Wenn Stadtentwicklung fassungslos macht

Ein Lachkrampf zwischen Havelspitze und Haselhorst

Prenzlauer Berg, gestern Nacht. Um 0.06 Uhr steigen ich und die andere Person in die S-Bahn nach Jungfernheide. Weiterfahrt mit der U-Bahn. Das Ziel: Haselhorst. Hier wurde zwischen 1930 und 1935 die sogenannte Reichsforschungssiedlung Haselhorst angelegt und 1963 wurde hier der bekannte Travestiekünstler Ades Zabel geboren. Durch das nachtschlafene Haselhorst gehend, vorbei an frühem sozialen Wohnungsbau, eine Einfamilienhaussiedlung – mit Garagenhöfen aus verschiedenen Jahrzehnten – passierend, gelangen wir über einen finsteren Pfad auf eine Straße, die direkt zur wundervollen Spandauer-See-Brücke führt.

Die kurz vor ihr auf einem Baufeld linear hintereinander gereihten Ketten sogenannter Townhouses lassen wir weitgehend unbeachtet rechts liegen. Wir gehen die Brücke hinauf und genießen die Atmosphäre. „Da gibt es doch nichts“, sagt die andere Person, als ich bereits auf die andere Seite laufe, hinein ins hingeklotzte Neubaughetto Wasserstadt. Eigentlich ist diese Lage an der Havel vortrefflich. Doch die Wasserstadt – gebaut seit den 90er Jahren – ist nicht geworden, was sie werden sollte. In der Abflugschneise vom Flughafen Tegel gelegen und ohne Anbindung an das U- und S-Bahn-Netz, hat dieses Neubaugebiet, das im Stile eines phantasielosen sozialen Wohnungsbaus – in großen Block-Formationen – errichtet wurde, von Anfang an vor Allem Menschen angezogen, die auf dem Wohnungsmarkt keine großen Sprünge machen können.

Gleich vorn am Eck findet sich der Jugendtreff Havelspitze. In der Nähe stehen ein paar Jugendliche und quatschen. Wir gehen weiter, hinein in die Neubauwüste. Eine Bushaltestelle bietet den ersehnten Nachtverkehr gen U-Bahnhof. In 15 Minuten wird ein Bus kommen, so lesen wir es auf dem Plan. In der Zwischenzeit pendeln wir zwischen Haarstudios, Havelufern und dem Innenhof eines der großen Blöcke, die durch einen Aufgang von der Straße aus erreichbar sind. Hier zu leben, das mag hart sein, aber für ein paar tausend Menschen ist es Realität. Von den Fassaden grüßen viele Satellitenschüsseln. Hier ist nicht Kreuzberg SO36. Street Life ist hier ein seltenes Phänomen. Und wo kein Street Life stattfindet, gerade dort muss man sich die große, weite Welt per Schüssel ins Wohnzimmer holen.

Wir gehen zurück zur Bushalte. Während der restlichen Wartezeit beginne ich damit, ein wenig zu spötteln: Ja der Busfahrer wird sich wundern, dass in dieser urbanen Öde überhaupt Leute einsteigen! Ja er wäre sicher froh, wenn er einfach weiterfahren könnte! Und dann plötzlich: Ein VW-Kleinbus hält am Wartehaus, „Berlin-Taxi“ steht außen dran. Ich wende mich ab. Keinesfalls werde ich jetzt ein Taxi besteigen, wenn doch gleich der Bus kommt! Aber die andere Person fragt durch das hinuntergelassene Fenster der Beifahrerseite hindurch: „Sind Sie der Bus?“ Und ja, er ist es! Die andere Person öffnet die Seitentür und steigt ein. Ich folge fassungslos. „Die Tür ist nicht richtig zu“, sagt der Fahrer. Beim dritten Mal dann klappt es. Sieben Plätze, Anschnallgurte – wo nur bin ich hier gelandet? Werden wir gerade entführt? Aber wohin – und warum?

Das Fahrzeug ist bereits unterwegs und quert die Seebrücke. Ich ringe nach Fassung und auch die andere Person sitzt fassungslos auf ihrem Platz neben mir. Abgewetzte Polster und schmutzige Scheiben mit Voerhängen. Vorhänge wie im Flugzeug. Die andere Person spricht nun wie paralysiert aus, was ich noch gar nicht fassen kann: „Ich fühle mich gerade wie in einer anderen Welt!“ Unzählige Male schon hat die andere Person mir davon berichtet, wie sie sich in ihrer eigenen Welt, in ihrem „Space“ fühle. Verstehen konnte ich dieses Gefühl zwar immer, nachvollziehen jedoch meistens nicht. Aber diese Momente lassen sie mich fühlen: Eine andere Welt. Eine real existierende, andere Welt.

Abwechselnd, dann gleichzeitig, geraten wir ins Lachen. Jeglicher Unterdrückungsversuch schlägt ins Gegenteil um. Aus den Autolautsprechern erklingt nun ein Lied: „I would give everything I own, give up my life, my heart, my home“, von Boy George im Jahre 1987 aufgenommen. Nun gibt es für mich gar kein Halten mehr. Ich lege die Hände vor mein Gesicht, um dem Fahrer, der mich gewiss während der ganzen Zeit gut im Blick hat, meine Fassungslosigkeit nicht allzu deutlich zu offenbaren. Niemandem aber sei empfohlen, hysterische Lachkrämpfe, unter denen man sich zu biegen und nach Luft zu schnappen beginnt, allen Ernstes unterbinden zu wollen. Es schießt unweigerlich aus einem heraus! Auch das aufgebügelte, fliegende Stoffflugzeug auf meiner mit einem Interflug-Schriftzug versehenen Tasche, springt mir nun ins Auge und sorgt ohne Gnade für neue Lachsalven. Sämtliche Anläufe, wieder Fassung zu gewinnen, enden an der jeweils nächsten Gabelung meiner Gedanken.

„I don’t know why, just don’t know why“, singt Boy George. Beim Blick aus dem Fenster versuche ich, mir das Haselhorst vorzustellen, in dem Ades Zabels Kunstfigur Karin Hoehne Grundschullehrerin gewesen ist. Karin Hoehne unterrichtet die Fächer Deutsch, Werken und Tuschen. Unweigerlich stelle ich mir nun diese Person neben uns als Buspassagierin vor. Oder andere Passagiere. Vielleicht mag es ja welche geben, die es für die natürlichste Sache der Welt halten, um halb zwei Uhr nachts durch Haselhorst gefahren zu werden, von einem öffentlichen Kleinbus mit Flugzeugfenstervorhängen und herrlich tuntiger Spreeradio-Eighties-Musik. Auf dem weiten Weg zur Endstation hält der Wagen an keiner der Haltestellen und kein einziger Passagier steigt zu. Unsere Fahrscheine, so bemerkt die andere Person, hat der Busfahrer gar nicht sehen wollen. Am Ende dann ein persönlicher Abschied: Ciao! „I would give everything I own, Just to have you back again.“

Mit herzlichem Dank an Boy George.

Erste Townhouses (Mitte 2004) Blick nach Spandau Blick zur Wasserstadtbrücke Spandauer-See-Brücke Abflug...

Ausschusszombies on tour

Liebe Lesende,

zur Zeit bin ich ja einer der „vier Hanseln“ (wie Abrisswolf Ugarte Chacón es formuliert, die im Sonderausschuss „Spreeraum“ die Initiative Mediaspree Versenken vertreten. Zu dem ganzen Drin, Dran und Drumherum habe ich bislang ausschweifend geschwiegen, auch im Ausschuss selbst habe ich noch keine Worte verbraucht. Nun aber möchte ich behutsam und liebevoll einsteigen und von meinen Eindrücken berichten.  Und ja, nennen wir es ruhig mal eine Begegnung der dritten Art. Viel Vergnügen!

Mediaspree verschönern: Ausschuss für kosmetische Eingriffe

Freitagmorgen, Osthafen in Friedrichshain. Sonnenschein. Ausschuss trifft Ausschuss. Wir, die sogenannten Bürgerdeputierten des Ausschusses Spreeraum, treffen auf einen Landesausschuss. Aber fangen wir die Geschichte an ihrem Ende an: Der Betriebsausflug des Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr des Abgeordnetenhauses endete am Freitagmittag äußerst versöhnlich: Die Ausschussmitglieder der fünf Fraktionen im Landesparlament – unter ihnen die „linke“ Grüne und Fraktionsvorsitzende Franziska Eichstädt-Bohlig sowie der Ausschussvorsitzende Thomas Flierl (die „Die Linke“), der bereits als Bildungssenator die „Die Linke“-Dialektik mustergültig vertrat, dazu die Vertreter von Mediaspree e. V., der Bauprojekte-Manager Jürgen Kilian und der „das Bezirksamt“ genannte grüne Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz – all diese waren sich einig: Mediaspree badarf einer mutigen Korrektur.

So ging der gnädige Bürgermeister mutig in die Vollen und formulierte auf Bitten und Betteln hin fünf „Wünsche“. Für jede Fraktion einen, könnte man meinen. Aber bleiben wir ernst, denn schließlich wird hier über die Lebensqualität ganzer Stadtbezirke gescherzt entschieden. Sein mutigster Wunsch: 10 Meter mehr Ufer. Die sollten drin sein. 10 Meter solle man der landeseigenen BEHALA GmbH am Kreuzberger Victoriaspeicher und vielleicht sogar auch am Osthafen abverhandeln abwünschen. Auch bei den anderen Grundstückseigentümern solle ähnlich gewunschen werden. Aber da hatte der wünschelnde Bürgermeister die Rechnung freilich ohne den Wirt gemacht: Feist bot Herr Kilian 25 Meter! Als Gegenleistung dafür verlange er lediglich schnellstmögliche Genehmigungen. Nutzer habe er bereits an Land gezogen. Büros und Wohnen. Es könne sofort losgehen. Kilian war in bester Wunschlaune: Bitte sprechen Sie mit dem Liegenschaftsfonds, damit ich das so machen kann. – Ja gern, tun wir. „Das ist ein für alle Seiten befriedigender Kompromiss“, meinte Kilian stolz.

Zurück zum Wünschebürgermeister. Der fasste sich ein Herz und diktierte ein paar weitere ins Protokoll von Herrn Flierl, nachdem er zuvor herzerwärmend spaßig vom „letzten Anarchisten von Kreuzberg“ – der mit dem Lenin vor der Tür – schwadroniert hatte. Herr Zapf nämlich müsse nun mal Farbe bekennen, ob er nicht was abzugeben bereit sei von seinem schönen Spreegrundstück. Das erscheint jetzt flapsig? Hab ich auch gedacht. Aber es geht noch besser: Für ein Grundstück an der Cuvrystraße, wo die „Neuen Spreespeicher“ samt Pocketpark entstehen sollten, möge das Land doch bitte neue Leitlinien aufstellen. Etwas weniger Verdichtung und mehr Abstand zum Ufer – bitte. Die Baugenehmigung laufe Anfang Dezember aus, dann aber müsse sie allerdings unweigerlich verlängert werden, wenn es keine neue Leitlinie gebe, welche vom Senat festzusetzen sei. Tue der Senat dies nun alsbald, stünden aber dennoch die Chancen für einen noch fristgerechten, bürokratischen Genehmigungsverfahrenhürdenlauf schlecht.

An dieser Stelle nun könnte sich der geneigte Mitdenkende fragen, warum denn bitteschön der „Wunsch“ dann so spät komme. Ja warum bloß!? Diese Frage weiß wohl nur Herr Dr. Schulz höchstselbst zu beantworten.

Ebenfalls im Wünsche-Repertoire vertreten ist ein Treffen mit Frau Ingeborg Junge-Reyer, ihres Zeichens Stadtentwicklungssenatorin…, sagt man, weiß man, bedauert man…, sowie Lippi (Herr Holger Lippmann), seines ehrenwerten Postens nach Großer Vorsitzender des Liegenschaftsfonds, welcher das Land Berlin seit Jahren mittels der Verramschung von über 5.000 Immobilien reich macht. Zumindest lässt sich aus den Erlösen und Erlösungen ein Bruchteil der jährlichen Schuldzinsen bezahlen. Diese illustre Dreierrunde also wird gemeinsam darüber nachdenken, ob das Grundstück, auf dem zur Zeit das Maria am Ufer steht, nicht irgendwie mit einem den Forderungen des Bürgerentscheides näherkommenden „Kompromiss“ belegt werden kann, mit dem dann „alle Seiten zufrieden sein können“, um hiermit den liebevollen Gedanken von Filzexperte und Sumpfpflanze Herrn Projektentwickler Kilian aufzugreifen, der hier als Nachbar schon mal grundstücksübergreifend (!) vorgearbeitet hat. Immerhin patent, der Herr, nicht wahr, wenn man ihn mal mit den Kollegenpflanzen aus der professionellen Politik vergleicht.

Unser Bezirksamt, Dr. Franz Schulz, hat noch mehr Wünsche, die seiner eigenen Meinung nach zwar unrealistisch, aber deshalb noch lange nicht verschweigenswert sind: Man möge doch bitte noch einmal mit den Eigentümern des Grundstücks, auf dem der East Side Tower entstehen solle, sprechen. Dieser Tower nämlich sei schließlich seinerzeit als städtebauliche Lokomotive gedacht gewesen, aber die Waggons seien ja mittlerweile nicht mehr in Planung. Vielmehr sei zu beiden Seiten dieser Lok, die von Stofanel projektiert wird, der East Side Park sowie der Spreepark entstanden. Das sind übrigens die niedlichen, betonierten Flächen links und rechts der riesigen Leuchtwerbetafel der O2 World.

Für diesen illustren Vormittag mit erstmaliger (!) Ortsbesichtigung – seitens der Stadtentwicklungs-Ausschussmitglieder – bedanken wir uns herzlichst! Und wenn sie nicht „versehentlich“ in die Spree geschubst wurden, so treiben sie auch heute noch ihr Unwesen. Das mag hart klingen, aber nichts ist härter als die Härte der Ignoranz: Sämtliche vorgebrachten Ideen, Anmerkungen, Einwürfe und Korrekturen – egal ob sie charmant und freundlich oder weniger freundlich (seitens meiner Person) – vorgebracht wurden, fanden lediglich eine einstellige Resonanz – und zwar: 0.

Das kann man sich und anderen nicht mehr schönreden? Doch, Mann kann.

Zum Ausschuss Abschluss noch ein Zombiepsychogramm (inspired by Klaus-Peter von Lüdeke aus Steglitz-Zehlendorf, Checkerbunny und „Beratendes Mitglied“ im Ausschuss Stadtentwicklung, Lebensmotto: „Nicht träumen, handeln.“):

Schuld hat der Bezirk, nein der Senat, nein der Bezirk, nein der Senat, nein Senat und Bezirk, nein der Bürger, der wählende Lurch, der! „Erst Bethanien besetzen und dann Mediaspree versenken?“ – Ja genau.

Gegen 10, 20 oder 30 Meter mehr Ufer! Auf zu  n e u e n  Ufern!

Ausschüsse abschießen, wenn sie Ausschuss produzieren!

MfG, Ihre und Eure Ostprinzessin

Sonderausschuss

www.sonderausschuss.de

Ostprinzessin spricht Klartext

Klartext als Text oder als Video

Der Sonderausschuss zum außerordentlich erfolgreichen sog. Bürgerentscheid Spreeufer für Alle (87 % der abstimmenden Bevölkerung) ist gestartet. Die Ostprinzessin sagte gegenüber Radio 08/15 FM: „Mein erster Tag als sog. Bürgerdeputierter ist gerade vorbei, und eines kann ich jetzt schon sagen: Beim Versenken müsst ihr und müssen Sie alle helfen, sonst wird’s nix.“

www.sonderausschuss.de

Sonderausschuss

Und das macht die RBB-Abendschau draus: Sonderausschuss zu Mediaspree (Videobeitrag)

Ungehorsam made in Berlin

Hält (sich) wacker seit einem Jahr in der Invalidenstraße in Mitte:

Ostprinzessin - Ungehorsam made in Berlin www.ostprinzessin.de - Ungehorsam made in Berlin

…………………………………………………………………………………………Danke!

Berliner Schnauze jewinnt

Ostprinzessin schippt am Osthafen

Bei einer feierlichen Begehung des Osthafens nahm die Ostprinzessin persönlich den Spaten in die Hand und half, ein Stück des Fundaments für einen dort entstehenden Neubau zuzuschaufeln. Zuvor hatte ein anderer Coverstar der Protestbewegung den Baustellen-Zaun ausgehebelt. Die herbeigeeilten Bauarbeiter verhielten sich freundlich.

Dem RBB-Fernsehmagazin Neue Heimat gegenüber sagte die Ostprinzessin: „Dieser Neubau hat hier nichts verloren. Wenn sogar 87 % der Wählenden unserer Kampagne Mediaspree Versenken zustimmen, sollte auch die Intendantin des biederen Hofberichterstattungskanals des Senats ins Grübeln geraten und die fehlgerichtete Politik endlich zum Thema machen. Der Osthafen darf nicht weiter privatisiert werden! Ein Angler hier am Kai rief uns vorhin ein Ick hab für euch jestimmt zu.“

Werden mit Inbrunst torpediert

Junge Welt von heute: Ostprinzessin im Interview

Hier das vollständige Originalinterview.

Am Sonntag findet der von der Initiative „Mediaspree versenken“ erzwungene Bürgerentscheid statt. Die Planungen für das Gebiet existieren aber seit mindestens zehn Jahren. Kommt der Widerstand nicht viel zu spät?

Er wird vor allem spät gehört. Der Entscheid ist ein Baustein im Widerstand gegen diese Potsdamer-Plätze-Stadt. Seit zwei Jahren sieht man, was anrollt. O2 World und Leuchtreklamen fördern Empörung und Wut. Die Leute schlagen radikalere Lösungen vor als wir sie bislang fordern. Die etablierte Politik will sowas nicht wahrhaben. Unsere Kampagne begann im Umfeld des Transgenialen CSD. Thematisiert wurden Privatisierung, Mietsteigerung, sinnleere Kommerzkultur und Vertreibung der Alternativkulturen.

Wie haben sich die politischen Parteien in Friedrichshain/Kreuzberg zur „Mediaspree versenken“-Kampagne verhalten?

Unabhängige Initiativen werden mit Inbrunst torpediert. Die Dialektik der LINKEN ist angesichts massiver sozialer Verwerfungen und Privatisierungen erneut preisverdächtig. Problembewusstsein und Informationsstand sind denkbar gering. Es habe „genug Bürgerbeteiligung“ gegeben. Nie wird die große Ablehnung erwähnt. Die SPD taktiert und empfiehlt, das zuzubilligen, was kein Geld kostet. Bis in die letzte Minute hinein wurde aber der Arm gehoben, um Pläne durchzuboxen. Die GRÜNEN bekennen Farbe: Stadtklima, Gesundheit und Ökologie sind egal, für Autolawinen gibt es neue Schneisen, die Verdrängung der Bevölkerung wird gar begrüßt. Es soll „ein neuer Stadtteil für neue Leute“ entstehen.

Sie müssen sich aber auch auseinandersetzen mit politischen Heckenschützen aus den eigenen Reihen. Prominente Landespolitikerinnen wie die grüne Heidi Kosche, selbst Mitglied bei der privatisierungskritischen Initiative Berliner Wassertisch, die sich bereits beim Verkauf der Landesbank samt Sparkasse weggeduckt hat, macht dieser Tage sogar aktiv Wahlkampf gegen Ihre Bürgerinitiative.

Auch im Berliner Bündnis gegen Privatisierung gab es schlechte Erfahrungen. Es war die Frage zu klären, ob sie Privatisierung nur beim Wasser-Thema ablehnt. Ihre Antwort bestand darin, dass sie nie aufgetaucht ist. Heidi Kosche gibt Rückendeckung für Senat und Bezirk. Während Ströbele sich schadlos zu halten versucht, hat sie Position gegen das Begehren der über 16.000 bezogen. Das Bezirksangebot ist eine Farce, ein Akt der Volksverdummung. Was nichts kostet, könnte man längst umsetzen, tut aber Gegenteiliges.

Franz Schulz, grüner Bezirksbürgermeister, begründet seine ablehnende Haltung mit drohenden Schadenersatzklagen. Seriös gerechnet oder künstliche Drohkulisse?

Die Kunst unseriösen Rechnens wird dort hervorragend beherrscht. Bei der Errechnung möglicher Entschädigungssummen hat man so getan, als müsse man alles, inklusive des Bestandes, entschädigen. Das ist absurd. Mit einem starken Votum gegen Mediaspree können Verhandlungslösungen erzielt werden. Es geht vornehmlich um 11 Grundstücke, ein Großteil in Landeshand, aber Wirtschaftssenator Harald Wolf und Senat mauern.

Wie geht es weiter nach dem Bürgerentscheid?

Energisch für Umsetzung und Vielfalt der Kampagne kämpfen! Veranstaltungen zu Aufwertungsstrategien und Wachstumsparadigma, lustige Aktionen und Demonstrationen gibt es weiterhin. Die O2-World-Eröffnung im September wird kreativ begleitet. Der Unmut verschärft sich drastisch, wenn wie geplant privatisiert und zugebaut wird. Und wenn ein LINKER Politiker uns sagt „Ja ja, Bürgerbegehren ist ja schön, aber bestimmen tun eh wir“, dann wird Widerstand zur Pflicht.

Entspannt? Transgenialer CSD 2008

Ist der Christopher Street Day Fest- oder Kampftag, oder beides gar?

Der Transgeniale CSD wurde in diesem Jahr nicht nur vorher besonders laut totgeschwiegen, sondern auch danach. Dennoch oder gerade deshalb waren 4 der 7einhalb Abriss Activists dort und 3 von ihnen haben ihre Bilder zusammengetragen.

Mittendrin zumindest wurde nicht geschwiegen. In Ansagen wie „Hier sind wieder eure Lieblingsschwulen und eure Lieblingslesben“ wurden die Anwohner immer wieder aufgeklärt. Natürlich wurde auch auf transidente Personen und andere aufmerksam gemacht. Etwas weniger als in den Vorjahren, aber immerhin ein paar Tausend folgten dem Motto „Des Wahnsinns fette Beute. Gegen Vertreibung, gegen Diskriminierung, gegen Kommerzscheiße.“ Die demonstrative Parade begann traditionsbewusst am Neuköllner Hermannplatz, parallel zum unbarmherzig kommerzialisierten, regierungstreuen CSD, der jedes Jahr mehrere hunderttausend Menschen anzieht und der diesmal unter dem Motto „Hass du was dagegen?“ erstmals im Osten der Stadt (Anm.: Für die Veranstalter aus dem Westen ist die Mitte der Osten und der Westen die Mitte) startete, nämlich Unter den Linden.

Der transgeniale, kleinere, politischere CSD, auch „alternativer CSD“ oder „Kreuzberger CSD“ genannt, lässt traditionell über den Tellerrand hinausschauen (und -musizieren) und thematisiert seit Jahren regelmäßig auch Verdrängung, steigende Mieten und Stadtumstrukturierung.

„Thematisiert werden sollen unter anderem homophobe, transphobe und sexistische Übergriffe in Neukölln und Xberg einerseits, andererseits Gentrification im Neuköllner Reuterkiez.“

Die Kampagne „Mediaspree Versenken“ hatte ihre Wurzeln hier, die Wiege des Initiativkreises steht bei den Queeren. So wurde denn auch Demo-Fetischist Hans-Christian Ströbele gemahnt, zum Thema Mediaspree eine klare Position zu finden. Bislang fallen er und Heidi Kosche, die grüne Wahlkreisabgeordnete im Abgeordnetenhaus, durch ihre ausweichende bzw. ablehnende Haltung gegenüber dem Bürgerbegehren Spreeufer für Alle auf.

Die Polizei hielt sich in diesem Jahr weit mehr im Hintergrund als im vorangegangenen, in dem sie Teilnehmende beleidigte, schikanierte und sogar Personen festnahm. Die Moderatorin Fatma Souad führte den Demonstrationszug souverän zum Zielort am Kreuzberger Heinrichplatz, wo dann noch lange gefeiert wurde. Regenbogenfahnen sind beim Transgenialen CSD nicht so beliebt, kommen aber auch vor; eigentlich haben sie einen ganz wunderbaren Hintergrund bzw. mehrere.

Im Interview beim australischen TV-Wissenschaftsmagazin APPLIED LOGIC zeigte sich die Ostprinzessin empört:

APPLIED LOGIC: Are you a man or a woman?
O.:
No!

Und nun sprechen die Bilder.

Transgenialer CSD 2008 - Gegen Vertreibung, gegen Diskriminierung, gegen KommerzscheiÃ�e Trangenialer Wagen Moderatorin Fatma Souad Interkulturell gegen Faschismus und sowieso Oriental Temple Ein Haus in Neukölln zeigt Flagge für Homos 18 Jahre und kurz vor dem ersten Mal Christian Ströbele ...nebst bekröntem Bezirksparlamentarier Dirk Behrendt. Zuschauerin Die Fahne des queeren Widerstands Are you a man or a woman? - No Mit Regenbogenfahne... Mit Zitat von Sinéad OÂ'Connor Wir fordern 42 Prozent mehr Liebe Ein Traktor vom Schwarzen Kanal Lesben-Typen Du bist nicht allein Charlottenburg ist auch homophob - Gegen queeren Rassismus Demonstrierende ...auf einem Wagen. ...in der OranienstraÃ�e. Noch mehr... Zusammen... ...gegen Repressionen. Alienz - eine Parodie auf das Mediaspree-Projekt der Allianz Auch McDonald's ist nicht beliebt... Kaey Tering Still not love police Keine Schnüffler auf dem TCSD! Cops to the hell Policing is no job - Radical Queer is no hobby Punk auf Polizist Bierbäuchig(e)r am Heinrichplatz...

Bild 1, 12-34: Westmonster; Bild 2-7, 35: Ostprinzessin; Bild 8-11: Die andere Person

Zur Erinnerung: Transgenialer CSD 2007; Transgenialer CSD 2006.

Bethanien: Haus der Bewegungen

Zur Nachahmung empfohlen: „Besetzen lohnt sich wieder!“

Man kann Jens nur beherzt zustimmen, wenn man die NewYorck im Bethanien tatsächlich kennt. Und natürlich darf und soll man wissen, was im Hause vor sich geht. Viele wissen es ja auch, denn das Haus ist gut besucht und immer wieder kommen neu Interessierte, aus der Nachbarschaft und von überall, aus der Welt.

Die Arbeit, die im besetzten Teil des Bethanien gemacht wird, ist in jeder Hinsicht unbezahlt und unbezahlbar, und sie ist sehr vehement dem Gemeinwohl – genauso wie den bunten Subkulturen – gewidmet. Die Besetzer hatten zwar schon von Anfang an Mietzahlungen angeboten, was der Bezirk aber stets ausschlug. ich aber hoffe dennoch, dass die Arbeit nun nicht unter der künftigen Miethöhe leiden muss. Es treffen sich dort täglich viele Menschen, u. a. im Zusammenhang mit Stadtumstrukturierungen und Privatisierungen, zum Thema Rassismus, zum Thema Widerstand vor Ort und zu weltweiten Kampagnen, gegen Armut und zu sozialen Fragen in Berlin. Das Veranstaltungsprogramm ist übervoll, the new old space of movements platzt aus allen Nähten.

Es wird Kunst gemacht, Musik, Film und jede Art von Politik. Außerdem ist das Haus eine Anlaufstelle für in Not geratene Menschen. Die Atmosphäre ist ausgesprochen offen und entspannt. Wohl auch deshalb ist der besetzte Teil des Bethanien ein Ort, den insbesondere auch viele queere Menschen aufsuchen.

Die Ostprinzessin äußerte sich gegenüber den NewYorckNews: „Die guten Seelen des Hauses haben mir mit ihrer Menschlichkeit und Leidenschaft schon so manches Mal Tränen des Glücks abverlangt. Ja, das Besetzen hat sich gelohnt. Nachahmungen sind selbstredend erwünscht und gut für uns alle. Auch für diejenigen Menschen, die aufgehetzt gegen diese hoffnungsvollen Entwicklungen polemisieren, ohne je in die Verlegenheit gekommen zu sein, dort persönliche Erfahrungen gemacht zu haben. Also kommt ihr und kommen Sie einfach mal auf einen Besuch vorbei und mischt euch und mischen Sie sich ein in die Politik!“

rbb-Abendschau:

„Hausbesetzungen haben in Kreuzberg eine lange Tradition. Beispielhaft dafür ist das Bethanienhaus. Bereits 1971 besetzten 50 Jugendliche den Südflügel, ehemals war darin das Schwesternwohnheim Martha-Maria-Haus untergebracht. Die Besetzer benannten es in Georg von Rauch-Haus um. Zwei Jahre nach der Besetzung richtete der Senat im Hauptgebäude das Künstlerhaus Bethanien ein. Bis heute arbeiten dort internationale Künstler in Ateliers; es gibt Galerieräume, eine Druckerwerkstatt und eine Musikschule. Diese erfolgreiche Besetzung fand zuletzt im Juni 2005 Nachahmer.

Die Bewohner des Hauses Yorckstr. 59 besetzten den Südflügel des Bethaniens und nennen ihn seitdem New Yorck 59. Letzten Mittwoch beschloss die Bezirksverordnetenversammlung auf Vorschlag des Bezirksbürgermeisters Franz Schulz, das Bethanienhaus von einer Treuhand verwalten zu lassen. Die Besetzer sollen legale Bewohner werden und Mietverträge erhalten. Vorgesehen ist ein Mietzins in Höhe von 5,60 Euro pro Quatratmeter.

Damit sind zwar nicht alle Konflikte aus der Welt geschafft; denn das Künstlerhaus und die Druckwerkstatt lehnen eine Zusammenarbeit mit den Besetzern ab. Sie wollen autonom bleiben und sich nicht von einer Künstlergenossenschaft in ihre Arbeit hineinreden lassen. Doch die Besetzer sehen im BVV-Beschluss dennoch einen Erfolg zu ihren Gunsten. ‚Besetzen lohnt sich wieder‘, sagt ein Bewohner der Abendschau und hofft auf Nachahmer.“

Und hier die Links:

Abendschau-Beitrag von Kemal Hür: Künstlerhaus Bethanien gerettet
Interview mit einem Besetzer, im AbendschauBlog