonstruktionistische Kraft von „Nexte Lied“ hat den Weg bereitet für leidenschaftlich tanzbare, glückliche und traurige Songs mit viel Hirn im Berliner Herz. Noch bis zum 06. Mai zu entdecken!

Tränenpalast im Tempodrom Cora Frost Cora Frost an der Mauer des Träni

Elektrisierende Diva – wo aber ist die Kunst?

Romy Haag in den Wühlmäusen

„Frauen, die ich nicht vergessen kann, TEIL 2“. So lautet es in der Ankündigung. Doch wo ist der zweite Teil? Der vorgeblich zweite Teil ist fast identisch mit Teil 1, den sie vor ein paar Jahren auf die Bühne brachte.

Romy Haag ist schon eine Sensation, wenn sie so ist, wie sie ist. Warum aber bleibt sie künstlerisch so weit unter ihren Potentialen? Sie kann viel mehr und hat das über Jahrzehnte etliche Male bewiesen.

So war denn Romy Haag nun zwar gewohnt beeindruckend und elektrisierend, aber sie löste ihr Versprechen nicht ein. Die Musiker spielten gut, aber die Kompositionen sind flach angelegt. Schade – oder?

In einem Berlin-Song wagt sie dann endlich etwas, das sie ruhig öfter tun dürfte: Sie nimmt Bezug auf die Gegenwart und textet den Berliner Hauptbahnhof ein, „der beim kleinsten Wind umweht – samt seinem Größenwahn.“

Einer so erfahrenen Künstlerin Ratschläge zu erteilen, ist nicht sehr würdig, aber mensch möchte ihr zurufen: Mal was Neues wagen! Die eigenen Lieder nicht vernachlässigen! Musik wieder als avantgardistische Kunst begreifen!

Wer sonst soll es besser machen!? – Es gibt keine Zweite wie Romy Haag!

Frauen, die ich nicht vergessen kann, TEIL 2 Romy Haag elektrisierend

Chansonpunkrock vom Feinsten

Cora Frost in der Leipziger Moritzbastei

Auch ein starker Husten kann Frost nicht wirklich etwas anhaben. Mit vollem Einsatz wirft sich Cora Frost in ihr Programm das den wohligen Namen „Wir waren auch in Zucker und Butter“ trägt. Gary Schmalzl, Toni Nissl und Florian Grupp begleiten souverän wie immer.

Frost verschiebt die Ebenen und öffnet die vertrauten Auffassungen. Das bedeutet, da wir uns darauf einlassen, Konfrontation, Auseinandersetzung und Neuzusammenfügung. Sie spricht Verstand, Gefühle und Launen gleichzeitig an und lässt die Konstruktionen von Realität und Utopie aufeinandertreffen. Mensch sollte ihr umgehend den Nobelpreis für Herausforderung verleihen.

Großartig singt sie auch wieder ihren Song „Das ist die Straße, wo sich mein Glücksrad dreht…“ über „meine türkische Heimat in Berlin“. Und das Publikum zeigt sich am Ende sogar angetan und verlässt nicht in Scharen den Saal, was bei Frostschen Auftritten schon öfter vorgekommen sein soll. Eine wie Keine!

Moritzbastei Cora Frost

„Kinder, ich bin müd!“

Ingrid Caven zickt singt. Im Publikum: Werner Schroeter, Irm Hermann, die Tocotronics Dirk von Lowtzow und Jan Müller, René Koch.

Wir leben noch!

Ja, der Deutsche Film hat – außer mir – was Großes verloren!

Kinder, es ist kalt. Kann man die Tür nicht zumachen!?

Berliner Ensemble - Ingrid Caven singt Ingrid Caven Neue und alte Lieder

„Rettet die Aale!“

Gustav und To Rococo Rot in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Unprätentiös betritt die österreichische Sängerin Gustav die Bühne, sogleich beginnend, ihre Klangkünste zu entfalten.

„Kennen Sie den Albtraum, wo man untenrum nichts an hat, alle anderen aber schon?“

Gustav - Rettet die Wale Gustav

Frost als Glücksverstärker

Cornelia Druse Menschliche Robbe Boris Lisowsky-Greenberg
Für die neue Spielstätte des Jungen Theaters, die „Stauerei“ in der Überseestadt Bremen, hat Cora Frost zusammen mit Nordlicht Nomena Struß ein neues Stück konzipiert: Weihnachten auf hoher See. Es ist etwas neues, was sie uns dort zeigt, und zugleich liest sich glücklicherweise ihre Handschrift bestens heraus.

Dass bei Frost die emanzipativen Anliegen auf der Bühne oft ins Gegenteil gewendet vorkommen, das hat Methode. Emanzipativ deshalb, weil Frost die Menschen am Rand, die Unsichtbaren wie die nur allzu Sichtbaren, nicht nur respektiert, sondern sie auf die Bühne hievt, sie durch ihren Glücksverstärker jagt und wundervolle Wesen ins Licht stellt.

Ins Gegenteil gewendet deshalb, weil sie, die Frauen- wie Männer-Liebhaberin, gern auch mal als eine Mischung aus Meerjungfrau und Prostituierter auftritt, die mit rustikal kerligem Benimm daherkommt und ebenso gern zwischen Goldkehlchen und Jahrmarktschreierin schwankt. Ins Gegenteil gewendet auch dann, wenn sie diesem Stück nun aus dramaturgischen Gründen eine weibliche Striptease-Szene verpasst, die – hetero-männlichen Erwartungen zum Trotze – auch deshalb zu einer absurden Persiflage wird, weil Frau ohne Nackheit auskommt und Mann hier als schlicht strukturierter Eisbär vorkommt.

Oder wenn sie bei sog. „Familientreffen“ einen alten Freund, einen Schauspieler des Obdachlosentheaters Ratten 07, im Glitzerkleid vor das Publikum treten lässt, auch dann offenbart sich der Charakter der Frost. Ob Frost allumfänglich um ihr gesamt-emanzipatives Sein und Schaffen weiß, das könnte höchstens sie selbst beantworten….

Jedenfalls ist dies ein höchst politischer Moment in ihrem Werk. Beinahe möchte man ihr sogar blind vertrauen, dass sie sich von den sozial blinden Umarmungspolitikern,  Klaus Wowereit zum Beispiel oder den Neo-Grünen unserer Zeit, fernzuhalten weiß.

Überhaupt scheint Frost einen Kompass bei sich zu tragen, der ihr immerzu anzeigt, welche Tabus tatsächlich und welche absichtlich nicht zu brechen sind. Der Dekonstruktion unserer entfremdeten, desensibilisierten Welt weiß sie dann nämlich eine wärmende Parallelwelt nachzusetzen, in der wir alle wie selbstverständlich gleichviel wert sind.

Frost betört in diesem Stück nicht zuletzt mit ihrer atemberaubenden Stimme, aber auch mit einer Baby-Imitation, einen hysterischen Anfall, ihre sagenhaft lapidar-komische Mimik und ihre Kunst, sich nicht in verkünstelten Phrasen zu ergehen, sondern emotionale Momente zu erschaffen, die bei aller frosteigener Frostigkeit dennoch den Weg zu Monsterherzen finden.

Weihnachten auf hoher See

Ein Stück Glück

Die Käpt'n Struß und ihre Crew Die Crew und die menschliche Robbe

Bericht an einen Freund

Heute war Premiere. Das Stück von Frost und Struß spielt auf Hoher See an Weihnachten. „Ich hasse Weihnachten ja sehr!“ Frost spielt eine Cornelia Druse, ein hässliches Entlein mit Engelsstimme, ist absurd hässlich verkleidet und kaum wiedererkennbar – und doch irgendwie ganz normal. In der Pause lädt sie Personen in Dreiergruppen ein, eine Nixe zu bestaunen. Aber Vorsicht! Es ist sehr gefährlich, von einer Nixe in den Bann gezogen zu werden! Das wäre der sichere Tod! Sie lässt also mich und zwei andere in einen winzigen Betonraum eintreten, geht selbst mit hinein und knallt die schwere Metalltür hinter uns zu. Ich stehe an einer Betonwand, in einer Ecke. Es ist dunkel. Wir sehen und horchen hinunter in ein Loch vor uns, aus dem eine Nixe zu singen beginnt. Frost warnt: „Nicht zu nah ran gehen!“

Ich stehe also direkt hinter und neben diesem Menschen – es ist so eng, dass sich alle Körper irgendwo berühren – der mich zu berühren vermag wie kaum ein anderer je, den ich so sehr verehre und bewundere. Ich stehe also mit diesem Menschen still in einem winzigen, dunklen Betonkabuff und wir alle tun so, als sänge da unten in dem Loch tatsächlich eine Nixe. Nichts weiter…

Dann plötzlich beendet sie lautstark die Prozedur, weil es sonst zu gefährlich würde…! Sie drängt und schubst mich hinaus und knallt die Tür zu. Dieser Mensch, die für mich Unberührbare, berührt uns also in mehr als einer Art und Weise. Alles war so schlicht und einfach und konstruiert, und doch so nah, so menschlich, so unbegreifbar menschlich, obwohl ich doch auch ein Mensch bin! So voller Poesie und Berührungen.

Am Ende ist der Applaus vom kleinen Publikum enorm – viel glücklicher als im Sommernachtstraum an der Schaubühne – und Frost strahlt über das ganze Gesicht. Voller Glück. Sie hat eine Glücksbegabung, hat mal jemand gesagt.

Und ich fühle auch wieder dieses Bremer Gefühl, dieses, wo den Leuten teilweise nicht viel anzumerken ist, wo immer unklar ist, welche Subtexte sie wahrzunehmen bereit und in der Lage sind, die sich ganz verhalten durch die Herausforderung des Aburd-Komischen, des Grotesken bewegen, und am Ende doch so einem Bedürfnis der Dankbarkeit Raum geben. Dann denke ich: Vielleicht sind sie nicht die Erfahrensten, nicht die, die sich mit Freaks auskennen, aber sie lassen sich von Gefühlen berühren, lassen die fremde Seele eine Zeit lang aufrichtig und gern an ihrem Wohnzimmertisch Platz nehmen.

Bei Frost kann ich loslassen, fröhlich sein und leicht, ohne meinen Verstand abgeben zu müssen; immer auch am Leid teilhaben, ja das Leid teilen, mit den Leidenden teilen. Dafür bewundere ich sie so sehr. Sie ist für mich so etwas wie eine Seele zur Ostprinzessin. Durch sie kann ich glauben, an mich und an andere Menschen, an das Gute, an das Leid.

Junges Theater, Stauerei, gegenüber der Energieleitzentrale Weihnachten auf hoher See Achtung, Achtung an Alle Cast, Crew und außergewöhnliche Attraktionen Hoppelpoppel und Tingeltangel Musterrolle der Reederei Polliwog, Testament