Neobiberal: Wie am Sozialen genagt wird

Speerradio Special „Gentrification: Sozialer Wohnungsmarkt adé?“ von Jochen Trust

Speerradio: Ostprinzessin, Sie behaupten, die Politik von Rot-Rot ist neoliberal. Meinen Sie das ernst?

O.: Wenn Anlass dazu bestünde, würde ich auch Gegenteiliges nicht verschweigen. Sehen Sie sich an, wo überall in der Stadt die Menschen aus ihren Wohnungen getrieben werden. Der rot-rote Senat gibt sich weitestgehend hilflos, teilweise steht er voll hinter der skandalösen Entwicklung.

Speerradio: Sie selbst leben in einem Turm an der ehemaligen Grenzmauer zwischen Mitte und dem Wedding. Was wissen Sie von den Sorgen und Problemen normaler Mieter?

O.: Meine Schwester wohnt in ehemals gefördertem Wohnraum der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gesobau, wo die Miete bereits in wenigen Jahren über 100 Euro gestiegen ist. Schon daher verfolge ich mit Schrecken und Abscheu das, was in manchen Stadtgebieten bereits in weit fortgeschrittenem Stadium zu betrachten ist. Denken wir an Mitte, an den Prenzlauer Berg oder an Friedrichshain. In anderen ist es in einem Anfangsstadium zu bewundern, zum Beispiel in Neukölln, und in wieder anderen gerade voll im Gang. Schauen Sie doch mal von Ihrem schönen Speerradio Tower am Kurfürstendamm nach Kreuzberg, „Kreuzkölln“, Treptow, Schöneberg oder Moabit. Mietensprünge, soziale Entmischung, mehr oder weniger hilfloser Protest aller Orten. Gentrifizierung fällt nicht vom Himmel und ist auch nicht unbeeinflussbar. Ein großes Problem ist, dass die Reiter der achtlosen Aufwertung auf die Politik zählen können. Gemeinsam erteilen sie der Würde der Menschen neobiberale, neogrüne und rot-rote Fußtritte.

Speerradio: Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer beteuert, dass der Mietenmarkt in Berlin sehr entspannt ist.

O.: Es wird spekuliert. Fragen Sie einmal die vielen tausend Menschen, die unmittelbar erleben müssen, wie es wirklich ist, zum Beispiel die Leute eines neuen, kleinen Aktionsbündnisses im Schöneberger Akazienkiez (sozialmieter.de). Trotz großzügiger Versprühung von Pestiziden und allgemeiner gesellschaftlicher Lähmungserscheinungen sprießt Protest.

Speerradio: Sie rufen öffentlich zu zivilem Ungehorsam gegenüber den Eigentümern auf. In Berlin gibt es seit vielen Monaten immer wieder Anschläge auf Neubauprojekte im oberen Preissegment. Was soll das bringen?

O.: Zivil oder nicht, es ist wichtig, dass Aufmerksamkeit für diese Themen entsteht. Skupelloses Verhalten der Eigentümer und skandalöse Hilfestellung oder Wegschauen der Politik heizen die Stimmung an, das man sich eben selbst helfen muss. Manches ist sicher hilflos und nicht gut gedacht, aber sehen Sie sich das Car Loft Projekt in Kreuzberg an. Immer dann, wenn der Projektmanager wieder einmal verkündet, das Projekt laufe super und der Protest sei abgeflaut, fliegen wieder Steine und Farbbeutel. Die Leute kommen nachts auf Fahrrädern herbeigeradelt, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Der Erfolg davon ist unter Anderem, dass der Manager nun bereits davon spricht, dass das Investitionsklima durch die Attacken schlechter geworden sei.

Speerradio: Die Linkspartei in Berlin sieht sich als das soziale Gewissen der Koalition. Sie jedoch sagen, die Partei sei in der Koalition ein „Duchlauferkälter“.

O.: Diese Partei befindet sich in Berlin auf einem deutlich neobiberalen Kurs. Alles verscherbeln und in Wert setzen, egal welcher soziale Preis dafür von den Betroffenen bezahlt werden muss. Diese Politik wird von Rot-Rot fortgeführt. Die Linke spricht von notwendiger Kompromissbereitschaft und Sachzwängen. Ich habe schon so viele linke Politiker kennengelernt, die ihre Ideale längst der von ihnen real vertretenen Härten untergeordnet haben. In die Politik setze ich kein Vertrauen. Die kleinen Nager stauen den sozialen Fluss.

Wir bauen uns ein Atomkraftwerk

Als die
Augen uns tränten,
den Armen wir spendeten,
Weihnachtsbrunnen uns blendeten,
dem Mangel an Energie wir uns grämten,
lag ein Hauch von Zimt, nein Kohle, in der kühlen Luft;

in den Centern und Arcaden glänzten – goldbesetzt –
die makellosen Maskeraden der von Glück Getragenen,
welche unter dem Schmucke hell erleuchteter Kunststofftannen
zu Konsum hin sich besannen;

Erlösung genahte, alles erstrahlte
zehntausend Jahre lang.

Energiewende

Aus einer Mauer wurden tausend Zäune

DDR-Automat

Kirschsaft für ’ne Mark
Du hast überlebt
DDR-Automat

VEB und Kombinat
Du hast überlebt
DDR-Automat

Für Arbeit und Staat
Du hast überlebt
DDR-Automat

Staat der Sicherheit
Du hast überlebt
DDR-Automat

Der Mensch im Vordergrund
Du hast überlebt
DDR-Automat

Alles war besser
Du hast überlebt
DDR-Automat

Auch der Lügen-Apparat
Du hast überlebt
DDR-Automat

Gruß aus dem Feuerland-Exil

Nach langem Bangen erreicht uns ein Lebenszeichen der Ostprinzessin. Das Ende der Palastferien wirft seine Schatten voraus – im Herbst wird es wieder heiß.

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Stillleben: Nicht nur der Himmel ist für alle da.

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Oder wie es uns die Ostprinzessin vor ihrer Abreise – auf ein rosa Kaugummipapier gekritzelt – hinterließ: „Beschämt erdunkelnder Blumenstrauß, von seidenzarter Prinzessinenhand geklaut // sich ins Bild schummelnder 369-Meter-Zahnstocher“.

Afrika, o Afrika

Vor nunmehr über zwölf Jahren erwarb die Ostprinzessin AFRIKA.

Und heute? Reue und Bedauern im Supermarktfunk: „In Afrika leben die reichsten, die schönsten Menschen, aber die meisten haben ein schweres und kurzes Leben. Verantwortlich dafür sind in erster Linie wir. Nachdem ich Afrika im Jahre 1996 unverhofft erworben hatte, wollte ich es den Menschen zurückgeben. Ausbeutung, Krankheit und Tod sollten ein Ende finden. Die gekauften Regierungen, die nur den Konzernen nutzen, sollten abgesetzt werden. Aber es kam ganz anders: Afrika wurde gierig verspeist. An unser aller Hände klebt die Schokolade. Und das ist eine Enttäuschung – herb, nicht edel. Liebe Kunden! Wir haben die Preise reduziert: Afrika Edelherb, nur 1,99!“

AFRIKA Afrika Edelherb

Genuss seit 1889.

Restart in Rot-Rot

Berlin, Freitag, der 13.

Der traditionelle Glückstag der Ostprinzessin wartet mit einigen Überraschungen auf. Am späten Nachmittag öffnete die Ostprinzessin die Tore ihrer runderneuerten Online-Trutzburg. Ein vollkommen neues Orientierungssytem erleichtert den Zugang zu den abgelegenen Bereichen der stolzen Feste. Ein nicht unerheblicher Teil des Inventars wurde liebevoll aufgearbeitet. Gäste – ob nun Blumenkind, Punk oder das werte Bundeskriminalamt – gelangen jedenfalls ab heute einfacher und schneller zu den Orten unerhörter Dinge.

Die Ostprinzessin lädt für den Abend ins Rote Palais am Platz der Roten Beete. Auf der Roten Karte: Rotwein, Rote-Bete-Suppe, Rothirsch und Rotkohl. Im Keller spielt eine rottige Rattenkapelle auf. Im Rotlicht des RAUM.O der Ostprinzessin findet ein Krisenbeschleunigungsseminar statt. Auch an die Kinder ist gedacht: Die lieben Kleinen lernen Malen mit Kunstblut, für die Älteren besteht Gelegenheit, die Haare rot zu färben. Außerdem steht ein original Feuerwehrauto der Freiwilligen Feuerwehr Rottweil für fröhliche Wasserwerferspiele bereit.

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In der Rotunde des Roten Salon beginnt um 20 Uhr die Veranstaltung „Ich sehe rot“; auf dem Promi-Podium: Rotkäppchen, Rozalia Luksenburg, Claudia Roth (Verräterin Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen), Petra Roth (Oberbürgermeisterin von Bankenstadt am Reibach), Rotraud R. (Raumkosmetikerin aus Rotenburg) Vertreter von Rotem Kreuz und Rotem Halbmond, ein bislang unbekanntes Mitglied der Rote Armee Fraktion und natürlich die Ostprinzessin. Live hinzugeschaltet wird Baron de Rothschild, direkt vom Weingut Château Lafite-Rothschild. (Die Unternehmen der Rothschilds haben über vierzig Regierungen im Rahmen von Privatisierungen beraten. Sie berieten den Flugzeug- und Rüstungskonzerns EADS und waren beratend bei der Übernahme der Mannesmann AG durch Vodafone, beim Börsengang und An- und Verkauf des Kabelnetzes der Deutschen Telekom, bei T-Online, Deutsche Post und E.ON, sowie bei der Bildung der ProSiebenSat.1 Media AG durch KirchMedia tätig. Zudem besteht eine Beteiligung am wundervollen Einkaufszentrum Alexa.)

Die aufwendigen, Rot in Rot gehaltenen Einladungskarten der Ostprinzessin sind leider dem Rotstift zum Opfer gefallen. Und noch eine traurige Nachricht, die allenthalben für rote Augen sorgen wird, hat uns erreicht: Der rot-rote Senat hat seine Teilnahme an den Feierlichkeiten der Ostprinzessin abgesagt. Als Grund wurden besondere Verpflichtungen im Rahmen des im Roten Rathaus ausgetragenen Rote-Grütze-Contest genannt.

Live am Roten Telefon von redSTARradio sprach die Ostprinzessin bereits am Vormittag anlässlich der Einweihung ihrer World-Wide-Web-Trutzburg mit Starmoderator Roger Rothmann: „Ihre roten Seiten werden heute Abend mit einem rauschenden Fest eingeweiht. Es wird viel Prominenz erwartet. Wer genau wird alles dort sein?“ O.: „Meine Gefährten der letzten Jahre werden kommen, dazu Leute aus dem Showbiz, Feinde aus der Politik und ein neuer Freund von der Roten Insel, der mir heute eine von Panik erfüllte E-Mail zukommen ließ, weil er annahm, ich sei in der Versenkung verschwunden. Das Gegenteil ist der Fall. Ganz besonders freue ich mich auch auf den Kinderchor Die Rotkehlchen, der eigens für den heutigen Abend eine Neufassung meines Songs Borschtsch einstudiert hat!“ RR.: „Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch mit der Ostprinzessin und wünschen allen ein rotes Morgen. Jetzt geht es weiter mit dem Song, den auch die Ostprinzessin nicht besser hätte schreiben können: David Bowie, put on your red shoes and dance the Blues!“

Medienecho-Echo

Begleitend zu ihrem spektakulären Rücktritt im Ausschuss Spreeraum des Bezirksparlaments Friedrichshain-Kreuzberg gab die Ostprinzessin verschiedene Interviews zu den politischen Hintergründen. Zwei Zeitungen veröffentlichten daraus Auszüge.

In der Tageszeitung taz wird die Ostprinzessin mit den Worten zitiert, Baugruppen-Projekte seien „in der Realität meistens eigentums- und mittelstandsorientiert“. Genau dies sowie die in Anträgen der Initiative „Mediaspree versenken!“ erhobene Forderung nach Erhöhung des Wohnraumanteils im Mediaspree-Raum könne „angesichts der Tatsache, dass sozialer Wohnungsbau zur Zeit tot ist und nur hochpreisiger Wohnraum entstehen kann, als gefährlicher Motor für Gentrifizierungsprozesse“ wirken, so die Ostprinzessin weiter.

Das MieterEcho gibt folgende Mahnung der Ostprinzessin wieder: „Das Scheitern des Bürgerbegehrens im Sonderausschuss steht bevor. Unsere Initiative ist nicht die erste, die feststellen muss, dass sie auf der parlamentarischen Ebene hingehalten und beschäftigt wird. Der Druck auf die Politik muss von der Straße und über medienwirksame Aktionen kommen, sonst wird sich nicht viel bewegen.“

Mehrfache Interviewanfragen des Hetz- und Schmierblatts Berliner Kurier wurden nicht beantwortet. Ein vollständiger Überblick über die Medien-Reaktionen findet sich hier.

Ostprinzessin legt Mandat nieder

Rücktritt als Bürgerdeputierter im Ausschuss Spreeraum des Bezirksparlaments von Friedrichshain-Kreuzberg

Im Sonderausschuss habe ich heute zu meinem Rücktritt als Deputierter der Initiative „Mediaspree versenken!“ folgende Erklärung verlesen:

Nur eine einzige Minute ist es, die mich von der anderen Wirklichkeit, von der anderen Wahrheit trennt.

Im Sonderausschuss habe ich feststellen müssen, dass sich die willfährige Politik für Aufwertungen und Verdrängungen, ausgeführt und betrieben durch die sogenannten Linken, die sogenannten Grünen und die sogenannte Sozialdemokratie, weiter fortsetzt. Diese Politik wird von einer übergroßen Mehrheit der Menschen im Bezirk abgelehnt. Organisiert wird die Ablehnung von einer Reihe verschiedener Initiativen und Gruppen.

Ihnen ist sicher nicht verborgen geblieben, dass es unter denjenigen, die bereits seit mehreren Jahren gegen die Politik für Mediaspree aufbegehren, zu politischen Auseinandersetzungen gekommen ist. Diese betreffen die generelle Ausrichtung der Arbeit gegen Mediaspree und vor diesem Hintergrund selbstverständlich auch die Arbeit der Bürgerdeputierten im Sonderausschuss. Auch im Abstimmungsverhalten hat sich die Auseinandersetzung widergespiegelt.

Diese – bislang politische – Auseinandersetzung eskalierte am Montag vergangener Woche in Form eines körperlichen Angriffs von Carsten Joost auf meine Person.

Den Vorfall konnten bislang weder ich noch die Gruppe verarbeiten. Eines steht aber fest: Ich stehe nicht für politische Zusammenhänge zur Verfügung, in denen es während des politischen Streits zu körperlicher Gewalt kommen kann.

Ich gebe heute mein Mandat als Bürgerdeputierter auf.

Ostprinzessin

Ostprinzessin im Sonderausschuss Franz Schulz und Gumbert Salonek  www.sonderausschuss.de

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Beleg zur Feier des Tages, dem Akt meiner Befreiung.

Quittung

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junge Welt, 20.01.2009:

Senat im Alleingang, junge Welt, 20.01.2009 (Teil 1) Senat im Alleingang, junge Welt, 20.01.2009 (Teil 2)

Kein Schloss in meinem Namen!

Gemeinsam mit Bekannten aus dem vor drei Jahren gegründeten Palastbündnis, das einige Monate lang mit spektakulären Aktionen (nicht nur) Berlin in Atem hielt, hat der Mitbegründer und Erfinder der Plattform ABRISSBERLIN eine neue Plattform ins Leben gerufen: Kein Schloss in meinem Namen!

Und wir alle können mitmachen.

Nach der albtraumhaften Entscheidung für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses bzw. für den Bau des Humboldtforums droht uns nun die tatsächliche Realisierung des Vorhabens. Doch die geplante, einer nationalen „Identitätsstiftung“ dienende Schlosskopie ruft seit vielen Jahren heftigen Widerspruch hervor. Im Namen der Geschichte wird Geschichte zerstört und verdrängt. Die Öffentlichkeit wird immer wieder aufs Neue über Zeitplan, Kosten und Finanzierung belogen und getäuscht, um das umstrittene Vorhaben einer berechtigten Kritik zu entziehen.

Wir können unser Nichteinverständnis geben: Hier!

Weitere Informationen zum Thema: www.schlossdebatte.de