Alien im Braustübl

Romy Haag ist fulminant. Sie ist eine erstklassige Entertainerin und Interpretin. Hier im Bräustübl von Friedrichshagen am Müggelsee wirkte sie mitunter overdressed und für die Miniatur-Bühne im hübschen Jugendstilsaal – allerdings in arg rustikalem Ambiente – geradezu gewaltig, zumal sie sich diese noch mit ihrem Pianisten zu teilen hatte.
Während die teils besäuselten Zuschauer ihre Schweinshaxen futterten, nahm die Haag sich der schwierigen Aufgabe an, ausgerechnet die ignorantesten unter ihnen zu betören, was durchaus zu Erfolgen sowie roten Köpfen führte. Insgesamt behielt die Situation eine leicht tragische Dimension. Schon beim Blick durch die vorübergehend geöffnete Garderobentür ließ sich erahnen, dass Romys Glanz zwar ein Faszinosum, aber auch ein Kuriosum darstellen würde.

Der Sound war ebenfalls overdressed, ihr musikalisches Gespür wie ihre – leider nur selten – pure Stimme aber dafür eine wunderbare Offenbarung: Eine Explosion der Leidenschaft. Große Bühnen für Romy Haag!

Braustübl Romy Haag Huren und Engel Eine Frau und mehr Müggelsee

Heaven is in Germany

Tatsächlich!? Na ja, so wie überall.

Der holländische Prenzlberger Sven Ratzke tritt heute auf die Bühne des BKA-Theaters. In einem seiner leidenschaftlichen Lieder kommt gar meine kleine Straße vor, in der ich wohne. Da kippte ich doch beinahe aus den Latschen…!

Sven Ratzke hat Verve! Schöner als Döner.

Heaven is in Germany Sven Ratzke - Heaven is in Germany

Du bist nicht allein

Es erscheint simpel: In der Bar jeder Vernunft singt die französische Sängerin Mouron. Ausgerechnet heute aber schwingt sie sich darin zu herzerweichender Schönheit auf. Ihre Interpretationen des großartigen Jaques Brel rahmen persönliche Erinnerungen und rührende Anekdoten. Begleitet wird sie vom elysäischen Spiel des überaus einfühlsamen Pianisten Terry Truck. In der intimen Atmosphäre des alten Spiegelzelts der Bar jeder Vernunft, beheimatet auf einem Parkhausdeck im mitunter biederen Bezirk Wilmersdorf, entwickelt die zierlich gewachsene Mouron einen berückenden Zauber im Geiste vollkommener Liebe, der sich mir als sagenhaft und unergründlich darstellt.

Eigentlich jedoch beginnt die Geschichte unserer Begegnung in einem der kalten Korridore der nahegelegenen U-Bahn-Station. Ich treffe auf ein hochgewachsenes, sonderbares Wesen, welches in einen überaus unförmigen, dunklen Mantel gehüllt ist und unter dunklen Haaren, durch dunkel umrandete Brillengläser zu mir hinunterschaut, als ich Dich dort auffinde. Beeindruckender Bildung gewiss und fragwürdiger Halbbildung unbewusst, legt das unstete Geschöpf so nebenbei wie offenbar einige Verhaltensschwierigkeiten an den Tag: Seltsam verunsicherte, schnell weichende Blicke und plötzliche Distanzierung bedeuten seinen verschrobenen Charakter. Findet sich unter der gefühlsabweisenden Rüstung etwa zarte Schüchternheit und liegen tief darunter die ganz großen Gefühle verborgen?

Ihr müsstet es heute sehen – hübsch, selbstbewusst und vital streift es durch seine Welt, durch eure und durch meine; an jenem Abend hätte man das noch kaum für möglich zu halten vermocht. Ein paar Tage später treffe ich es zufällig an einer Straße in der Spandauer Vorstadt, nebst zweier anderer dunkler Gestalten. Unvergleichlich seltsam erscheint mir sein Gebaren, wie hysterisiert dreht es um die eigene Achse, als es sich schließlich von mir verabschiedet. Zuvor hatten wir im selben Restaurant gesessen, ohne dass ich dies bemerkt hatte, obschon ich in einer dunklen Ecke des Anna Koschke eine dunkle, Hut tragende Gestalt wahrgenommen hatte – einen seiner Begleiter.

Nur wenige Zeit später folgt eine Einladung zum Essen im trauten Heim. Das Vertrauen rührt mich; es markiert den Beginn meiner Ahnung, dass dieses Geschöpf mein Leben für immer verändern werde. Nachdem ich mittlerweile ein halbes Jahr in Berlin verbracht habe, mutterseelenallein, liegt vor mir nun die Welt. Zur wahren Geschichte dieses Herzensbundes gehört auch, dass wir am gleichen Tag in die Stadt zogen, Du in den Westteil, ich in den Osten – vielleicht lag ein bestimmter Zauberspruch in der Berliner Luft.

Dass wir uns fortan beinahe täglich sehen und an manchem Tage auch zweimal, erscheint uns selbstverständlich. Was seien wir den Gesetzen von Raum und Zeit schuldig? Nichts. Unsere Kultur hat recht bald eine eigene Sprache hervorgebracht, und da eine gemeinsame Kultur nicht mit der Sprache endet, sondern mit ihr erst beginnt, in hoher Reife zu gedeihen, ist seither vieles hinzugewachsen, das den Kulturerfolg wahrt – und so wir diese Kultur pflegen, wird sie erblühen in immer neuer Gestalt und unsere Heimat sein.

Mouron & Terry Truck ...d'amour

Chamäleon David Bowie

In der Max-Schmeling-Halle im Prenzlauer Berg geben sich von Zeit zu Zeit weltberühmte Gesamtkunstwerke die Ehre des Auftritts, und ein jedes von ihnen wird sich gefallen lassen müssen, als personifizierter Kommerz zu gelten. Madonna beispielsweise hat hier – wie überall – gewiss eine grandiose Showperformance geboten, die ganz bestimmt einen wesentlichen Teil des dreistelligen Eintrittsgeldes rechtfertigte, und auch anderweitig legt sie sich lobenswerterweise ganz beachtlich ins Zeug. „Ich möchte mehr für die Gerechtigkeit, die Umwelt und Menschen tun, kurz gesagt: Ich kämpfe für den Weltfrieden!“

David Bowie kann kaum als bescheidener gelten, denn auch er zählt zu jenen lebenden Legenden, die der Welt – ungebeten und gegen alle Widerstände – unvergessbare Selbstinszenierungen darlegen, die zum einen in ästhetischer und künstlerischer Hinsicht ihresgleichen suchen, zum anderen vielen Menschen den Mut schenken, selbstbewusst zu sich und zueinander zu stehen, und die nebenbei ökonomisch außerordentlich prosperieren.

Für sein Konzert in Berlin hat sich Bowie eine fantastische Gitarristin zur Seite gestellt, um gemeinsam neue wie alte, wunderbar groovige Stücke zu Gehör zu bringen. Nebenher lässt er sich und uns in einer Art bescheiden-großartigen Attitüde schwelgen, die durchaus inszenatorische Maßstäbe setzt. Zur besonderen Freude des Berliner Publikums spielt er auch Songs, die er einst in Berlin geschrieben hatte, während er im eingemauerten Westteil der Stadt lebte. Einige seiner Werke aus dieser Zeit zwischen 1976 und 1979, so sagt man – und ich würde dem nicht widersprechen wollen – gehören zum ergreifendsten, was Bowie bislang schuf.

Dass uns das legendäre Kunstwerk David Bowie auch weiterhin als rolemodel zu taugen vermag, ahnen wir spätestens beim Verlassen des Saals, und wir erfahren erleichtert, dass die rot-grüne Regierung die Bundestagswahlen mit hauchdünner Mehrheit gewonnen hat – es hätte wahrlich schlimmer kommen können, zumal vor dem Konzert noch alles nach einem Sieg für Schwarz-Gelb ausgesehen hatte.

David Bowie - Heathen David Bowie David Bowie - Hunky Dory

Sehnen und Sucht

Georgette Dee singt „WEGELiederer Balladen“ und Terry Truck begleitet sie dazu am Klavier. So vermag sie es, im Bremer Theater eine unendlich sehnsuchtsvolle Atmosphäre zu erschaffen – in Kunstpausen, Pausen, in denen es absolut still ist und nach denen sie ihre Gedanken weiterschweifen, mitunter galoppieren lässt. Georgette Dee: so lasterhaft wie sehnsüchtig; ein Gläschen Wein und eine Zigarette sind ihre ständigen Begleiter. Ihre Interpretationen: intensiv und voller Leidenschaft, ihre lebensphilosophischen Gedanken zwischen den Liedern zum Teil frei assoziiert. Sie allein füllen schon die große Bühne. Wir graben in unserem Schmerz und befreien uns mit einem Lied. Am Ende gehen wir hinaus in den Regen.

WEGELiederer Balladen

Vollkommen verfallen

und zwar hoffnungslos hoffnungsvoll.

Cora Frost scheint es nicht zu interessieren, ob Publikum im Saal ist – ein mancher verlässt ihn während der Vorstellung. Frost lässt es kalt. Sie überwältigt die verbliebenen Gäste im Güterbahnhof-Exil des Jungen Theaters mit unvergleichlich erhabenem Charme und wundervoller Stimme.

Nexte Lied!

Cora Frost & ORkesteR Junges Theater Bremen Frost So blau