Zweifeln!

Hören Sie nicht auf mit dem Zweifel! Solange die Courage reicht, sollte man es sich leisten, gegen den Strom zu schwimmen.

Günter Gaus

Das Scheitern der Einen

Die Arbeitsgruppe „Veranstaltung zum Humboldt-Forum“ vom Bündnis für den Palast trifft sich heute in einer Kreuzberger Hinterhofwohnung.

Die konstruktive Atmosphäre wird überschattet von hasserfüllten Tönen. So stellt einer der schwulen Teilnehmer fest, dass öfter mal die Ziele und die Errungenschaften der linken Kräfte in der Politik im Nachhinein von den eher rechten Kräften wie selbstverständlich übernommen werden.

Dazu lassen sich vermutlich unzählige Beispiele in der Gesellschafts-, Familien-, Rechts- und Umweltpolitik finden. Ein anderer schwuler Teilnehmer rollt daraufhin hasserfüllt mit den Augen und wendet sich mit den Worten „Na das wüsst‘ ich aber“ von der Runde ab.

Ein schlechtes Omen…

Bündnis für den Palast

Was ist Kultur?

Kultur ist:
zu wagen,
Lesen zu wagen,
an eine eigene Ansicht zu glauben,
sich zu äußern wagen.

Peter Weiss

Frost gegen Gefühlskälte

Das Familientreffen im wohl wunderbarsten kleinen Saal der Stadt beginnt um 7. Um Viertel nach ist der Saal voll.

Familienvorstand Cora Frost zückt ihr Handtaschenmegaphon, Mikrophone gibt es keine. Es wird bald losgehen! Um ihren Tisch herum, in Frostsche Umarmung gekuschelt, sitzen vorwiegend 60 bis 90-jährige Männer, ihre etwas manische Cousine Chou Chou und ihr auf die schiefe Bahn geratener Vetter Gary Schmalzl. Frau Heinz, der älteste von ihnen, trägt zum weißen Rauschebart ein langes Paillettenkleid, das den Oberkörper nur teilweise zu bekleiden vermag. Später wird Frau Heinz ein kleines Gedicht zum Besten geben, Andere werden den Frühling herbeitanzen oder kleine, selbstgestrickte Lebensphilosophien verkünden.

Neben einigen ferneren Verwandten werden auch noch andere Menschen, Pflanzen und Sensationen auftreten, doch zuvor wird sich Cora Frost selbst als das zeigen, was sie in allererster Linie immer schon ist: Ein Wundertier.

Ihr erster Ton einer Hommage an Berlin – „Berlin liegt am Meer“ – fesselt uns fassungslos verzückt und beglückt weinend an den Stuhl, an unsere Stadt und an die Frostschen Lippen. Im späteren Verlauf des Abends dürfen diese tatsächlich geküsst werden: Einige Frauen und auch ein paar Männer nutzen die einmalige Chance, damit vielleicht direkt vom Wundertier-Zauber infiziert zu werden.

Ist sie eine kranke Besessene in superkurzem Hurenhochzeitskleid und Perücke? Ist die Punk-Chansonniere und Rocklady Cora Frost vielleicht die letzte Poetin, die echte Gefühle, echten Wahnsinn, musikalische Avantgarde und Performancegenie miteinander zu verknüpfen und die Grenzen des Gewohnten in all diesen Bereichen zu sprengen vermag? – Wer kann das wissen! Vielleicht die knapp 150 Familienangehörigen, deren Jubel an die Begeisterungsstürme Tausender erinnert? Cora Frost ist kein Geheimtipp, sie ist die Patronin der Unheimlichen und sie ist unheimlich menschlich für einen vom Fernsehturm gefallenen Engel.

„Die Liebe hat ja nur einen Anfang und kein Ende.“

Frost Cora Frost

Gefickter Festakt

Das Teatr Krétakör aus Budapest präsentiert im HAU 2 den ungarischen Moloton-Cocktail „Schwarzland“ unter Regie von Árpád Schilling. Vermutlich lässt sich das Dunkle in der Welt nur mit (schwarzem) Humor ertragen.

Handelt es sich um einen würdigen Festakt zum EU-Beitritt? – Ja, sogar der Ministerpräsident spricht zu uns! Handelt es sich um eine „billige Effekthascherei um jeden Preis“, bei der auf der Bühne wunderbar gesungen, aber auch geschrien, gerülpst und uriniert wird, Davidsterne verbrannt und Hakenkreuze dort angebracht werden, wo es die meisten Juden gibt, nämlich auf dem Friedhof? – Ja.

Ein derber Zustandsbericht. Peinlich und grandios!

Schluss: Ein Mann stellt sich vor das Publikum und deutet das Bühnenbild und den Inhalt des Stücks mit dem Hinweis, dass alles Fiktion sei und er nur eine Sprechpuppe, die solange spreche, wie ihr Text reiche, nämlich genau bis hier.

Blackland Blackland Krétakör Szí­nház Schwarzland - Árpád Schilling

Verschiedenheit und Recht und Freiheit

In Berlin laufen viele Filme gleichzeitig. Auf dem Weg von Kreuzberg nach Wilmersdorf: In der U-Bahn trällern zwei junge Blonde mit Dreadlocks ein Lied für Comandante Che Guevara. An die Fensterscheibe hinter uns hat ein Werbe-Witzbold im Auftrag einer Bankgesellschaft ein paar Denkblasen mit Waschmaschinen und Autos geklebt, die nun sowohl vom gegenüber liegenden Fenster reflektiert, als auch von den Gegenübersitzenden gesehen werden. Wir verlassen die U-Bahn an der Station Kurfürstenstraße, weil wir vom Zug aus nur den Anfang des Namens lesen und die Ansage überhören. Hier ist nicht der Kurfürstendamm. Oben sitzt ein älterer Herr in seinem teuren Benz, während ein hübsches, junges Mädchen an seine Scheibe klopft: „Hi, was möchtest Du denn?“ – …..! „Im Auto?!“ Sie lehnt ab.

In Wilmersdorf angekommen:

Das CSD-Forum im alten Offizierskasino der Aidshilfe-Zentrale entscheidet heute abschließend über das Motto der einstmals politischen Großdemonstration für die an sich selbstverständlichen Rechte von schwulen Männern und lesbischen Frauen und Allen dazwischen. Der Vorstand des CSD-Vereins hat „Einigkeit und Recht und Freiheit“ ausgerufen, was Vielen aber seltsam staatstragend und nach eng gefasstem Nationalgedöns klingt. Zur Wahl stehen nun „Einigkeit und Recht und Freiheit“, „Einigkeit und Recht und Freiheit?“, „Einigkeit – Recht – Freiheit“, „Wir haben die Freiheit und das Recht, verschieden und einig zu sein“, „Verschiedenheit und Recht und Freiheit“, „Freiheit und Recht und Einigkeit“, „Uneinig in Recht und Freiheit“ und „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, wobei „Verschiedenheit und (…)“ sowie „Die Würde des (…)“ bereits vor einem Monat von 15 Teilnehmern (Frauen gab’s keine) in einer Kampfabstimmung zu Gunsten der Verschiedenheit abgestimmt wurden.

Sie vermissen etwas? Kreativität und klare Forderungen? Also heute sitzen wir hier zu 40st (inklusive einer Hand voll Frauen) und beschließen in einer Kampfabstimmung dasselbe wie vor einem Monat. 11 der Anwesenden lehnen jeden Bezug auf die „Nationalhymne“ ab und stimmen wacker für die unantastbare Würde. Die Atmosphäre in der Runde ist von vornherein nicht nur angespannt, sondern schlecht, die Diskutanten mitunter muffelig, der Vereinsvorstand genauso wie der unsägliche Jan Feddersen von der taz und diverse andere Bewegungsschwestern. Die meisten sehen sich zum Verwechseln ähnlich, so dass wir sie auf der Straße nicht wiedererkennen könnten, auch sonst geht es anachronistisch zu: Die Vergangenheit hängt szenenmodentechnisch im Raum, fies wirkende Gspusis aus Österreich nicken alles echt Deutsche ab und konservativ karierte Hemden gehören zur üblichen Kleiderwahl. Die Jüngeren geben sich angepasst und einheitstuckig. Ein Älterer fordert, keine Bareback-Werber (Werber für ungeschützten Party-Sex unter Fremden) mehr bei der Parade zuzulassen. Wer das für selbstverständlich hält, wird eines Besseren belehrt.

Bei der Auswahl der Forderungen wurden transidente Menschen gleich ganz vergessen, obwohl gerade ihnen die größten Schwierigkeiten gemacht werden, auch die Forderung nach dem Adoptionsrecht sucht man vergebens. Dafür wird immer fleißig die rechtlich-finanzielle Gleichstellung gefordert.

Ein trauriger Verein! Hoffen wir also auf den Transgenialen!

Transgenialer CSD 2004 Transgenialer CSD 2004 Transgenialer CSD 2004

Du Opfer!

Karl-Marx-Straße, Neukölln: Zwei Jugendliche bewerfen zwei Kinder – an eine Mauer gedrängt – auf ein Meter Entfernung mit schmutzigem Schnee vom Straßenrand. DISTANZLOS. Vier Bullen durchkämmen das Foyer der Karli-Kinos im Einkaufszentrum. CRIME. Der Film beginnt exakt um 20.15 Uhr, als viele Zuschauer noch gar nicht da sind. KNALLHART.

Und nun beginnt erst die Fiktion: „Knallhart“ verzichtet auf große Schauspielerei, sondern schlägt gleich zu. Das ist echt und lässt die Hochwohlgeborenen erschaudern, doch manch einheimischer Zuschauer distanziert sich. Tunnelblick und Verzweiflung ohne Netz und doppelten Boden führen ins menschliche Aus, doch das versteht manch behüteter Zuschauer nur mit Phantasie. Nach dem Abspann wird das Licht grell aufgedreht.

Knallhartes Kino!

Knallhart

Willkommen!

In der Nacht tritt der Danziger in mein Leben. Der Danziger ist ein Pflasterstein.

Sozialpolitik ja oder nein?

Die Aktiven des Bündnis für den Palast treffen sich heute in einer Kreuzberger Hinterhofwohnung, wo nicht weniger als die Zukunft des Bündnisses zur Debatte steht.

Die etwa 15 sehr unterschiedlichen Menschen vertreten dabei sehr unterschiedliche Auffassungen. Fakt ist, dass das Palastbündnis nicht mehr öffentlich wahrgenommen wird. Im Inneren schwelt ein Konflikt zwischen denen, die eine Vernetzung von Initiativen vorantreiben und denen, die ein traditionell als links wahrgenommenes Vorhaben nicht akzeptieren wollen. „Ich will nicht den Bad Guy spielen!“ – !??

Dennoch entwickeln sich heute drei Arbeitsgruppen weiter: „Info-Container auf dem Schlossplatz“, „Veranstaltung zum Humboldt-Forum“ und „Vernetzung“. Außerdem gibt es noch das Vorhaben „Palais moderne“ um den Visionär Andreas Amman. Die AG „Spaß/Besetzung“ befindet sich im ausgedehnten Winterschlaf. Dazu wird beschlossen, die wöchentlichen Plenumssitzungen künftig nur noch zwei-wöchentlich zu veranstalten.

Sozialpolitik? – Ja und Nein.

Bündnis für den Palast