Enfants Terribles

Das Schlimmste ist, wenn aus Kindern nix wird!

Vier Freunde in den Trümmern der Kindheit: Auf der Suche nach dem, was war und was davon übrig bleibt, legen vier erwachsene Spieler das Anerzogene ab und bauen aus längst ausrangierten Materialien beinahe vergessene Kindheits-Logiken wieder auf. Fiktion und Realität verschmelzen zu einem Erinnerungs-Panorama im Kontrast zu den Wunschvorstellungen an unsere heutige Kinder-Generation.

enfants_terriblesDas Kind als Narzisst, als Champion, als Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom oder als kaufkräftiger Konsument: Viele Bilder von Kindern kursieren in unseren Köpfen. ENFANTS TERRIBLES geht der Konstruktion von Kindheit nach und untersucht die prägenden Momente: Wie sind wir zu dem geworden, was uns heute ausmacht? Unter Anleitung von Enid Blytons „Fünf Freunde“-Kosmos beschwören die Darsteller die Intensität der früheren Tage herauf. Damals, als das Leben noch ein Abenteuer war und vieles zum ersten Mal überstanden werden musste.

enfants-terriblesDie Frage nach der Vergänglichkeit, die Suche nach dem eigentlichen Ich tragen durch den Abend und werden immer wieder ans Publikum weiter gegeben. Auf einem Teppich aus Zwieback umkreisen die Kindheitsforscher_innen ihr Thema und wechseln dabei fließend die Altersstufen: Da ist das Verhalten des Kindes, das wir glauben, gewesen zu sein. Da ist die Metaebene von heute voller Konstrukte über die Zeit unserer Anfänge. Zwischen Abhängigkeit und Souveränität, Verletzung und Brachialität verschwimmen die Lebensphasen und entlarven den Mythos der glücklichen Unschuld und somit auch die Wunschvorstellungen an unsere heutige Kinder-Generation.

Im Theaterdisounter.

Beginnings

Viel versprochen, einiges gehalten: Beginnings im Theaterdiscounter.

beginningsGeorg Bütow entwickelt seine beglückend irritierende Trash-Ästhetik am Rande gesellschaftlich relevanter Themen lustvoll weiter und fragt: Sind tanzende Schlümpfe nicht ehrlicher als irgendeine Biographie? Herausgekommen ist ein fantastischer Reigen der besten Stückanfänge der Welt: BEGINNINGS – ein Theater-Massaker aus Tanz, Livemusik, Farbe, Öl und Text im Spannungsfeld aus Authentizität und Fiktion.

beginnings_georg-buetowBütow, der sich als Autor bis 2013 „in erster Linie als Gagschreiber in der Tradition von Die nackte Kanone 33 1/3 und Jerry Lewis“ verstand, schlägt mit diesem Abend experimentell persönliche Töne an: Für BEGINNINGS verknüpft er surreal anmutende Fundstücke aus der Populärkultur erstmals mit Erzählungen aus dem eigenen echten Leben. Er experimentiert – wie derzeit fast alle – mit (auto)biographischem Material, aber anders als andere. Er zerrt es ebenso unverhohlen wie Reality Formate im Fernsehen auf die Bühne, leuchtet es auf Effekt hin aus und findet berührende Momente der Absurdität an Stellen, die kein anderer dermaßen dreist und gleichermaßen liebevoll auf die Bühne gestellt hätte.

Homo Automaticus

Einzigartige Darbietung, angenehm verrückt. Für Sprachbegeisterte ein Fest. Im Theaterdiscounter.

„Jenseits des öden Diskursboulevards suche ich Abkürzungen des Denkens. Ich will nicht den Menschen auftreten sehen, zurückgesetzt auf die psychologische Norm, sondern einen Fremden, ein gefährliches Tier.“ Valère Novarina im Gespräch mit Frank Raddatz

homo-automaticusTexte von Valère Novarina sprengen alle Gattungsgrenzen, sie sind performativer Selbstversuch in einem exzessiven Akt, der den Ansatz des „automatischen Schreibens“ der Surrealisten ins Maßlose weiterführt. Novarina versteht Schreiben nicht als intellektuelle Tätigkeit, sondern als Körpertechnik gegen die Sprache, als zerstörerische Befreiung von der bedeutungszentrierten Norm.

homo_automaticusAdramelech ist in der christlichen Dämonologie der Garderobier Satans, Kanzler der höllischen Regionen und propagiert als Vorsitzender des hohen Rats der Teufel einen erneuten Krieg gegen den Himmel. In mehrstimmigen labyrinthischen Selbstdialogen durchpflügt Novarina den anarchischen Boden der Sprache, schleudert Wortschöpfungen zutage und hebelt Grammatiken aus: „Art Brut“ von größter Vitalität.

Der „Monolog des Adramelech“ ist der Anfang einer beispiellosen Erfolgsgeschichte im französischen und internationalen Theater. Nachgespielt von Mailand bis Los Angeles, öffnet sich diese performative Begegnung von Schauspieler und Sprache erstmals auch für deutschsprachige Ohren. Leopold von Verschuer ist in Personalunion Übersetzer, Regisseur und Schauspieler dieser kühnen Übertragung.

Small Town Boy

Überraschend humorvoll, hart und zart zugleich, zauberhaft und allzu real, kurzum: außerordentlich begeisternd; und weitaus überzeugender als das Diskursgeschwätz des Einführungstexts vermuten lässt. Danke, Falk Richter! Besonders erfreulich: Mehmet Ateşçi. Im Gorki.

„You leave in the morning with everything you own… Run away, turn away, run away, turn away, run away.“ So besangen Bronski Beat die Flucht eines Jungen aus einer engen Welt von versagter Anerkennung und Unterdrückung in die ferne große, freie Stadt: London, New York, Berlin… Diese Metropolen waren und sind der Ort, an dem sich Menschen neu finden und erfinden können, traditionelle Rollen und Bilder verweigern und in Fragestellen, ihre Zugehörigkeiten neu aushandeln, Partnerschaft und Familie neu definieren, all das ausprobieren, was ihnen die Familie Zuhause verweigert hat, zu leben. Kann man anders Mann sein? Anders Frau? Kann man aufhören Sohn oder Tochter zu sein? Kann man Herrschaft verweigern und anders lieben und leben? Die Liebe und wie sie gelebt werden soll, scheint weiterhin das diskursive Schlachtfeld der Stunde zu sein, auf dem viele gegenwärtige Konflikte um geschlechtliche, sexuelle und kulturelle Identitäten in unserem alltäglichen Leben ausgetragen werden. Was kann und soll ein „Mann“, eine „Frau“ heute sein? Wie definiert sich in Zukunft Familie, wie Nation und Zugehörigkeit? Falk Richter erkundet mit dem Ensemble des Gorki in diesem Rechercheprojekt die Frage, was passiert, wenn auch die jungen Männer aus dem Patriarchat aussteigen.
Mehmet Ateşçi, Niels Bormann, Lea Draeger, Aleksandar Radenković, Thomas Wodianka; Regie: Falk Richter, Bühne + Kostüme: Katrin Hoffmann, Musik: Matthias Grübel, Licht: Carsten Sander, Dramaturgie: Jens Hillje, Daniel Richter.

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Klub der einsamen Herzen

Was kommt dabei heraus, wenn man – als Hommage an bessere Zeiten – Problemanalyse und Problemlösung allein mit Beatles-Texten bestreitet? Ein Rückzugsort der Vereinzelten, der Gestrandeten und von Sehnsucht Getriebenen.

Der Klub der einsamen Herzen ist die neue Produktion von Theater Plan B und eine Selbsthilfegruppe der besonderen Art: Drei ältere Männer verstricken sich in einem schonungslosen Talking Cure, um in den Worten des Sgt. Pepper Bewältigungsstrategien für Einsamkeit und Frust „männlichen Alltags“ zu finden.

1967 erschien mit „Sgt. Pepper´s Lonely Hearts Club Band“ das achte Studioalbum der Beatles. Es gilt als eines der ersten Konzeptalben der Popmusik und hat unser Leben begleitet. Die zwölf Songs des Albums erzählen sehr unterschiedliche Geschichten, Miniaturen, mal kleine Alltagsbeschreibungen, mal skurrile und psychedelisch anmutende Stimmungsbilder, mal Kurzgeschichten mit komplexen Vorgängen und klar gezeichneten Figuren.

Im Klub der einsamen Herzen werden diese Songtexte real: Situationsbeschreibungen, Beichten, Wunschfantasien.

Lebensbewältigung auf Basis von Lyrics. Nicht gesungen und auf Deutsch. Mit Karl-Heinz Ahlers, Thomas Esser, Hartmut Fiegen, Regie: Chris Weinheimer.

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Im Theaterdiscounter.

Opernquark

Durchaus nteressanter Ansatz eines leider nicht überzeugenden Inhaltsspiels.

operalab-berlinWORDS – Ein musikalisches Sprachspiel. Das Opera Lab Berlin ist ein zeitgenössisches Berliner Opernensemble, das sich der Herstellung von gattungsübergreifendem Musiktheater verschrieben hat. Das Opera Lab Berlin verwirrt und zerlegt Stimme wie Sprache, baut sie um und erfindet sie in musikalischen Szenarien neu.

opera-lab-wordsNach dem Ensemble-Debüt an der Deutschen Oper in 2013 entwickeln sie jetzt am Theaterdiscounter das Sprachspiel WORDS. Dessen Rückgrat bilden Konzertstücke für Kammerensemble und Stimme von Billone, Cage, Chin, Pinnock, Varèse und Xenakis. Die in ausgewählten Kompositionen vertonten Texte verzichten auf Sinnvermittlung und Verständlichkeit – vielmehr vollziehen sie mittels Wort- und Lautakrobatik eine radikale Musikalisierung von Sprache. Damit sind sie wie geschaffen für den Einsatz im „Opernlabor“.

opera-lab-musik-textEingebettet in die Geschichte um den Phonetikprofessor Henry Higgins und das Blumenmädchen Eliza Doolittle, bekannt aus dem Musical „My fair Lady“, präsentiert Opera Lab Berlin mit WORDS eine eigene musiktheatrale Version der „Pygmalion“-Komödie von George Bernard Shaw um eine fatale Wette und ein spektakuläres Sprachexperiment.

Im Theaterdiscounter.

Wahrheit im Verhör

Mitten im ehemaligen Ost-Berlin wird sich die Performerin Linda Löbel – geboren und aufgewachsen in der DDR – für die Dauer von drei Tagen und Nächten in einem abgegrenzten Raum im Theaterdiscounter aufhalten. Ständig wiederholt sich dieselbe Situation: eine Vernehmung, zwei Personen in einem Raum – die Performerin und der bzw. die einzelne Zuschauer_in.

truth-and-dareTotalitäre Systeme sammeln private Informationen ihrer Bürger. Das Ziel: Völlige Transparenz. Oft geschieht das Preisgeben von Privatem heute aber zugleich in einem Akt völliger Freiwilligkeit. Das Private ist durch die Veröffentlichungsangebote der Informationsindustrie radikal transparent geworden. Die aktuelle NSA-Affäre hat die Brisanz beider Entwicklungen in den medialen Vordergrund gerückt.

truth-and-dare-performanceTRUTH AND DARE lädt Sie ein, aus der Rolle als Zuschauer herauszutreten und zum handelnden Akteur zu werden. Sie bestimmen das Thema der Vernehmung: Was sind die Fragen, die Sie in Anbetracht aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen tatsächlich beschäftigen? Sie haben dreißig Minuten Zeit, die Performerin zu deren privater Lebensrealität zu befragen. Ihre Notizen zu den Antworten, Ihre Beobachtungen, Ihre Einschätzung werden nach Beendigung des Gesprächs gesammelt – so wird Ihr persönlicher Blick auf die Performerin zum Teil einer totalen Beobachterperspektive. Den Abschluss der Performance bildet eine Lesung am letzten Tag: Linda Löbel wird nach dem dreitägigen Vernehmungsprozess die gesammelten Notizen verlesen. Performerin und Publikum werden gleichzeitig Zeugen einer kollektiven Wahrheit.

Eine Geschichtsschreibung unbekannter Biografien normaler Leute. Mit überraschenden An- und Einsichten, Abgründen und Auseinandersetzungen. Am Ende hielten dann nur die Nerven der seit Tagen in Verhöre involvierten Performerin Linda Löbel nicht. Die ertragreichen Aussagen aus den Verhören wurden teils unverständlich, teils unmotiviert vorgetragen, der unvorbereitete Zuschauer hatte Mühe, den Fragestellungen zu folgen und durch den biografischen Dschungel der Verhörten zu finden. Im Theaterdiscounter.

Aasgeier der Verfickung

mongoflipperDie Farce beginnt in Mongosprache. Was sich dann entspinnt, ist ein weitgehend ironisches und doch ernstzunehmendes Spiel im Spiel über einen sympathischen Behinderten namens Bernd, der den behinderten Pascal spielen soll und sich während der Proben als rachsüchtiger, rassistischer Nazi entpuppt, dennoch aber bis in den Schluss hinein Sympathieträger bleibt.

mongoflipper_mariakron„Aasgeier der Verfickung!“, empört sich Bernd, das behinderte Germanenkind, und tränkt seine Wut am Runenquell arischer Germanie. Die Sehnsucht nach Normalität geriert Größenwahn. Den anderen Darsteller-Darstellern wird’s allmählich zu bunt; einer in Naziuniform schmeißt entnervt die Brocken hin: „Ich fick dich kaputt und spritz dir ins Gesicht!“, wirft er dem Regisseur an den Kopf und geht.

Mongoflipper von MARIAKRON: Dank geglückter Zuspitzung und ebensolcher Besetzung mit Verena Unbehaun in der Rolle des „anders begabten“ Bernd alias Pascal ein in mancherlei Hinsicht starkes Stück. Mit Silvana Buchbauer, Mareile Metzner, Matthias Rheinheimer, Jörg Kleemann, Stephan Thiel. Text und Regie: Cornelius Schwalm. Zu sehen im Theaterdiscounter.

Love.abc

In der Reihe „Liebe im Discounter“: love.abc. Überzeugende Performance, vergnüglich und unberechenbar, charmant gemacht. Im Theaterdiscounter.

Die Berlin-Premiere von love.abz ist das Ergebnis eines dreijährigen Sprachexperiments zwischen Mensch und Maschine. love.abz ist witzige Komödie und intelligente Sprachphilosophie zugleich.

Seit 2010 lässt der finnische Bühnenautor und Regisseur Otso Huopaniemi sein Bühnenstück An ABZ of Love durch Google Translate übersetzen. Das Stück wurde in einer endlosen Kette von Finnisch zu Englisch zurück zu Finnisch, von Mensch zu Maschine und vice versa übersetzt und dabei überschrieben. Internationale Aufführungen fanden u.a. in New York und Helsinki statt.

Was als Experiment zu maschineller Übersetzung begann, hat sich zu einer fesselnden Performance entwickelt, die die Brüchigkeit von Sprache, Qualitäten von Verständigung und unser noch unabgeschlossenes Verhältnis zu Maschinen untersucht.

Für die Berlin-Premiere stehen drei Performer auf der Bühne, die als Nicht-Muttersprachler das Babellogue love.abz um eine Schraubendrehung weiter ins Deutsche übertragen. Mit Hilfe von Google Translate und Spracherkennungsprogrammen entsteht die Performance live in Anwesenheit des Publikums und hinterfragt dadurch die Autorität des Autors in besonderer Weise.

Zwischen den Sprachen und zwischen Mensch und Maschine verliert sich der intendierte Sinn. In den dadurch entstehenden Lücken findet Liebe in all ihrer Brüchigkeit und Unformiertheit Platz. Oder behält der 4. Autor, der Computer, das letzte Wort?

Von Otso Huopaniemi. Mit Josep Caballero García, Lee Meir, Ania Nowak.

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Save your Love

In der Reihe „Liebe im Discounter“: SAVE YOUR LOVE – Part I. Für Kopf und Herz, klug, bezaubernd, schrill. Im Theaterdiscounter.

Save your Love – Part I

/ Live-Dekonstruktion einer Paarbeziehung

Die Geschichte einer Liebe in Zeiten von Internet und Kapitalismus, zusammengepfercht auf 35 Berliner Wohnungsquadratmetern.

Ein Liebespaar versucht der Ökonomie der Gefühle zu entkommen. Leben zu zweit in einer Einzimmerwohnung: Der einzige Raum ist Esszimmer, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Kleiderschrank, Toilette, Bad und Küche in einem. Ohne jegliche Privatsphäre laufen die beiden Gefahr, zu standardisierten Wohnattrappen zu werden. Autobiografische Bezüge der Darsteller schleichen sich ein und die Performance gerät zur kollektiven Paartherapie. Gegenstände verlieren ihre Funktionalität und werden zu Skulpturen. Der poptraumatische Bühnenraum des Malers und Bildhauers Adar Aviam bricht auseinander.

Dabei schaltet sich immer wieder der Metadiskurs ein: In Save your Love – Part I speist der sich aus den Märchenbildern von Soap Operas und Hollywoodfilmen, ebenso wie aus Eva Illouz‘ Theorie des emotionalen Kapitalismus und Zygmunt Baumans post-panoptischen Schriften. Aus Pornos und Lifestyle-Magazinen, Gender Studies und der ironischen Abarbeitung an den eigenen Paarbeziehungen.

Positiv peinliche Momente des Wiedererkennens entstehen. Und am Ende ist nicht mehr unterscheidbar, ob Klischees Klischee oder Wirklichkeit sind. Reale Begegnungen von Menschen, die sich aus ihrer Ikeawohnlandschaftshöhle in die Online-Partnersuche über Matching-Punkte, öffentliche Selbstdarstellung und Algorithmisierung des Gefühlslebens stürzen.

Von und mit Ariel Nil Levy , Hila Golan und Niva Dloomy.

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