Queer Film Festival Oldenburg

Ganz besonders gefreut habe ich mich, dass es meiner Wenigkeit gelungen ist, gegen anfängliche Widerstände und gehörige Skepsis seitens einiger Organisatoren Dicke Mädchen von Axel Ranisch ins Festivalprogramm zu hieven, auch wenn dieses reichlich wunderbare Machwerk  im Programmheft fälschlich als „Antifilm“ bezeichnet wird und der Rezensent glaubte, zusätzlich dazu darauf verweisen zu müssen, dass darin keine „Sahneschnitten“ zu sehen seien – ach, Mann! C’est la vie.

Nachtrag, 30.12.2012: Der Rezensent stellt klar, dass er mit seinem Hinweis keinerlei Bedauern über das Fehlen von „Sahneschnitten“ zum Ausdruck bringen wollte. Weshalb er keinen der Darsteller für eine Sahneschnitte hält, bleibt jedoch weiterhin ungeklärt. .-)

Danke für dein sonderbares Hirn

„Ingrid Caven singt“ im Berliner Ensemble und das – so viel vorweg – klingt.

Im ersten Teil experimentierte die Schmidt dreimal sieben Gedichte lang mit Arnold Schönbergs Pierrot Lunaire Op. 21, was im nicht ganz ausverkauften Haus nur wenige bekennende Anhänger fand. Wer die darauffolgende Pause und Gisela Mays (88) hochtönende Imitation der Cavenschen Interpretation, die May vor der Türe zum Besten gab, überdauerte, wurde im zweiten Teil dann Zeuge eines kalkulierten Wechselspiels, in welchem sich Ingrid Caven nicht nur weiterhin allerbester Laune zeigte, sondern sogar in der gnädigen Güte, ihrem Publikum am ach so schönen Einheitsfeiertag doch noch einige ihm gefallen wollende Gesänge zu bescheren.

Große Teile des Auditoriums erinnerten sich daraufhin an die gutsinnende Aufgabe, Beifall zu spenden, unter ihnen eine begeisterte  Zazie de Paris, ein gespannter Sven Ratzke, eine naturgemäß niemals abgeneigte Miss Danger sowie die im Reich adretter Grazien mindestens weltberühmten Schönheitsexperten René Koch und Frank Wilde. Allein die ganz allein erschienene Gitte Hænning zeigte sich weniger ge- als entspannt und hielt derweil via iPhone Kontakt zur Außenwelt. Doch wir wissen: Nicht nur für die May gilt mehr denn je, was Gitte in „Ich will alles“ seit nun 30 Jahren proklamiert: „Ich will kein Zuschauer sein, ich möchte selber was tun.“

Indes als kaum weniger denn großartig zu bezeichnen: Die Gesamtperformance der Caven – Stimmenspiel, Ironie und der zunehmend süß-mädchenhafte Habitus der zarten 74-Jährigen, in musikalischer Begleitung des Pianoroutiniers Jay Gottlieb. Zwar hatte mancheiner bereits während des ersten Teils „einfach gehen“ wollen, fühlte sich „wirklich attackiert von dieser Art und Weise der Darbietung“ sowie der Tatsache, dass es sich beileibe nicht um solch eine hielt, „die man so einfach schluckt, genießt oder vergißt“, da sie daherkam „wie eine Messerattacke, verstörend und gewalttätig“ – gleichwohl sollten wir uns nicht schwer damit tun, einzusehen, dass der Künstlerin schlechterdings das Kunststück gelang, alles zu geben, ohne sich zu wiederholen.

Und deshalb, Ingrid Caven, danke für dein sonderbares Hirn!

Sonderbaren Denkens programmatischer Beleg

Sieben Jahre Lehre

Schatz im Herzen, begraben im Mensch –

wer gräbt, wird darin Liebe haben,

wer trägt, wird für ihr Leben schlagen,

erwagen, was er scheute, es entheben

aller Schwärze Hatz der grauen Meute.

Problematisch: Return of the Problem

„Immer diese Probleme… Return of the Problem ist eine Performance, die das Making-Of eines Films zeigt. Gleichzeitig ist sie das Making-Of eines Films über einen Film. Sozusagen Film im Film im Theater.

Alte und neue Mitstreiter des berühmt-berüchtigten norwegischen Kollektivs Baktruppen verwandeln dafür den Theaterdiscounter in ein Filmstudio.  Live on-stage werden die Zuschauer Zeuge von zwei zeitgleichen Dreharbeiten: Eine filmische Dokumentation begleitet die Entstehung von Szenen des experimentellen Low-Budget-Films The Problem. Immer weiter verschachteln sich verschiedene Ebenen von Fiktion und medialer Vermittlung – und das hat Konsequenzen für die Beziehungen zwischen den Protagonisten, den zwei Filmteams und aller Akteure mit dem Publikum. Denn letztlich sind wir alle ja Teil des Sets für The Problem, müssen uns mit ihm auseinandersetzen und es schließlich irgendwie zu Ende bringen.

Return of the Problem versucht im Theater den Bereich des Fiktiven wieder zu betreten ohne das Publikum auszublenden. Es geht darum eine interessante Situation zu erzeugen, in der das Publikum ganz selbstverständlich Teil ist – in diesem Fall als Statisten des realen Filmdrehs. Return Of The Problem handelt von der Fiktionalisierung des zeitgenössischen Lebens und wie das die Beziehungen verändert zwischen Menschen – hier repräsentiert von 7 Norwegern, die sich wie ein Filmteam zu verhalten versuchen und von einem Publikum, das sich wie ein Publikum verhält, oder wie Statisten.

Von und mit Trine Falch, Mona Solhaug, Bo Krister Wallström, Per Henrik Svalastog, Gisle Frøysland, Anders Eiebakke, Marit Anna Evanger, Christopher Hewitt und Joy Harder.“

Kurz: Eine anspruchsvolle Schauspielperformance im Theaterdiscounter, von interessanten Charakteren charmant umgesetzt – teilweise –, größtenteils jedoch enervierend. Schade.

Heute, ja, und dennoch gestrig

„NEW KIDS ON THE BLOCK“ im Neu West Berlin, Chausseestr. 36,
Frisch aus der Kunstschulküche: Malerei, Drucke und Installationen.

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Man nehme
eine abgeranzte Werkhalle kurz vorm Abbruch,
ganz doll sehnsüchtige Künstler bzw. „Künstler“,
das olle Konzept ’ner mächtig tollen Clubgalerie,
ein unheimlich kreatives cross art branding
für die Referenzensammler-Antigammler
und bereitwillig gelangweiltes Publikum –
fertig ist die Kunstlaube.

Im verwestlichten Osten nichts Neues also. Schade, könnte man meinen. Nun denn: Schade. Ob wohl die Verantwortliche dieses bezeichnenden Artefakts davon ahnte?

Man weiß es nicht.

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NEW KIDS ON THE BLOCK: Angel, Ali Altin, Emmanuelle Castellan, Malte Fröhlich, Wanda Growe, Hodori, Bernhard Holaschke, Malte Kebbel, Johannes Kithil, Christian Korda, Jan Pleitner, Kanta Kimura, Markus Liehr, Sebastian Lis, Susi Mehl, Mij. K. Do, Giuletta Ockenfuss, Johannes Orthmayr, Aldo Pantaloni, Sunny Pudert, Josefine Reisch, Marcus Scheunemann, Janes Schmallenberg, Max Siebenhaar, Beau Stanton, Genaro Strobel, Maximilian Thiel, Stefanie Walk, Jakob Wakner, Wide Scope Experimental.

Spielt, Kinder, auf der Deponie

Aus eigener Erfahrung kann ich ein Lied davon singen, dass von Parteien besetzte Parlamente in erster Linie der Aufgabe nachgehen, Interessen nach Parteienproporz zu verwalten, wahre Demokratie zu verhindern und demokratisches Engagement von Bürgern zu kanalisieren, um es auf diese Weise ins Meer zurückzuspülen, wo es dann niemandem mehr auffällt und somit keine merklichen Konsequenzen nach sich ziehen kann. Spielt, Kinder, auf der Deponie der Demokratie!

Die jüngst von ihrem Mandat für die BVV Mitte zurückgetretene Bezirksverordnete Katja Dathe spricht von „Demokratiesimulation“ und hat in ihrer Rücktrittserklärung „love it, change it or leave it“ eine ganze Reihe offenkundiger Zu- und Missstände angesprochen und dabei Wahrheiten ausgesprochen, zu deren Einsicht nur gelangen konnte, wer nie wirklich mit der Macht paktierte.

Seit Oktober vergangenen Jahres war Katja Dathe Bezirksverordnete für die Piraten und fragte sich seither täglich: „Was mache ich da? Wem nützt das? Ist das Demokratie, oder kann das weg? Wenngleich mir in Schulzeugnissen eine hohe Auffassungsgabe attestiert wurde, habe ich ein knappes Jahr gebraucht um beschreiben zu können, was diese Bezirksverordnetenversammlung in meinen Augen ist. Sie ist kein Parlament. Sie ist Verwaltungsorgan. Gut, das war vorher klar. Sie ist ein Bürokratiemonster. Sie bindet auf sehr perfide Art jede Form bürgerlichen Engagements. Niemand kommt an ihr vorbei. Jede noch so gute Idee muss, durch sie hindurch, wird in ihr zerrieben, zerredet und dem Parteienproporz geopfert. Sie gründet Ausschüsse und AG’s, sie verteilt krümelweise scheinbare Macht und Kleingeld an Beiräte, Bürgerwerkstätten, Quartiersräte und Kommissionen, wobei sie peinlich darauf achtet, dass keine Form der Bürgerbeteiligung zu einem belastbaren Ergebnis führen wird.“

Katja Dathe kommt daher zu dem Schluss, dass die Bezirksparlamente abgeschafft werden sollten. „Bitte, lasst uns diese vollkommen überflüssige und kontraproduktive Demokratiesimulation namens Bezirksverordnetenversammlung abschaffen. Ich behaupte nicht, dass alles gut wird, wenn die BVV weg ist. Aber schlimmer wird’s auf keinen Fall. Zumindest hätte Berlin 7,2 Millionen Euro übrig. Für direkte Bürgerbeteiligung.“ Dabei überblättert sie eine der unmittelbaren Gefahren der Abschaffung: Da der Senat seit vielen Jahren an einer Entmachtung der Bezirke arbeitet und bezirkliche Aufgaben systematisch unterfinanziert, die Bezirke unter anderem über das System sogenannter Kalkulatorischen Kosten zum Ausverkauf von Liegenschaften zwingt, und damit zum langfristigen Verlust von Gestaltungsmacht, außerdem demokratische Entwicklungen in den Bezirken aushebelt, indem er beispielsweise die Verfahren für Bebauungspläne an sich zieht oder an sich zu ziehen droht, wird eine Abschaffung der Bezirksparlamente den Senat ermutigen, für eine Machtkonzentration auf höherer Ebene zu sorgen. Erfahrungen zeigen: Je höher die Ebene, desto schwerer ist sie für den Bürger erreichbar, desto abgehobener agiert sie, desto willkürlicher und unantastbarer ist ihre Herrschaft.

Dathe schlägt vor: „Lasst uns ein Bezirks-Bürger-Liquid-Democracy-System einrichten. Jeder Wahlberechtigte erhält eine Stimme. Die Akkreditierung organisiert das Einwohnermeldeamt. Lasst uns bezahlte Service-Teams für Schulungen & Antragssupport einrichten. Lasst uns nicht stimmberechtigte Accounts für die Verwaltung einrichten, so dass die  Mitarbeiter & Verantwortlichen Anregungen bezüglich Rechtsvorschriften, Verfahren und Formalfoo direkt in den Antragsprozess einbringen können. Lasst uns meinetwegen alle 5 Jahre 55 bezahlte Pro-Accounts wählen deren Inhaber ein Krönchen im Avatar tragen dürfen.“

Ich schlage vor, in einem ersten Schritt die Parteiendemokratur abzuschaffen, Macht und Befugnisse von Parteien einzuschränken und stattdessen zu einer direkten Wahl freier Abgeordneter zu gelangen. Ob es sich lohnt und für wen –, vom Ideal einer aufgeklärten Bürgergesellschaft zu träumen, weiß ich nicht, unzweifelhaft hingegen ist: Macht zu teilen, liegt den Mächtigen nicht – ob es den anderen läge, ist ungewiss. Bürger, sag, demokratisierst du schon, oder simulierst du noch?

Ostprinzessin