Was

Berlin ist immer weniger Berlin, mehr irgendwas
Ich hege den Schmerz wie einen gloriosen Schatz
Und gebe dir ein Zeichen, das nur du sehen kannst

Wo

Eine Treppe, ein Gang, eine Tür
und die Nacht über Berlin

Eine Hand ertastet das Dunkel,
die andere fasst das Licht

Nichts ist hier und alles,
niemand kann es sehen

und alle

Trigger

Worte reißen Wunden,
oft unbemerkt, manche gewollt,

Worte haben ungewaschene Hände,
Worte sind infektiös

Worte öffnen unsere Poren,
ohne Geist verbluten wir

Worte geben oder stehlen,
was sie verhehlen, spricht Bände

Worte formen unsere Seelen,
ohne sind wir bloß geboren

Worte malen uns in Farben,
doch wer andere malt, malt blind

Worte sind nie schwarz und weiß,
nicht laut oder leis

Worte laufen vor- und rückwärts,
Dumme hängen sie in den Wind

Worte heilen nicht,
sie waschen nur den Schmerz

Worte werden unsichtbar,
doch das Verborgene schreit

Worte nähen unsere Bilder,
aber nicht Zerrissenheit

Worte prügeln uns,
doch Schweigen schlägt härter

Worte bekriegen den Krieg,
Schweigen bringt den Sieg

Worte kriminalisieren,
Taten opfern uns

Worte sind Wärter unserer Zellen,
doch Worte bieten keinen Schutz

Worte wanken oder flimmern,
ob sie Lüge oder Wahrheit sind

Worte führen uns in Zimmer
ohne Türen, ohne Fenster

Worte sind Gespenster,
die sagen, wer du bist

Worte sind Trigger, immer,
da Triggern Leben ist

Tage der Seuche

Habe sie alle versammelt,
die Kleinen und die Großen,
die Maskierten und Bloßen,
die Kläger und Beklagten

An der Geistertafel,
bei Kerzenschein und Kräutertee,
Schwurbel und Geschwafel,
Schwuchtel, Jude, Neger,
Stuss im Maul und Tortenguss

Am Tisch der guten Fee,
aufrecht, schön, integer,
ein Engelein, was sonst,
Himmel, Arsch und Zwirn,
fast allein, fast ohne Weh

388

Die ersten 10 waren ganz nice,
die zweiten 10 bisschen lost,
die dritten 10 politisch wyld,
die vierten 10 Angst und frei,

– vom Ich zum Wir zum Uns
zum They zum Einerlei –

die nexten 10 und 10 und 10
und 10 und 10 und 10 und 10
geb ich dem schönen Wahnsinn,
un denn kieken wa ma neu, wa!

E. Princess, Berlin-Friedrichsfelde, 21. Januar 2021

Freiheitsidiotie

Jeden Morgen tausend Tote – banal
Sorgen Sorgen Sorgen – hach, brutal
Bald, bald wird geimpft – verbal
Lockdown light für alle – ein Fanal
Nicht in der Werkhalle – logisch, klar
im Land der Dichter und Denker
Weiter, weiter ohne Plan – normal
Querdenken versus Coronawahn
Strategie: Freiheitsidiotie – ideal
Gesundheitsdiktatur – nee, is wahr
einfach nicht zumutbar, bla bla bla
„Ende der Fahnenstange“ – Müller
Freiheit – ist der Knüller, ha ha ha
Demokratie – auf, auf ins Hospital
Jeden Abend tausend Tote, la la la
gestorben für die Grundrechte – tja
lucky lockdown – phénomène fatale

Ach, Mann (Merzgedicht)

Mein ganzer Körper sträubt sich gegen den,
Synapsen, Rezeptoren, jedes Östrogen,

auch beim Armin ist schnell Schicht,
mit Norbi alles nur noch Pflicht,
für Jens ballt sich die Faust,

aber Brillenträger schlägt man nicht,

gegen Olaf hol ich die Bazooka raus,
beim Robert leide ich tagein, tagaus,
und dem Markus reicht der kleine Finger –

was dann passiert, weiß man ja: er,
also muss die Annalena ran, oder wer?

Endlich finde ich Worte

Neulich in einem Gespräch erklärte und begründete ich die Schweizer Pandemie-Politik und auch die Schwedens. In diesen Gesellschaften, die weitaus gefestigter sind als die anderer Länder, insbesondere der großen, wird weniger als dort nach Schuldigen gesucht. Schuld ist kein Leitmotiv des öffentlichen Diskurses. Das Vertrauen in die Stabilität ist größer als die Angst vor einem ethisch-moralischen Urteil. Und wo kein Schuldbewusstsein ist, werden auch keine Maßnahmen gewollt, die den Menschen viel verbieten und uns in Schuldige und Unschuldige einteilen.

Ich nahm Partei für diese Position, doch bald war mir klar, dass ich nicht daran glauben kann. Denn ich glaube, dass die Politik Schwedens und der Schweiz amoralisch ist, gleichgültig oder menschenverachtend, vielleicht alles drei zusammen und das sogar mehr als die Politik vieler weit weniger privilegierter und in anderen Fragen weitaus zynischerer Gesellschaften. Und ich empfinde seit Beginn der Pandemie großen Unmut über ihre völlig unzureichende Bekämpfung, dort wie auch hier. Infolge der fehlenden Konsequenz erleben wir zu lange schwache Lockdowns und die ungerechte Verteilung der horrenden Lasten.

Ja, auch andere versagen. Belgien zeigt sich als gescheiterter Staat, Tschechien, Ungarn, Russland, USA – die Liste hart getroffener Länder mit auffallend hohen Leidens- und Todesraten ist lang: Frankreich, Spanien, Norditalien und nicht zuletzt das UK. Bei den Großen in Europa vollzieht sich seit langem ein innerer Zerfall, im Falle Großbritanniens und Spaniens auch ein äußerer, wie zunehmend erfolgreiche Abspaltungsbestrebungen belegen. In vielen Gesellschaften ist der rechtspopulistische Druck groß, mehr noch als in der deutschen, die zwar ähnlich stark polarisiert ist, aber de facto weniger Rechtspopulist*innen in der Nähe realpolitischer Macht und bis dato weit weniger Pandemieopfer aufweist. Wobei man sehen muss, dass nicht überall der Druck von rechts prägend ist, sondern vielmehr ein antisoziales Arschlochtum à la Merz, siehe England.

Ja, unsere Lebensrealität ist komplex. Ohne persönliches und gesellschaftliches Risiko geht es nicht. Doch wir Menschen sind nicht gut darin, unser Verhalten selbst zu beurteilen. Wir sind angewiesen auf eine objektive Risikobewertung. Das Prinzip der Eigenverantwortung funktioniert in einer Pandemie nicht. Politik muss die Kraft haben, Freiheit zu beschränken, um Leben zu schützen, gerade die der besonders Gefährdeten. Unsere Freiheit endet da, wo die Freiheit anderer beginnt.

Als im Sommer viele begannen, ihren Urlaub zu posten, begann ich still zu fragen, was ich mir und meinen Friends beweisen wollte, machte ich Urlaub in der Pandemie. Ist das wirklich Freiheit, die gute, ziviler Ungehorsam, ein kleines Aufbegehren, ein Bahnbrechen menschlicher Bedürfnisse, eine notwendige Flucht, oder sogar einfach nur Gelassenheit? Vielleicht. In jedem Fall empfinde ich Antipathie. Weil es mir schwach erscheint und ich so schwach nicht sein möchte, und weil es mir stark erscheint und ich so stark nicht sein möchte.

In meinem literarischen Bewusstsein sehe ich alles als eine Erzählung. Welche Geschichte von mir will ich erzählen während und nach der verherrenden Pandemie? Dass ich im Urlaub war? Dass ich Party gemacht habe? Dass ich andere in verantwortungslosem Verhalten bestärkt habe? Dass ich es besser wusste? Not my story. Aber ich suche noch.

„How r u? All fine?“

I miss people,
I miss work,
I miss music school,
I miss performing,
I miss touches,

I miss flirting and danger,
I miss health awareness,
I miss support for those
who care, nursing staff,
I miss a pandemic strategy,

I miss the perspective
of those who stay ill
or lose and miss someone,
I miss compassion,
help for the poor,

I miss cheap real estates,
I miss a garden, I miss
a lot of lost places,
and I think most of this
will get worse.

So how am I?
I feel sad,
I feel angry,
I feel helpless,
I feel the mission.