Was für ein Fehler
In der Mitte unserer Stadt erstand vor Kurzem ein Betonbau mit vorgehängten Natursteinplatten: das Berliner Schloss – bewohnt nicht etwa vom preußischen König, dem deutschen Kaiser oder der Ostprinzessin, nein, es musste internationaler sein, und so holte man das Beutekunst-Forum. Und das ist nicht einmal der größte Fehler.
Fangen wir im Kleinen an. Niemand wird die Imposanz dieses Baus, an dem überraschend vieles missglückt ist, bestreiten. Erinnerte er im Rohbau noch an die Atombombenkuppel von Hiroshima, was seinen ganz eigenen morbiden Charme hatte, insbesondere an Abenden, an denen eine Krähenschar lauthals ums Dach kreiste, so dürfen wir uns mittlerweile an andere dunkle Kapitel unserer Geschichte erinnern, derweil das Kuppelkreuz uns zur Unterwerfung gemahnt, was manchen angesichts der Defizite unserer säkularisierten Gesellschaft gewiss sympathisch erscheinen mag, während es anderen die Zornesfalten ins Gesicht malt: Kaiser und Vaterland, die Verantwortung zweier Weltkriege und diverser Genozide, und zu schlechter Letzt der Triumph des kalten Kapitalismus über den klammen Sozialismus. Und die Imposanz ist dabei Teil des Problems.
Dass es der rückwärtsweisenden Symbolik des Schlossneubaus bedurfte, um über die DDR zu triumphieren, muss bezweifelt werden. Wirklich schade ist dabei auch, dass dem Streben der Gestrigen – viele von ihnen mittlerweile tot –, die uns diese Rolle rückwärts befahlen, ein einzigartiges Bauwerk geopfert wurde, dessen Zukunftsfähigkeit heute fehlt: der Palast der Republik, samt seiner Geschichte als Scheinparlament der DDR und Vergnügungsstätte der Massen, der atemberaubenden Technik des Großen Saals, des glitzernden weißen Marmors und der die Sonne in wärmsten Tönen reflektierenden bronzefarbenen Thermofenster. Was blieb, sind die unzähligen persönlichen Anekdoten, die Menschen mit diesem Ort verbinden. Seine Vernichtung wird im Osten unseres Landes bis heute aktiv rezipiert. Die Siegermentalität des Westens zeigt nachhaltig Wirkung und schadet dem gesellschaftlichen Frieden in Ost, West, Nord und Süd gleichermaßen.
In den Jahren vor seinem Abriss hatte sich Palast der Republik als genau der Ort entwickelt, den wir heute brauchen würden: als Ort unterschiedlicher Kulturen, als Kulturort vieler Bedürfnisse, als Gedenkort, als Ort spannender Experimente alter und junger Leute, als Ort der Stunde Null, in der Zukunft möglich erscheint, ohne die Dominanz egal welcher Unrecht bringenden Ideologie auch immer – und nicht zuletzt als authentischer Ort, der die Geschichte des untergegangenen Staates DDR mit all seinem Recht und Unrecht wie kein zweiter exemplarisch zu erzählen vermag. Doch die Gestrigen siegten. Dass sie diesen Ort selbst nie nutzen würden, war dabei immer klar. In jedem Fall hinterließen sie uns eine Zumutung, die schönzureden uns gewiss nicht gelingen kann. Denn das Königliche Schloss war, ist und bleibt ein gewichtiger Fehler, der gegenwärtige und künftige Generationen belastet, ohne ihnen die Chance auf einen Neuanfang zu ermöglichen.
Auch das Humboldt Forum in den Fesseln des Berliner Schlosses ist nur bedingt hilfreich. Immerhin wird seine Präsenz im vielseits ungeliebten Neubau das Thema Raubkunst wachhalten und lang überfällige Auseinandersetzungen des Kolonialismus und Rassismus in die Mitte der Stadt tragen. Doch wäre nicht der transformierte Palast der Republik auch hierfür der spannendere Ort gewesen? Kluge Menschen im Palastbündnis stellten solche Fragen bereits vor 15 Jahren. Der Palast überdauerte gerade einmal 30 Jahre, dem neuen Schloss könnte es ähnlich ergehen.
Trigger
Worte reißen Wunden,
oft unbemerkt, manche gewollt,
Worte haben ungewaschene Hände,
Worte sind infektiös
Worte öffnen unsere Poren,
ohne Geist verbluten wir
Worte geben oder stehlen,
was sie verhehlen, spricht Bände
Worte formen unsere Seelen,
ohne sind wir bloß geboren
Worte malen uns in Farben,
doch wer andere malt, malt blind
Worte sind nie schwarz und weiß,
nicht laut oder leis
Worte laufen vor- und rückwärts,
Dumme hängen sie in den Wind
Worte heilen nicht,
sie waschen nur den Schmerz
Worte werden unsichtbar,
doch das Verborgene schreit
Worte nähen unsere Bilder,
aber nicht Zerrissenheit
Worte prügeln uns,
doch Schweigen schlägt härter
Worte bekriegen den Krieg,
Schweigen bringt den Sieg
Worte kriminalisieren,
Taten opfern uns
Worte sind Wärter unserer Zellen,
doch Worte bieten keinen Schutz
Worte wanken oder flimmern,
ob sie Lüge oder Wahrheit sind
Worte führen uns in Zimmer
ohne Türen, ohne Fenster
Worte sind Gespenster,
die sagen, wer du bist
Worte sind Trigger, immer,
da Triggern Leben ist
Tage der Seuche
Habe sie alle versammelt,
die Kleinen und die Großen,
die Maskierten und Bloßen,
die Kläger und Beklagten
An der Geistertafel,
bei Kerzenschein und Kräutertee,
Schwurbel und Geschwafel,
Schwuchtel, Jude, Neger,
Stuss im Maul und Tortenguss
Am Tisch der guten Fee,
aufrecht, schön, integer,
ein Engelein, was sonst,
Himmel, Arsch und Zwirn,
fast allein, fast ohne Weh
388
Die ersten 10 waren ganz nice,
die zweiten 10 bisschen lost,
die dritten 10 politisch wyld,
die vierten 10 Angst und frei,
– vom Ich zum Wir zum Uns
zum They zum Einerlei –
die nexten 10 und 10 und 10
und 10 und 10 und 10 und 10
geb ich dem schönen Wahnsinn,
un denn kieken wa ma neu, wa!
Freiheitsidiotie
Jeden Morgen tausend Tote – banal
Sorgen Sorgen Sorgen – hach, brutal
Bald, bald wird geimpft – verbal
Lockdown light für alle – ein Fanal
Nicht in der Werkhalle – logisch, klar
im Land der Dichter und Denker
Weiter, weiter ohne Plan – normal
Querdenken versus Coronawahn
Strategie: Freiheitsidiotie – ideal
Gesundheitsdiktatur – nee, is wahr
einfach nicht zumutbar, bla bla bla
„Ende der Fahnenstange“ – Müller
Freiheit – ist der Knüller, ha ha ha
Demokratie – auf, auf ins Hospital
Jeden Abend tausend Tote, la la la
gestorben für die Grundrechte – tja
lucky lockdown – phénomène fatale
Ach, Mann (Merzgedicht)
Mein ganzer Körper sträubt sich gegen den,
Synapsen, Rezeptoren, jedes Östrogen,
auch beim Armin ist schnell Schicht,
mit Norbi alles nur noch Pflicht,
für Jens ballt sich die Faust,
aber Brillenträger schlägt man nicht,
gegen Olaf hol ich die Bazooka raus,
beim Robert leide ich tagein, tagaus,
und dem Markus reicht der kleine Finger –
was dann passiert, weiß man ja: er,
also muss die Annalena ran, oder wer?
Endlich finde ich Worte
Neulich in einem Gespräch erklärte und begründete ich die Schweizer Pandemie-Politik und auch die Schwedens. In diesen Gesellschaften, die weitaus gefestigter sind als die anderer Länder, insbesondere der großen, wird weniger als dort nach Schuldigen gesucht. Schuld ist kein Leitmotiv des öffentlichen Diskurses. Das Vertrauen in die Stabilität ist größer als die Angst vor einem ethisch-moralischen Urteil. Und wo kein Schuldbewusstsein ist, werden auch keine Maßnahmen gewollt, die den Menschen viel verbieten und uns in Schuldige und Unschuldige einteilen.
Ich nahm Partei für diese Position, doch bald war mir klar, dass ich nicht daran glauben kann. Denn ich glaube, dass die Politik Schwedens und der Schweiz amoralisch ist, gleichgültig oder menschenverachtend, vielleicht alles drei zusammen und das sogar mehr als die Politik vieler weit weniger privilegierter und in anderen Fragen weitaus zynischerer Gesellschaften. Und ich empfinde seit Beginn der Pandemie großen Unmut über ihre völlig unzureichende Bekämpfung, dort wie auch hier. Infolge der fehlenden Konsequenz erleben wir zu lange schwache Lockdowns und die ungerechte Verteilung der horrenden Lasten.
Ja, auch andere versagen. Belgien zeigt sich als gescheiterter Staat, Tschechien, Ungarn, Russland, USA – die Liste hart getroffener Länder mit auffallend hohen Leidens- und Todesraten ist lang: Frankreich, Spanien, Norditalien und nicht zuletzt das UK. Bei den Großen in Europa vollzieht sich seit langem ein innerer Zerfall, im Falle Großbritanniens und Spaniens auch ein äußerer, wie zunehmend erfolgreiche Abspaltungsbestrebungen belegen. In vielen Gesellschaften ist der rechtspopulistische Druck groß, mehr noch als in der deutschen, die zwar ähnlich stark polarisiert ist, aber de facto weniger Rechtspopulist*innen in der Nähe realpolitischer Macht und bis dato weit weniger Pandemieopfer aufweist. Wobei man sehen muss, dass nicht überall der Druck von rechts prägend ist, sondern vielmehr ein antisoziales Arschlochtum à la Merz, siehe England.
Ja, unsere Lebensrealität ist komplex. Ohne persönliches und gesellschaftliches Risiko geht es nicht. Doch wir Menschen sind nicht gut darin, unser Verhalten selbst zu beurteilen. Wir sind angewiesen auf eine objektive Risikobewertung. Das Prinzip der Eigenverantwortung funktioniert in einer Pandemie nicht. Politik muss die Kraft haben, Freiheit zu beschränken, um Leben zu schützen, gerade die der besonders Gefährdeten. Unsere Freiheit endet da, wo die Freiheit anderer beginnt.
Als im Sommer viele begannen, ihren Urlaub zu posten, begann ich still zu fragen, was ich mir und meinen Friends beweisen wollte, machte ich Urlaub in der Pandemie. Ist das wirklich Freiheit, die gute, ziviler Ungehorsam, ein kleines Aufbegehren, ein Bahnbrechen menschlicher Bedürfnisse, eine notwendige Flucht, oder sogar einfach nur Gelassenheit? Vielleicht. In jedem Fall empfinde ich Antipathie. Weil es mir schwach erscheint und ich so schwach nicht sein möchte, und weil es mir stark erscheint und ich so stark nicht sein möchte.
In meinem literarischen Bewusstsein sehe ich alles als eine Erzählung. Welche Geschichte von mir will ich erzählen während und nach der verherrenden Pandemie? Dass ich im Urlaub war? Dass ich Party gemacht habe? Dass ich andere in verantwortungslosem Verhalten bestärkt habe? Dass ich es besser wusste? Not my story. Aber ich suche noch.
„How r u? All fine?“
I miss people,
I miss work,
I miss music school,
I miss performing,
I miss touches,
I miss flirting and danger,
I miss health awareness,
I miss support for those
who care, nursing staff,
I miss a pandemic strategy,
I miss the perspective
of those who stay ill
or lose and miss someone,
I miss compassion,
help for the poor,
I miss cheap real estates,
I miss a garden, I miss
a lot of lost places,
and I think most of this
will get worse.
So how am I?
I feel sad,
I feel angry,
I feel helpless,
I feel the mission.
So will auch ich
So will auch ich Licht ins Dunkel des Jahres tragen. Guten Rutsch!