Unser Begehren: Spreeufer für Alle!

Offizielle Einreichung

Heute wurde beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg das Bürgerbegehren „Spreeufer für alle!“ gegen die Mediaspree-Planungen eingereicht. Ziele des Begehrens bezüglich der Bauprojekte von Mediaspree sind u. a.

– 50 Meter Mindestabstand zum Spreeufer für sämtliche Neubauten.
– Einhaltung einer Traufhöhe von 22 Metern.
– Keine neue Autobrücke über die Spree im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.

Aus der Begründung:

„Der Mindestabstand von 50 Metern zum Spreeufer gewährleistet, dass das Spreeufer als Grün- und Kulturfläche mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten für Berliner/innen und Besucher/innen erhalten bleibt. Die Mediaspree-Planung sieht Baublocks bis nah an die Uferkante vor. Für die Öffentlichkeit verbleiben soll nur ein ‚Uferwanderweg‘ von wenigen Metern Breite.

In der Hochhausplanung (teilweise über 100 m Höhe) sehen wir eine künstliche Initiierung einer ‚Boomtown‘, die nicht in den Bezirk passt und auch aus umwelt- und sozialpolitischen Gründen abzulehnen ist. Dabei spielen die Probleme mit Verschattung, Verkehr, Stadtklima und Wasserhaltung eine große Rolle. Die Tiefgründungen behindern den Grundwasserabfluss und führen durch steigende Pegel in den Kiezen zu großen Risiken, was gutachterlich bestätigt wurde.

Die geplante Straßenbrücke würde den möglichen Park auf der Friedrichshainer Uferseite zerteilen und zu wesentlich mehr Autoverkehr einladen. Die geplante Brommybrücke ist ein reines Prestigeobjekt der beteiligten Investoren. Denn Autos sollen in Zukunft direkt auf die O2 World Arena zusteuern können. Wenn überhaupt eine Brücke gebaut werden soll, treten wir für einen Fußgänger/Radfahrersteg ein.

Ein erfolgreiches Bürgerbegehren würde bedeuten, dass Investoren/Eigentümer ihre Ansprüche zurückschrauben und einen Werteverlust ihrer Grundstücke hinnehmen müssten. Die geschätzte Entschädigungssumme beläuft sich auf rund 165 Millionen Euro. Damit haben wir nach unseren Informationen das teuerste Bürgerbegehren der Geschichte gestartet!

Wir sehen die Umsetzung unserer Forderungen als durchaus realistisch ein, da es sich bei den Eigentümern vieler Spreegrundstücke um landeseigene Betriebe (BEHALA, BSR) handelt. Andere Eigentümer könnten mit Ersatzgrundstücken abgefunden bzw. durch hohen öffentlichen Druck zum Verzicht bewogen werden. Gegebenenfalls sollten Enteignungsverfahren eingeleitet werden.

Bereits während der Vorbereitungszeit stellten wir fest, dass unser Anliegen auf große Zustimmung stößt. Viele Menschen sind empört über die rein profitorientierten Planungen und den Ausverkauf öffentlicher Liegenschaften. Mit unserer Kampagne wollen wir den Bürger/innen des Bezirks und dem Bezirksamt helfen, sich gegen die Begehrlichkeiten der Entwickler nach teuren Neubauflächen mit privatisiertem Spreeblick zu wehren.

Heute beginnt die vierwöchige Frist, nach der mit dem Sammeln der Unterschriften begonnen werden kann.

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen,

Initiativkreis Mediaspree Versenken!, AG Spreeufer“

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Bezirksbürgermeister Franz Schulz gab sich nicht die Ehre, das Begehren gegenzuzeichnen. Dafür aber war die Presseresonanz relativ hoch. Vor Ort waren neben Betroffenen aus dem Bezirk und den Aktivisten des Initiativkreises sowie mehreren freien Dokumentarfilm-Projekten u. a. auch Tagesspiegel, ND, Motor FM und die rbb Abendschau. Taz, Berliner Zeitung und Berliner Morgenpost berichten ebenfalls davon. Übrigens auch anwesend: Christian Meyer von Mediaspree e. V.!

BürgerInnenbegehren Spreeufer für alle! Vor dem Bezirksamt

Das Begehren liegt nun auf dem Tisch des Bezirksamts.

Mühsam nährt sich das Eichhörnchen

unverkäuflich

Seit Juni sammeln Eichhörnchen stadtweit Unterschriften für 3 Volksbegehren gegen Privatisierung: „Unser Wasser. Unsere Sparkasse. Unsere Unis.“ Die Abrissberlinernden sammeln alle fleißig mit und hoffen dabei auch auf Eure und Ihre Stimmen.

Unterschriftsbögen kann man sich dort downloaden oder unter www.unverkaeuflich.org, wo es auch alle Infos rund um die Volksbegehren und das Berliner Bündnis gegen Privatisierung gibt. Natürlich kann man sich auch gern Unterschriftsbögen und Infomaterial direkt und persönlich bei den Abrissberlinernden besorgen und unterschriebene Bögen abgeben. Die freuen sich! kulturinventur, Buchstraße 1, 13353 Berlin

Wer will, kann sie auch an die Exil-Adresse der Ostprinzessin senden:

Ostprinzessin
Senefelderstraße 10
10437 Berlin

Markthalle Eisenbahnstraße Kaiserin des Westens und Rolf

Sammelstand in Kreuzberg: KdW mit einem Kollegen der IZB

Andrej H. dankt für „Zeichen von draußen“

Sein Dankschreiben:

Liebe Kolleg/innen, Freund/innen, Mitstreiter/innen und Unterstützer/innen,

ich habe gestern erfahren, dass der zuständige Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe frühestens Anfang Oktober über die Beschwerde gegen meine Haftverschonung entscheiden wird, weil nach Aussage des Vorsitzenden Richters des 3. Strafsenats möglicherweise rechtliche Grundsatzfragen bzgl. des dringenden Tatverdachtes und zur Anwendung des §129a StGB in dem Verfahren entschieden werden sollen, die einen längeren Beratungsbedarf voraussetzen.

Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich auf diesem Wege bei den vielen Unterstützungs- und Solidaritätskreisen zu bedanken, die sich in den letzten Wochen so großartig für meine Freilassung und die Einstellung des 129a-Verfahrens eingesetzt haben.

Bereits wenige Tage nach meiner Verhaftung habe ich über meine Anwältin von den verschiedenen Initiativen erfahren. All die kleinen und größeren Aktivitäten, die in Gang gesetzt wurden, haben mir Kraft gegeben, die Situation der Einzelhaft zu ertragen. Jedes Zeichen von „draußen“, jede kleine Zeitungsnotiz über eine Solidaritätsaktion, jede neue Unterschrift unter den unzähligen Protesterklärungen und jeder Brief, der mich in meiner Zelle erreichte, haben mir gezeigt, dass ich mit meiner Ohnmacht gegenüber den Ermittlungsbehörden nicht allein gelassen werde.

Die Unterstützung von Wissenschaftler/innen, Aktivist/innen, von Gewerkschaften und Sozialen Bewegungen, von Freund/innen, von politischen Stiftungen und Parteien waren von Beginn an so breit und umfassend, dass mit jedem Tag die Hoffnung auf eine schnelle Einstellung der Verfahren gewachsen ist – auch wenn ich natürlich weiß, dass letztlich die Richter/innen in Karlsruhe darüber zu befinden haben.

Mit meiner zunächst fortgesetzten Haftverschonung ist für mich und meine Familie ein wichtiger Teilerfolg erreicht. Bis zur endgültige Einstellung der Verfahren und der Freilassung der anderen Inhaftierten jedoch liegt noch ein weiter Weg vor uns. Ich hoffe dabei auch weiter auf eure Unterstützung.

Andrej Holm

„Hier erlebt Berlin“ verfehlte Stadtplanung

Was wir doch alles erleben müssen! Berlin erlebt immer wieder die gleichen Skandale in der Stadtplanung. Was z. B. ist der Mehrzweck der neuen Mehrzweckhalle der „O2 World“?

Sinnentleerte Eventkultur? Städtebauliche Katastrophen? Gentrification?
Fördergelder an Milliardär Anschutz – für prekäre Arbeitsplätze?
Konkurrenz für die anderen von Berlin teuer bezahlten Mehrzweckhallen?
Das alternative image von Kreuzberg und Friedrichshain neutralisieren?

„Zuschauerränge und Veranstaltungsfläche sind längst erkennbar. Europas modernste Mehrzweckhalle wächst in atemberaubendem Tempo. Am 20. September 2007 lädt die Anschutz Entertainment Group zum Richtfest der neuen O2 World ein.“

Abfall: O2 World Foto: Peter von der Eisfabrik

„Wie konnte soetwas überhaupt jemals genehmigt werden?“, haben wir uns nun lange genug gefragt. Der bezaubernde Initiativkreis Mediaspree Versenken reicht in der nächsten Woche ein Bürgerbegehren ein: Spreeufer für Alle!

Das hat Berlin noch nicht erlebt.

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Und das auch nicht: Kreuzberg Info – direkt von der Kreuzberger Basis.

Herzlich Willkommen sagt die Ostprinzessin!

Verrevoluzzt

Heute: Abschaffung aller Gefängnisse

Revoluzzer-Thesen werden viel zu selten einer inhaltlichen Auseinandersetzung unterworfen. Auch ist festzustellen, dass es schwierig ist, ein Thema aufzugreifen, das für die es aufgreifenden bedeutet, sich – jenseits der Solidarität – zwischen alle Stühle zu setzen.

Das Thema jedoch ist schon deshalb wichtig, weil eine Revoluzzer-These nun mal leider keine gute revolutionäre These ist und schon gar nicht eine solche, die einer realen Konzeption standhält. Ein Beispiel dafür ist die Forderung nach einer Abschaffung aller Gefängnisse. Natürlich muss es Ziel sein, alle verurteilten Gefangenen zu resozialisieren und ihre Gesamtverfassung durch einen Gefängnisaufenthalt nicht zu verschlechtern. Könnten aber denn genügend Leute die Zeit und andere notwendige Ressourcen dafür haben, wirklich jeden Menschen, der im Gefängnis landet, in für ihn erfolgversprechender Form zu resozialisieren? Das ist wohl unwahrscheinlich. Dennoch werden allzu häufig entsprechende Revoluzzer-Thesen zur Welt gebracht, die eher einer gewissen Hilflosigkeit entspringen und nicht mit einer guten Konzeption verwechselt werden sollten.

Alternative zu „Menschen, die im Gefängnis landen“: Keine entsprechende Verurteilung bei Gericht. Aber: Gefängnisstrafe soll abschrecken, ein übles Verbrechen zu realisieren, also davon abschrecken, sich außerhalb der menschenwürdigen Norm zu bewegen. Wenn nun also jeder in Not geratene Mensch nur einen entsprechend kriminellen Weg einschlagen müsste, um eine geeignete Resozialisierung zu erfahren bzw. genau diese Resozialisierung – und nicht die Strafe – im Vordergrund stünde, bedeutete dies geradezu eine Einladung zur Kriminalität, was insbesondere im Hinblick auf Verbrechen an der Menschlichkeit zu Verwerfungen ungekannten Ausmaßes führen würde.

Es ist also zu differenzieren: Die meisten Gefängnisinsassen haben im Knast eigentlich nichts verloren und werden dort vermutlich fortschreitend geschädigt, aber für einige üble Zeitgenossen erscheint das Gefängnis doch als unausweichlicher Zwischenstopp oder Endpunkt ihres Lebens, denn nicht jedes Verbrechen hat vorwiegend gesellschaftliche oder gar Kapitalismus-systemische Ursachen, nicht jede Tat kann moralisch relativiert und einer schmerzenden Bestrafung entzogen werden. Fazit: Die Hürden, ein schlimmes Verbrechen zu begehen, dürfen nicht niedriger ausfallen als bisher, die Taten selbst sollten aber weitaus stärker moralisch differenziert werden. Allein letzteres würde bereits dazu führen, etliche Gefängnisse auflösen zu können und verurteilte Straftäter in einer resozialisierenden Form, Art und Weise zu bestrafen.

Denn dass die Gefängnisse abstrus übervoll sind, ist bekannt und nicht hinnehmbar. Verallgemeinerungen und vorschnelle Idealisierungen à la „Alle Gefängnisse abschaffen“ erscheinen aber genauso wenig hinnehmbar. Nicht jeder Mensch lässt sich – beim besten Willen und Versuch – zuallererst zum Opfer einer übergelagerten Ursache erklären, sondern er muss auch in seiner Eigenschaft als Täter betrachtet und beurteilt werden. Ansonsten nämlich ist keine verbindliche Aussage mehr darüber möglich, welches Verbrechen überhaupt unter einer noch als Strafe erkennbaren solchen steht. Dass eine empfindliche Strafe – dann nämlich, wenn keine Gefährdung von Menschen anzunehmen ist – nicht in einen Freiheitsentzug münden soll, bleibt eine Forderung, die allen Beteiligten gerecht würde und ein gutes Stück weit von der Überstrapazierung des allzu beliebten Mittels der Bestrafung – Strafe muss sein – wegführen würde.

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Davon unabhängig: Der Bericht von der Kundgebung am Moabiter Gefängnis, bei ABRISSBERLIN: Im Zeichen des 129 a

Andrej H. ist vorerst frei, und die anderen?

Wie soeben über seine Anwältin bekannt wurde, ist Andrej H. im Zuge einer Haftverschonung um 13.30 Uhr gegen Kaution aus dem Gefängnis entlassen worden. Die Bundesanwaltschaft hat dagegen bereits Beschwerde eingelegt, über welche heute oder morgen entschieden wird.

Die Linien bröckeln also. Werden bald auch Florian L., Oliver R. und Axel H. freikommen?

„Der Haftbefehl wurde nicht aufgehoben, sondern der Ermittlungsrichter am BGH hat meinen Mandanten nach Zahlung einer Kaution und unter Auferlegung verschiedener Auflagen von der Untersuchungshaft verschont. Dies bedeutet, dass nach Ansicht des Ermittlungsrichters der Fluchtgefahr mit weniger einschneidenden Mitteln als der Untersuchungshaft begegnet werden kann.“

Heute um 18 Uhr vor der JVA Moabit für die Einstellung der Verfahren nach § 129a demonstrieren!

Wie geht es eigentlich den 4 „Terroristen“?

Rechtsstaat adé – aber gab es dich je?

„Den Umständen entsprechend gut“ gehe es Andrej Holm, so seine Anwältin. Ansonsten, so scheint es, lässt sich die Frage nur schwer beantworten, denn Andrej kann aus einer 3 mal 3 Meter großen Luxusherberge in Moabit heraus keinen Kontakt zur Außenwelt aufnehmen – und umgekehrt. Allein die Anwältin kann – äußerst eingeschränkt – mit ihm kommunizieren. Und was sie am Dienstag im New Yorck von Andrej und den drei weiteren Gefangenen zu berichten wusste, das wirft ein hässliches Licht auf das, was wir „Rechtsstaat“ nennen sollen:

Wenn Andrej Liegestütze machen will, um sich die Zeit zu vertreiben oder um sich einfach etwas zu bewegen, dann muss er alle Möbelstücke seiner Zelle umstellen, um genug Platz zu gewinnen. 23 Stunden am Tag bringt er auf engstem Raum alleine zu, 1 Stunde lang darf er in Begleitung im Hof umherlaufen. Einen Sozialwissenschaftler haben wohl auch die wenigsten Gefängnisaufseher je in einer Zelle gesehen. Einer der Wachtmeister fängt an, sich zu interessieren und befragt ihn nun immer mal zu den Tätigkeiten so eines Sozialwissenschaftlers. Eine Wachtmeisterin hingegen macht Stress: Da Andrej seit vielen Tagen unentwegt schreibt, ist sein Kugelschreiber verbraucht. Daher bittet er also die Wachtmeisterin, bei Gelegenheit einen neuen Stift mitzubringen. Sie aber entgegenet: „Stellen Sie einen Antrag!“ Das Problem dabei ist, dass auf diese Weise mit einem neuen Stift erst in Wochen zu rechnen ist.

Auch bei der Darreichung der Getränke gab es Schikanen: Da Andrej die Regeln zur Entgegennahme nicht bekannt waren, hatte er zunächst auf Tee zu verzichten. Da die Gefängnis-Bibliothek leider nur Werke bis 1965 bietet, hat er nun Bücher bestellt. Diese müssen eingeschweißt sein und direkt vom Verlag versandt werden. Die Anwältin zeigt sich überrascht darüber, dass Andrej statt unterhaltsamer Bücher eine schwere Kost bevorzugt und offenbar auch unter den widrigsten Bedingungen noch weiter zu arbeiten versucht. Bislang allerdings ist noch nicht einmal die „Verteidigerpost“ angekommen. Die Mühlen mahlen langsam, alles wird strengstens kontrolliert. Bei den Besprechungen – durch eine Glastrennscheibe hindurch – sitzen neben der Anwältin stets zwei BKA-Beamte, die jedes Wort mitschreiben. Neben Andrej steht permanent ein Wachtmeister. Die Lebensgefährtin wurde gar aufgefordert, lauter zu sprechen und konspirative Gespräche zu unterlassen; sie wisse schon, was damit gemeint sei. Die Mutter dreier Kinder wird Mühe gehabt haben, keinen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Ähnlich wohl wird es ihrem einsitzenden Lebensgefährten gegangen sein, bevor er dann am vergangenen Freitag zum ersten und bislang einzigen Male duschen durfte. Das sog. Haftkonto indes hat sich ein wenig gefüllt, nun können auch Radio- und TV-Benutzung bezahlt werden. Der einzige menschliche Kontakt im Gefängnis besteht offenbar zu einem Drogendealer, der bereits seit Jahren dort schmort.

Wenn Andrej am nächsten Freitag zum Haftprüfungstermin mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe geflogen wird, dann kann er sich gegenüber so manchem Mitgefangenen noch glücklich schätzen. Seine ansonsten schikanöse Sonderbehandlung als „Terrorist“ hat den Vorzug, dass er nicht auf dem sonst üblichen Weg transportiert und verlegt wird. Das sog. „Kaschuben“ bedeutet, dass die Gefangenen von einem Bundesland ins nächste verlegt werden, bis sie am Ziel angekommen sind. Auf diese Weise machen sie auf ihrer bis zu zweieinhalb Wochen langen Odyssee die Bekanntschaft unzähliger Gefängnisse, samt Personal und Häftlingen.

Die im gleichen Zusammenhang vor zweieinhalb Wochen Festgenommenen – Florian L., Oliver R. und Axel H. – haben bereits bei der ersten Überstellung nach Karlsruhe etwas Denkwürdiges durchlebt: Nach ihrer Verhaftung waren sie entkleidet und in Overalls gesteckt worden, die aus einem Papierstoff bestehen. Diese hatten sie tagelang zu tragen. Als sie dann in zerrissener „Kleidung“ dem Haftrichter vorgeführt wurden, konnte man sämtliche Körperteile sehen. Die AnwältInnen protestierten scharf. Der Richter zeigte ein Entgegenkommen und ließ Kleidung bringen.

Wie aus den 35 großen Leitz-Ordnern hervorgeht, die das BKA zum Fall angelegt hat, geht aus den dort gesammelten Materialien offenbar gerade genau gar nichts hervor, das für eine Anklageschrift auch nur annähernd reichen könnte. Die zunächst befasste Richterin äußerte auf Nachfrage einen der vielen wissenschaftlichen Verdachtsmomente – und zwar sei das Wort „Gentrification“, welches die Richterin dabei offensichtlich zum ersten Mal in ihrem Leben aussprach, ein wichtiges Indiz gegen Andrej, weil es auch in den Schreiben der sog. mg (militante gruppe) zu finden sei: „Aha, das ist ja doch auffällig“, soll sie geäußert haben. Am Freitag nun wird das Gericht den Weg weisen; kommt Andrej dann nicht frei, wird er noch sehr lang im Gefängnis zubringen müssen – weiterhin unter den Sonderbedingungen für Terroristen – da mit einem Auftakt erst in 6 oder 7 Monaten und mit dem Prozessbeginn erst in einem Jahr zu rechnen wäre.

Viele der Studis, KollegInnen und MitarbeiterInnen, die sich im New Yorck des Bethanien zu diesem zweiten Treffen versammelt haben und den Worten der Anwältin lauschen, mögen lange angenommen haben, dass die Vorwürfe gegen Andrej von der Bekanntschaft zu den drei Verhafteten abhängen, die bei dem Versuch, unter Bundeswehr-Fahrzeugen Feuer zu legen, aufgegriffen worden sein sollen. HU-Kollege Professor Häußermann offenbahrt dazu seine Gedanken: Er habe bislang eher angenommen, dass Andrej sich von den Anderen habe „infizieren“ lassen. Hier spricht die „geistige Elite“. Rette sich, wer kann! Doch die Anwältin gibt zu bedenken: „Der mg-Vorwurf hängt nur an Andrej.“ Er und drei weitere Wissenschaftler, unter ihnen Matthias B., seien – aus Sicht des BKA – die militante Gruppe. Die mutmaßlichen Brandstifter hingegen seien lediglich im Verdacht, als Handlanger dieser angeblich terroristischen Vereinigung zu fungieren. Ihnen wird vorgeworfen, Andrej zu kennen. Und zwar soll dieser sich Anfang des Jahres zweimal konspirativ mit Forian L. getroffen haben. Ein Abhörversuch des BKA misslang, daher ist vollkommen unbekannt, über was gesprochen wurde. Aber: „Ein Terrorist trifft sich mit einem Brandstifter – dann muss es sich um eine terroristische Vereinigung handeln.“, so die Anwältin lakonisch. Über die Bekanntschaft zu Andrej gerieten die Drei (Anm.: zumindest Florian L.) ebenfalls in den Fokus der Ermittlungen und wurden observiert, bis sie dann bei der versuchten Brandstiftung verhaftet wurden. Die verdächtigen Wissenschaftler blieben bislang auf freiem Fuß, weil trotz Hausdurchsuchung keine Hinweise gegen sie gefunden wurden, während Andrej offenbar lediglich das Pech hatte, dass das BKA das Glück hatte, besagten Florian L. auf frischer Tat zu schnappen.

Sehr gut möglich ist auch, dass neben dem offensichtlich nicht beschuldbaren Andrej H. auch Florian L., Oliver R. und Axel H. nicht zu der vom BKA seit Langem vergeblich gesuchten – und möglicherweise sogar vom BKA herbeikonstruierten – militanten Gruppe (mg) gehören. Viel wahrscheinlicher hingegen ist, dass die Gruppen, die Bekennerschreiben verfasst haben, schlichtweg bei Andrej abgeschrieben haben. Aber auch hierzu gibt es offenbar nicht einmal konkrete Bezüge, die über die Verwendung von Begriffen wie Gentrification hinausgehen.

Die Bundesanwaltschaft steht nun also kurz vor einer der größten Blamagen ihrer Geschichte. Spannend wird auch sein, wie sich BKA und Justiz aus ihrer (Un-) Verantwortlichkeit winden werden. Zum Schluss noch diese vier Hinweise:

1) Eine Spaltung der Bemühungen für die vier unter Terrorismusverdacht Stehenden ist ausdrücklich nicht wünschenswert.

2) Der § 129a wurde – entgegen anders lautenden Behauptungen – unter der rot-grünen Bundesregierung nicht ent-, sondern verschärft und dabei u. a. um die Verdachtsgründe „Computersabotage“ und „Störung von Kommunikationsanlagen“ erweitert.

3) Am Sonntag Abend beschäftigt sich das ARD-Magazin ttt (Titel, Thesen, Temperamente) mit dem Fall.

4) Wer bei aller Wut auf die Gefängnisbehandlung und die Willkür der Vorwürfe – nicht allein, aber im Besonderen gegen eine kritische Wissenschaft – noch die Kraft findet, einen Brief an den zuständigen Bundesgerichtshof aufzusetzen, kann diesen z. B. wie folgt adressieren: Andrej Holm, c/o Ermittlungsrichter Ulrich Hebenstreit, Herrenstraße 45, 76133 Karlsruhe.

Heinrich Böll verhaftet

Frage*:

Vor zwei Wochen wurde der Sozialwissenschaftler Andrej H. festgenommen. Nun wurde der Schriftsteller und Übersetzer Heinrich B. verhaftet. Welcher Tat wird Heinrich B. beschuldigt?

Antwort* (BKA und Bundesanwaltschaft):

Heinrich B. ist nach § 129a StGB dringend tatverdächtig, intellektueller Vordenker der linksterroristischen Vereinigung mg (militante gruppe) zu sein. Aufgrund seines permanenten Zugangs zu Bibliotheken – weltweit – und seiner dort vorzufindenden Schmähschriften verfügt er über die sachlichen und intellektuellen Voraussetzungen, die für das Verfassen der vergleichsweise anspruchsvollen Texte der militanten Gruppe erforderlich sind. Heinrich B. muss daher als Rädelsführer der militanten Gruppe um die Brandstifter Florian L., Oliver R. und Axel H. angesehen werden. Die Veröffentlichung „Ende einer Dienstfahrt“ kann als zweifelsfreier Hinweis auf die Mitgliedschaft zu dieser gefährlichen, seit sieben Jahren die Grundfeste der staatlichen Ordnung erschütternden, terroristischen Vereinigung festgestellt werden. In „Ende einer Dienstfahrt“ befürwortet er die Militanz nicht nur, sondern verleiht ihr eine moralische Legitimation. Für sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung des flüchtigen, dringend tatverdächtigen Heinrich B. führen, ist eine Belohnung von bis zu 500.000 Euro ausgesetzt.

Wer dies liest, ist Terrorist.

„Johann und Georg Gruhl, Vater und Sohn, sind Möbeltischler. Johann Gruhl hat erhebliche Steuerschulden angehäuft; seine Situation verschlechtert sich, als sein Sohn zur Bundeswehr eingezogen wird. Am Ende seiner Dienstzeit erhält Georg Gruhl den Befehl, durch ziellose Fahrten mit einem Jeep den für die routinemäßige Inspektion erforderlichen Tachometerstand zu erzeugen, fährt aber stattdessen nach Hause. Gemeinsam präparieren Vater und Sohn Gruhl den Jeep und verbrennen ihn unter Absingen von Litaneien auf offener Straße. Vom örtlichen Amtsgericht werden sie zu vollem Schadensersatz und wegen groben Unfugs zu sechs Wochen Haft verurteilt.“ (Zusammenfassung aus der Wikipedia)

*Frage/Antwort fiktiv